Interview Sedelmayer  „Vergeltungsmaßnahmen von Russland sind fast zwingend“

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"Vergeltungsmaßnahmen von Russland sind fast zwingend"

 Russland hat bereits angekündigt nicht kleinbeizugeben. Was würde denn passieren, wenn ein deutsches Gericht ein russisches Unternehmen festlegt?

Die Russen bereiten sich gerade auf diesen Fall vor. Erst Anfang Oktober wurde das sogenannte Rotenberg-Gesetz in erster Lesung in der Duma, dem russischen  Parlament, gebilligt. Die Gesetzesvorlage sieht Entschädigungen aus dem Staatshaushalt für den Fall vor, dass russische Vermögen auf Anordnung ausländischer Gerichte beschlagnahmt werden. Außerdem soll die russische Justiz die Konfiszierung ausländischen Staatseigentums beschließen dürfen.

 Sie rechnen damit, dass sich Russland für Pfändungen hierzulande revanchiert, in dem deutsche Firmen, die in Russland tätig sind, enteignet werden?

Absolut. Ich halte derartige Vergeltungsmaßnahmen von Russland fast für zwingend. Man muss sich ja die Dimensionen vor Augen führen: Die Russen würden durch Pfändungen ihrer Staatsfirmen erheblich in ihrem Außenhandel behindert. In Kombination mit den Wirtschaftssanktionen der USA und der EU sind die Forderungen von Jukos blankes Gift für Russland. Russland finanziert sich ja vorwiegend über den Export von Rohstoffen. In dem Land selbst wird ja kaum noch etwas produziert. Die Russen sagen selbst, sie leben in einem Saudi-Arabien mit Bäumen.

 Was raten sie den etwa 6.000 deutschen Unternehmen, die derzeit in Russland tätig sind?

Ganz einfach: Jeder der noch bei Sinnen ist, sollte die Investitionstätigkeit und somit sein Risiko zurückfahren. Und wenn möglich,  bald an lokale Partner verkaufen. Jetzt ist noch Zeit, Russland intakt zu verlassen. Wer auf Besserung hofft und bleibt, wird abgestraft.

 Pfändungen von russischem Staatsbesitz bergen enormen diplomatischen Sprengstoff. Wird sich die deutsche Politik raushalten, wenn die Jukos-Aktionäre etwa Gazprom-Anlagen in Deutschland konfiszieren lassen?

Die Politik muss sich raushalten. Wir haben – wie jede andere Demokratie auch – absolute Gewaltenteilung.

 Warum sind sie sich so sicher, dass die Politik nicht eingreift? Sie wurden doch selbst an Pfändungen behindert.

Ich bin sogar kurzzeitig, samt Gerichtsvollziehern,  von der Polizei rechtswidrig festgenommen worden, als ich 2006 auf der Internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin russische Satellitenmodelle pfänden wollte. Auf Weisung des Bundeskanzleramts wurde damals eine völlig legale Zivilrechtsmaßnahme torpediert. Aber bei Jukos ist die Sache anders gelagert. Jede politische Einmischung würde sofort thematisiert. Alle Jukos-Entscheidungen werden mit Argusaugen beobachtet.

 Die deutsche Regierung will den Pfändungskrieg stoppen, bevor er startet und setzt auf einen Kuhhandel: Gegen den Verzicht auf die Milliardenzahlungen stellt Russland die Strafverfahren gegen die Ex-Jukos-Manager ein. Realistisch?

Dass sich die Bundesregierung hier wirklich bemüht, wäre mir neu. Eine Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner halte ich in diesem Fall für völlig ausgeschlossen. Wenn die offenen Strafverfahren gegen die Jukos-Investoren fallengelassen würden, könnten die beiden Seiten zwar ein klein wenig aufeinander zugehen. Aber das wäre sicher keine 50 Milliarden Dollar wert.

 Wie lange wird es dauern bis Jukos seine Ansprüche durchbekommt?

Mindestens zehn Jahre. Es braucht viel Geduld, um zu seinem Recht zu kommen. Im Gegensatz zu mir, haben die Jukos-Aktionäre aber zwei entscheidende Vorteile: Sie haben Zeit und eine prall gefüllte Kriegskasse. Das ermöglicht ihnen parallel in mehreren dutzend Ländern Gerichtsverfahren und Vollstreckungen durchzuführen. Wenn es in Deutschland nicht klappt, gehen sie eben woanders hin.

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