Internetüberwachung Deutschland als Vorbild – für Russlands Zensur

Das russische Parlament will soziale Netzwerke und Messenger stärker überwachen. Die Regierung orientiert sich dabei explizit am „guten Nachbarn“ Deutschland. Hier gibt es die entsprechenden Gesetze schon.

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Moskau, Berlin Das nennen Juristen einen untauglichen Versuch: Eine kleine Gruppe linker Aktivisten hat am Mittwoch vor dem Gebäude der russischen Medienkontrollbehörde RosKomNadsor gegen die geplante Verschärfung der Internetkontrolle demonstriert. Die Männer vom „Linken Block“ versuchten, die Eingangstür mit einem Fahrradschloss abzuschließen und warfen Flugblätter aus. Im Text heißt es, die Behörde werde auf unbestimmte Zeit „wegen der Durchführung politischer und anderer Zensur, der Auslöschung der Redefreiheit und der illegalen Blockierung von Internetressourcen“ selbst blockiert.

Nachhaltigen Eindruck hinterließen die Demonstranten nicht. „Als die Gebäudewache auftauchte, haben sich die jungen Männer schnell in alle Richtungen verstreut, ohne irgendwelche Handlungen durchführen zu können“, sagte der Pressechef von RosKomNadsor Wadim Ampelonski.

Die gesetzlichen Grundlagen für die weitere Verschärfung der Zensur im Netz werden im Eilverfahren gelegt. Am Mittwoch billigte die russische Staatsduma in zweiter Lesung ein Gesetz zur Regelung der Tätigkeit von Messenger-Diensten. Das Dokument verpflichtet nicht nur alle Nutzer, sich mit ihrer Telefonnummer zu identifizieren, sondern fordert auch ein Eingriffsrecht des Staats in Chats. So sollen die Behörden das Recht haben, den Versand von Meldungen einzuschränken. Kommt ein Messenger-Dienst der Forderung nicht nach, droht dem Betreiber die Sperre.

Bereits am heutigen Donnerstag erät die Duma in erster Lesung über die Zügelung sozialer Netzwerke. Anbieter werden verpflichtet, Hassparolen, Aufrufe zu Terror und Extremismus, aber auch „unzuverlässige“ und verleumderische Informationen innerhalb von 24 Stunden zu löschen. „Wir machen es den großen Gesellschaften zur Pflicht, auf Klagen gegen illegalen Content zu reagieren. Reagieren müssen sie innerhalb eines Tages – entweder sie löschen ihn, oder sie lassen ihn auf eigenes Risiko stehen“, erläuterte der Abgeordnete Sergej Bojarski von der Kremlpartei „Einiges Russland“, einer der beiden Co-Autoren des Gesetzes, die Intention.

Betroffen davon sind Netzwerke mit einer Reichweite von mehr als zwei Millionen Nutzern. Verstöße können mit Geldstrafen von umgerechnet bis zu 75.000 Euro für Privatpersonen und 750.000 Euro für Firmen geahndet werden. Die russische Regierung hat das Gesetzesprojekt wegen zahlreicher Mängel kritisiert. So sei gesetzlich nicht festgehalten, was eine „unzuverlässige Information“ sei. Die Frist von 24 Stunden zum Löschen ist nach Ansicht der Regierung zu kurz. Doch das Kabinett hat zur Annahme des Gesetzes geraten. „Es ist wichtig, in erster Lesung zuzustimmen, um es perspektivisch gemeinsam von Abgeordneten, Experten und Unternehmen aus dem Bereich einschätzen zu können“, sagte der Chef des Duma-Ausschusses für Informationspolitik, Leonid Lewin.

Zumal sich die Autoren in guter Gesellschaft wähnen: „Unsere Vorschläge stehen im Verhältnis zum vom Bundestag angenommenen Gesetz, das wir faktisch kopiert haben – dort beschäftigen sich unsere Kollegen seit 2015 mit dieser Problematik und sind zum Schluss gekommen, dass nur drakonische Strafen bis zu fünf Millionen Euro helfen, die Lage auf dem Informationsfeld qualitativ zu verbessern“, sagte Bojarski.

In Berlin will man mit solchen Nachahmern wenig zu tun haben. Das Bundesjustizministerium wollte die russischen Pläne nicht kommentieren. Der digitalpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek, wies den Vergleich mit dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) scharf zurück. „Die Argumentation ist Propaganda, denn das NetzDG ist ja nur ein Teil des Deutschen Gesetzespakets“, sagte Jarzombek. Untrennbar dazu gehöre Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Meinungsfreiheit garantiert.

Sarkis Darbinjan, Jurist einer Bewegung für Freiheit im Internet, lässt den Vergleich auch nur bedingt gelten. Das Gesetz sei in Deutschland noch nicht in Kraft und werde stark kritisiert – unter anderem von „Reporter ohne Grenzen“. Zudem richte es sich gegen Fake Accounts und Postings, die über Algorithmen leicht zu erkennen seien. Die Duma aber lasse Administratoren künftig die Arbeit von Richtern machen, die entscheiden müssten, was wahr und falsch und was Verleumdung ist.

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