USA wollen mit Iran beraten
Für die Regierung in Washington bedeutet der erfolgreiche Vormarsch der terroristischen Isis-Truppe bis vor die Tore Bagdads, dass ein jahrelang vertuischtes außenpolitisches Debakel grell sichtbar wird. Präsident Obama und seine Berater hatten gehofft, nach dem restlosen Abzug der US-Truppen aus dem Irak würde sich in Bagdad ein halbwegs pro-amerikanisches Regime und einigermaßen demokratisches Regime behaupten – und vor allem würde das Land im Inneren stabil und nach außen friedlich bleiben. Nichts davon ist eingetreten, der herrschende Klüngel um den Premier Nuri el-Maliki, einen schiitischen Araber, hat die beiden großen Minderheiten des Landes – Kurden und sunnitische Araber – von der Macht fern gehalten, und Obamas Leute haben dazu fein geschwiegen, damit sich Maliki nicht voll und ganz seinen Gesinnungsfreunden im Iran an den Hals warf.
Gefährliche Alternative
In der Folge kam es zur faktischen Abspaltung Kurdistans und den anhaltenden Terrorakte von Sunniten gegen Schiiten und dann auch in Gegenrichtung – Haupthindernis für eine wirtschaftliche Erholung des ölreichen und fruchtbaren Landes. Und in den letzten Wochen ging es ganz schnell weiter bergab. Mit der Invasion von mörderischen Radikal-Sunniten zeichnet sich auf einmal eine Alternative für den Irak ab, die viel schlimmer wäre als der heutige Zustand: mörderische Gotteskrieger, die Andersgläubige töten, internationale Grenzen missachten, vom Irak aus die Nachbarn im weiten Bogen von Jordanien über Saudi-Arabien bis in den Iran bekämpfen wollen – Terroristen, die sich mit den Überresten von Al-Qaeda in Pakistan verkracht haben, weil die ihnen nicht radikal genug sind.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Aber zu so einer Machtübernahme der Finsterlinge wird es nicht kommen. Ihre Unterstützung durch ganz normale sunnitische Glaubensbrüder im Irak ist unwahrscheinlich, und dazu kommt die Drohung amerikanischer Luftschläge gegen das Heer der Terroristen. Doch vor allem scheint die militärische Intervention der natürlichen Verbündeten des Schiiten Maliki bevorzustehen: das ist der Iran. Präsident Rohani hat entsprechende Schritte angekündigt, und der Kommandant einer Elitedivision seiner Streitkräfte ist offenbar schon in Bagdad aktiv. Macht die Isis-Invasion im Zweistromland also Teheran und Washington zu echten Verbündeten?
Die Frage ist offen, nur eins ist sicher: Die iranische Regierung hätte das gerne. Fast genau 25 Jahre nach dem Tod des rabiat antiwestlichen großen Revolutionsführer Chomeini wäre damit das Ende der weltpolitischen Isolierung erreicht, wahrscheinlich auch das Ende der Wirtschaftssanktionen gegen das Atomprogramm. Es ist bezeichnend, dass das Regime in Teheran seit Wochen Kompromissbereitschaft bei den schwierigen internationalen Atom-Verhandlungen andeutet; genau so bezeichnend aber auch, wie Teheran den Todestag Chomeinis beging.
Der Feind meines Feindes ist mein Freund
Als Zeichen der Trauer ruhte unter anderem der zivile Flugverkehr im Land. Zehntausende pilgerten zu Chomeinis Mausoleum in Teheran, und sein Nachfolger Ali Khamenei, als Revolutionsführer so etwas wie der Vorgesetzte von Präsident Rohani, nutzte die Gelegenheit zu verbalen Angriffen gegen die USA, die gescheitert seien, mit dem „größten Versuch, die islamische Demokratie mit politischen, ökonomischen und militärischen Mitteln zu bekämpfen“. Das ganze verbunden mit dem Appell an die Europäer, das Bündnis mit Amerika aufzugeben – nichts Neues also, aber vielleicht doch vor allem der Versuch, vor der Schlussrunde der Nuklearverhandlungen mit den Sicherheitsratsmächten und Deutschland einen Keil zwischen die Verhandlungspartner zu treiben.
Immerhin keine Rede mehr vom „großen Satan“ – und im Nahen Osten gilt natürlich auch heute die Regel, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist. Und die Feindschaft zwischen den schiitischen Islamisten im Iran und den sunnitischen Terroristen ist tiefer als andere, solange die Isis-Führung droht, die heiligen Stätten des schiitischen Islam im Irak zu zerstören.
Nur wäre es Illusion zu glauben, dass der Iran darum im Inneren zu einem normaleren, weltoffeneren Land würde, wie sich das vor allem an der iranischen Wirtschaft interessierte Manager und Unternehmer vorstellen. Und auch an der destruktiven iranischen Politik gegenüber Syrien, dem Libanon und Palästina wird sich so schnell nichts ändern. Mit den Worten des Teheraner Journalisten Nader Karimi Juni: „Khamenei will die USA und andere Staaten daran erinnern, dass auch ein Abkommen über die Nuklearfrage nicht bedeutet, dass darauf irgendwelche anderen Kompromisse mit Amerika folgen werden.“ Karimi Juni ist Chefredakteur der Zeitung “Dshahan-e Sanat”. Zu Deutsch heißt das “Welt der Industrie”.