Infrastruktur-Probleme in Kalifornien Maroder Staudamm befeuert Machtkampf mit Trump

Der Oroville-Damm in Kalifornien droht zu brechen. Doch US-Präsident Trump schweigt – und verweigert dem Golden State bislang Hilfe des Landes. Etwa weil sich Kalifornien in der Einwanderungspolitik gegen ihn stellt?

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Nach wochenlangem Regen ist der Oroville-Stausee an seine Belastungsgrenze gestoßen. Quelle: AFP

San Francisco „Das ist keine Übung“. Der Sheriff des Bezirks Butte County in Nord-Kalifornien ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit seiner Anordnung. „Die sofortige Evakuierung der tiefer gelegenen Gebiete von Oroville und aller Bereiche dahinter ist angeordnet“, schrieb Cory Honea am frühen Sonntagabend per Twitter. Rund 200.000 Menschen machten sich mit dem nötigsten Gepäck auf den Weg in die Nacht. Im Fernsehen zeigten Hubschrauber-Kameras kilometerlange Staus in alle Richtungen, nur nicht nach Norden, in Richtung des Oroville-Staudamms. Denn der drohte zu kollabieren, mit unabsehbaren Konsequenzen für Menschen und Umwelt.

Was war geschehen? Nach starken Regenfällen war der zweitgrößte Stausee Kaliforniens prall gefüllt. Wasser sollte, wie in diesen Fällen üblich, über die Abflussrohre neben der Staumauer, die höher ist als die berühmte Hoover-Talsperre nahe Las Vegas, abgeleitet werden. Normalerweise eine Routinesache – aber diesmal nicht. Der Beton der Abflussrinne hatte Schaden genommen. Die Gefahr: Das reißende Wasser löst immer mehr Beton, und Wasser unterspült und durchweicht die Fundamente und irgendwann auch die Hauptmauer. Also wurde die Wassermenge deutlich gedrosselt.

Jetzt schwoll allerdings der See an und zum ersten Mal seit fast 50 Jahren schwappte das Wasser auf breiter Front über einen Notfall-Überlauf direkt neben dem Haupt-Ableitsystem. Nun ging alles ganz schnell. Das Land hinter der Überlaufrinne war nur ein kurzes Stück betoniert, danach rissen die Wassermassen den blanken Boden mit sich und der Landverlust fraß sich langsam zurück Richtung Staumauer. Sollte der Notüberlauf brechen, wäre die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten gewesen. Sheriff Honea zog die Reißleine. Die beispiellose Evakuierung, die größte seit New Orleans nach einem Hurrikan in den Fluten versank, nahm ihren Lauf.

Am Montag dann die Entwarnung. Aber nur vorläufig, wie Honea in einer Pressekonferenz betonte. Die Haupt-Ableitrohre waren trotz der Schäden wieder weit geöffnet worden und das Notsystem nun trocken. Doch die Evakuierung bleibt in Kraft. Schon für Mittwoch sind neue Stürme angekündigt und keiner wagt zu prognostizieren, was passiert, wenn im Frühjahr die Schneeschmelze in den Bergen einsetzt. Deshalb muss der Wasserspiegel so schnell wie möglich um 15 Meter gesenkt werden, um Spielraum zu haben. Doch das ist nicht so einfach. In den vergangenen 17 Stunden wurden 2.800 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch die Rohre geblasen und das hatte nur gut einen Meter gereicht, genug um ein Überlaufen des Sees zu verhindern.

Amerikas Dämme sind in einem schlimmen Zustand. Die Vereinigung der Bauingenieure in den USA hatte 2013 alle Dämme untersucht und war zu einem vernichtenden Urteil gekommen. Es gab ein „D“ als Schulnote, ein „mangelhaft“. Dahinter kommt nur noch das „F“, „ungenügend“.

Laut der Untersuchung waren die Dämme damals im Schnitt 52 Jahre alt. 2020 werden 70 Prozent aller Dämme älter als 50 Jahre sein. Oroville war 1968 in Dienst gestellt worden, gehört also in die alternde Kategorie. 13.991 Stauwerke sind als Hochrisikoklasse eingestuft – so wie Oroville. Sie besagt, dass bei einem Unfall Menschenleben auf dem Spiel stehen. Deshalb sind sie besonders sicher gebaut. 12.662 gelten als „erheblich gefährlich“, beim Einsturz entstünde wirtschaftlicher Schaden, aber keine Gefahr für Menschen. Für den Rest der insgesamt 84.000 Bauwerke besteht lediglich „geringe Gefahr“, es gibt also praktisch nur nasse Füße.

