Irak Warum den Bewohnern Mossuls kaum zum Feiern zumute ist

Die irakische Regierung erklärt die Eroberung von Mossul zum großen Festtag. Doch die Bewohner der Stadt haben weiterhin kaum eine Perspektive. Ein Großteil Mossuls ist so zerstört, dass eine Rückkehr unmöglich ist.

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Im Flüchtlingslager Hassan Scham östlich von Mossul: Heimatlose Kinder beobachten bei Temperaturen um die 40 Grad, wie ein Mann Eisblöcke zuschneidet. Quelle: Reuters

Mossul/Genf Während die irakische Regierung die Eroberung Mossuls feiert, macht sich in den Lagern, in denen ehemalige Bewohner Zuflucht gesucht haben, Ernüchterung breit. Für sie gibt es auch jetzt kaum Chancen auf eine Rückkehr.

Als der IS in den Irak gekommen sei, sei es das Ziel der Terrormiliz gewesen, alles kaputt zu machen, sagte Polizist Hisham Hatem. Der IS habe spezielle Taktiken genutzt, um sicherzustellen, dass nach dem Kampf nicht viel von der Stadt Mossul übrig bleibe.

Rund 65 Prozent der Gebäude in der Altstadt waren nach Angaben der zivilen Rettungsteams stark beschädigt oder zerstört. In anderen westlichen Teilen wurde sogar von noch mehr Zerstörung ausgegangen.

Die Vereinten Nationen erklärten, während der Kämpfe seien Tausende getötet und mehr als 897.000 Menschen vertrieben worden. Ein Ende der humanitären Krise sei nicht in Sicht. Wegen der gewaltigen Zerstörungen könnten Tausende Einwohner wohl auch nach Ende der Kämpfe vorerst nicht zurückkehren. Luftangriffe, Geschützgranaten und Bombenanschläge hätten Tausende Gebäude und die wichtigste Infrastruktur Mossuls zertrümmert.

"Es gibt nicht, was sie [der IS] uns gelassen hätten", sagte Mohammed Haji Ahmed der Nachrichtagentur Reuters am Samstag. Fünf Tage zuvor war er aus Mossul nach Hassan Scham gekommen. In seinem Viertel kämpften irakische Streitkräfte darum, die letzten IS-Anhänger zu vertreiben.

Der Bekleidungshändler verlor sein Haus, sein Auto, sein Geschäft und 15 Verwandte während der IS-Besetzung von Mossul. "Wenn es keinen Wiederaufbau gibt und die Leute nicht nach Hause zurückkehren und ihren Besitz wiederbekommen, was bedeutet Befreiung dann?", fragte er.

Im Flüchtlingslager Hassam Scham herrschen Temperaturen über 40 Grad, Elektrizität gibt es nicht. Einige Bewohner verkaufen dort ihre Essensrationen, um sich kühlendes Eis leisten zu können. Ein kleiner, etwa 30 Zentimeter lange Eisblock kostet etwa 500 Dinar (knapp 0,40 Euro).


Langwieriger Kampf um Mossul

Bereits vor mehreren Wochen hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dringend um mehr Geld für Flüchtlinge aus Mossul gebeten. Die humanitäre Hilfe für Familien mit kleinen Kindern sei in Gefahr, sagte UNHCR-Sprecher Andrej Mahecic am 2. Juni in Genf.

Für den Einsatz in Mossul seien bis Ende des Jahres 126 Millionen Dollar (112 Millionen Euro) nötig, sagte Mahecic. Insgesamt habe das UNHCR für den Irak in diesem Jahr um 578 Millionen Dollar gebeten. Erst 21 Prozent der Summe sei bislang zusammengekommen.

Mossul war 2014 unter IS-Kontrolle gefallen. Damals fielen die Extremisten über einen Großteil des Nordwestens des Landes her und riefen anschließend ein Kalifat auf dem Gebiet aus, das von den Extremisten im Irak und in Syrien gehalten wurde.

An der im Oktober 2016 begonnenen Großoffensive zur Rückeroberung waren mehr als 70.000 irakische Einheiten vom Militär, von Spezialkräften, der Polizei, Stämmen sowie von zumeist schiitischen paramilitärischen Kräften beteiligt. Ende Januar wurde die Osthälfte der Stadt für befreit erklärt. Im Februar begann der Vormarsch in den Westen Mossuls. Vor allem in der dicht besiedelten Altstadt wurden die Kräfte aber immer wieder aufgehalten.

Am Montagabend verkündete der irakische Regierungschef Haidar al-Abadi die endgültige Rückeroberung von Mossul. „Wir geben den völligen Sieg für den Irak und alle Iraker bekannt“, sagte Al-Abadi auf einer kleinen Militärbasis am Rande der bis zuletzt umkämpften Altstadt von Mossul.

Die US-geführte Militärkoalition beglückwünschte Al-Abadi kurz darauf zu dem Sieg gegen „einen brutalen und bösen Feind“. Während es weiterhin Gebiete in Mossuls Altstadt gebe, die von Sprengsätzen und möglichen versteckten IS-Kämpfern geräumt werden müssten, hätten die irakischen Spezialkräfte Mossul fest unter ihre Kontrolle gebracht, hieß es in einer Erklärung. Der Kampf gegen den IS gehe zwar weiter, der Verlust der Stadt sei für die Extremisten jedoch ein „entscheidender Schlag“.

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