Doch das Problem: Durch zunehmend dichtere Besiedlung werden mit der Zeit Dämme, die früher als risikoarm eingestuft wurden, auf einmal zu Hochrisiko-Strukturen, obwohl sie nie dafür ausgelegt waren. Sie müssen nun besonders sorgfältig gewartet und überwacht werden.


Trumps offener Krieg mit Kalifornien

Alleine die Sanierung der bestehenden Hochrisiko-Dämme würde nach offiziellen Schätzungen bis zu 21 Milliarden Dollar kosten. Doch in den vergangenen Legislaturperioden konnte sich der republikanische Kongress mit dem demokratischen Präsidenten Barack Obama nie auf Infrastrukturprogramme verständigen. Der Wartungsstau nimmt deshalb zu, die Behebung der akuten Schäden in Oroville wird nun mit mindestens 200 Millionen Dollar veranschlagt. 80 Prozent davon würden auf den Bundesstaat Kalifornien entfallen, 20 Prozent auf das Land.

Die Situation in Kalifornien ist besorgniserregend, die Betroffenen wohnen in Hotels, ihren Autos, in Sammellagern oder auf Sportplätzen, ein Ende ist nicht in Sicht. Doch von einem ist nichts zu vernehmen: US-Präsident Donald Trump. Der eifrige Twitter-Nutzer hatte sich bis zuletzt nicht zur Situation in dem Bundesstaat geäußert, mit dem er praktisch im offenen Krieg lebt.

Er hat bereits angekündigt, er werde Städten wie San Francisco oder Los Angeles jegliche finanzielle Unterstützung streichen, solange sie keine Bundesermittler in ihren Stadtgrenzen illegale Einwanderer aufspüren lassen. Solche Städte werden „Sanctuary Cities“ genannt. Kalifornien überlegt derzeit sogar, den ganzen Staat zu einem „Sanctuary State“ zu machen.

Trump antwortete darauf in einem Interview auf Fox News: Wir „werden auf keinen Fall für Sanctuary Cities gerade stehen, geschweige denn für Sanctuary States“, erklärte er. Kalifornien sei ohnehin in vieler Hinsicht „außer Kontrolle“, sagte er zur sechstgrößten Volkswirtschaft der Erde und neben New York einem der wenigen Nettozahler in Land. Mit seinen Steuergeldern subventioniert Kalifornien zahlreiche Trump-Staaten im Mittleren Westen.

Die Washingtoner „Federal Emergency Management Agency“ (FEMA) hilft den lokalen Kräften zwar tatkräftig bei der Logistik, aber ansonsten herrscht noch Funkstille, wie der republikanische Abgeordnete des Bezirks, Doug LaMalfa, einräumen muss. Er sei in Kontakt mit dem Weißen Haus und dem Sprecher der Republikaner, Paul Ryan, erklärte er auf der Pressekonferenz, aber das sei es auch schon: „Das Weiße Haus kennt die Situation und trifft nun seine Entscheidungen“.

Sheriff Honea weiß, dass das Ganze in jeder Hinsicht noch nicht ausgestanden ist. Derzeit arbeiteten alle Stellen gemeinsam an Plänen, um die Evakuierten geordnet wieder zurück in ihre Heimat zu führen. Doch man wisse weder wie, noch wann das geschehen könne. Man wolle nicht riskieren, die Menschen jetzt zurückzusenden und am Wochenende erneut zu evakuieren, falls der Regen nicht wieder aufhöre, hieß es.

Für Kalifornien insgesamt kann sich die Infrastruktur-Problematik zum bislang größten Machtkampf mit der Trump-Regierung entwickeln. Trump hat, zwar ohne irgendwelche Details, Milliarden-Investitionen in Infrastruktur angekündigt. Aber wenn staatliche Zuschüsse in Bundesstaaten oder Städten wie New York oder San Francisco oder sogar ganz Kalifornien als Strafmaßnahmen gestrichen würden, wäre es eine zusätzliche Härte.

Seine Präsidial-Order vom 25. Januar, die Sanctuary Cities Bundesförderung entzieht, wird zwar noch durch Gerichte auf Verfassungskonformität geprüft. Aber eine Niederlage würde Kalifornien in eine problematische Situation bringen. Die Zahl der sanierungsbedürftigen Hochrisiko-Dämme in dem Westküsten-Staat: 807.

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