Irans verkannte Wahlbilanz Die politische Mitte als Zweckbündnis

Der Ausgang der iranischen Wahlen bedeutet weder die durchschlagende Rückkehr der Reformer noch den Niedergang der Konservativen. Der stille Sieger ist die politische Mitte – ein fragiles Bündnis, meint Azadeh Zamirirad.

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Mit den Präsidentschaftswahlen 2017 wird der Druck der Reformer auf den Präsidenten deutlich steigen. Quelle: dpa

Ein Triumph für Reformer, ein Fiasko für Konservative – so die verbreitete Deutung der iranischen Wahlen in den Medien. Doch klare Mehrheitsverhältnisse haben die Wahlen nicht geschaffen, wohl aber ein verändertes politisches Parkett offenbart, das sich durch eine neue Mitte auszeichnet. Diese Mitte ist das Ergebnis dreier Entwicklungen, die mit der Marginalisierung von Teilen der politischen Eliten einhergingen.

Erstens ist die strategische Entscheidung der Reformer zu nennen, ihre politische Agenda zugunsten einer anderen moderaten Kraft im Land zurückzustellen. Die Bereitschaft, ein Zweckbündnis mit den sogenannten Pragmatikern einzugehen, ist Resultat eines Verdrängungsprozesses, der seit mehr als sechs Jahren anhält.

Die Reformer, die einst mit Mohammad Khatami den Präsidenten stellten, wurden im Zuge der umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009 von ihren konservativen Widersachern als „Aufrührer“ gebrandmarkt und sukzessive aus dem politischen Meinungsbildungsprozess verdrängt.

Während sie noch 2012 mit einem weitgehenden Boykott der Parlamentswahlen reagierten, versuchten sie bei den Präsidentschaftswahlen 2013, auf die politische Bühne zurückzukehren. Um die Chancen auf den Sieg eines moderaten Kandidaten zu erhöhen, zogen sie jedoch ihren eigenen Kandidaten zugunsten des Pragmatikers Hassan Rohani zurück.

Im Nachgang wurde dies als erster Schritt zur politischen Rückkehr aufgefasst, dem mit den diesjährigen Wahlen „Der zweite Schritt“ der Reformer folgte – so der Slogan ihrer gemeinsam mit Pragmatikern aufgestellten Kandidatenliste. Das einmütige Ziel: Die Beendigung der konservativen Dominanz in Parlament und Expertenrat.

Dem Einigungsbestreben der Moderaten steht zweitens der Fragmentierungsprozess der Konservativen gegenüber. Als Antwort auf die einstigen Erfolge der Reformer hatte die politische Rechte versucht, ein geeintes Lager sogenannter Prinzipientreuer zu etablieren.

Das Projekt scheiterte jedoch spätestens mit der zweiten Amtszeit von Mahmoud Ahmadinejad; nicht nur am Kampf um Einflusssphären und den Zugriff auf Ressourcen, sondern auch an abweichenden Vorstellungen von der Aufrechterhaltung der politischen Ordnung.

Exemplarisch zeigte sich der Selbstentfremdungsprozess im Zuge der jahrelangen Nuklearverhandlungen, in deren Verlauf prominente Vertreter der Prinzipientreuen ihre ursprüngliche nuklearpolitische Position zugunsten größerer Kompromissbereitschaft aufgaben – dies in deutlicher Abgrenzung zu jenen Teilen ihres Lagers, die bis zum Schluss ein Einlenken kategorisch ablehnten.

Die rigorose Ablehnungshaltung dieser Kräfte hat moderate Prinzipientreue dazu veranlasst, sich durch eine stärkere Orientierung an der politischen Mitte von ihnen zu distanzieren.


Die Mitte als taktischer Rückzugsort

Drittens hat die innenpolitische Krise, die die Islamische Republik im Zuge der Grünen Bewegung von 2009 erschütterte, zu einer strategischen Neuausrichtung in der Regimespitze beigetragen. Hunderttausende gingen damals aus Protest gegen das verkündete Ergebnis der Präsidentschaftswahlen auf die Straße; Teile der politischen Eliten stellten sich auf die Seite der Demonstranten und warfen der Regierung Wahlmanipulationen vor.

Wiederholt gingen iranische Milizen gewaltsam gegen die Protestierenden vor. Die Ereignisse machten deutlich, dass nicht nur Teile der Bevölkerung, sondern auch intraelitäre Machtkämpfe eine existenzielle Bedrohung für die Islamische Republik darstellen können. Die politische Führung sah es daher als unvermeidlich an, gewaltbereite Kräfte im rechten Lager teilweise einzudämmen und den Boden für eine politische Mäßigung zu bereiten.

Vor diesem Hintergrund ist die neue Mitte nicht als Resultat politischer Annäherung der unterschiedlichen Gruppierungen anzusehen, sondern als Zweckbündnis auf Zeit. Von diesem erhofft sich die Regierung der Pragmatiker eine anhaltende Machtverschiebung.

Doch das Bündnis ist fragil. Schon zweimal haben die Reformer den Pragmatikern bei den Wahlen den Rücken gestärkt und damit zu einer relativen Schwächung des prinzipientreuen Lagers beigetragen. Doch ist es den Reformen damit nicht gelungen, selbst auf die politische Bühne zurückzukehren. Die Zahl ihrer Vertreter stellt im Parlament eine zu vernachlässigende Minderheit dar.

Auch die Forderungen nach der Stärkung von Bürgerrechten und der Einhaltung verfassungsmäßiger Rechte, die sie im Austausch für ihre Unterstützung der Pragmatiker formuliert hatten, haben unter Rohani bislang keine merklichen Erfolge gezeitigt. Mit den Präsidentschaftswahlen 2017 wird der Druck der Reformer auf den Präsidenten deutlich steigen. Ob er sich auf ihre erneute Unterstützung verlassen kann, hängt davon ab, welche politischen Zugeständnisse er ihnen machen kann.

Auch die Prinzipientreuen könnten Rohani vor große Herausforderungen stellen. Es ist zu erwarten, dass sie sich neu formieren werden, um dem Machtzuwachs der Pragmatiker zu begegnen. Ihre politische Stärke liegt dabei außerhalb des Parlaments. Hier werden sie ihre Dominanz in den wesentlichen Schaltstellen des Systems dazu nutzen, den Handlungsspielraum des Präsidenten einzuschränken. Mit der Möglichkeit eines rechten Gegenschlags ist daher auch weiterhin zu rechnen. Eine große Unbekannte in der politischen Gleichung stellen die Unabhängigen dar, die im künftigen Parlament in großer Zahl vertreten sein werden.

Dieser Umstand ist unter anderem der Taktik der Reformkräfte geschuldet, viele neue Gesichter ohne (reform-)politisches Profil zu einer Kandidatur zu ermutigen, da ihnen bessere Chancen eingeräumt wurden, überhaupt zu den Wahlen zugelassen zu werden. Gerne werden sie daher als reform- und damit regierungsnah angesehen. Doch wie diese heterogene Gruppe neuer Abgeordneter sich in konkreten Abstimmungsfällen verhalten wird, ist ungewiss.

Nachdem die Ränder des politischen Spektrums sechzehn Jahre lang die Exekutive stellten, ist die Islamische Republik heute in der Mitte angekommen. Diese Mitte dient dem politischen Spektrum als taktischer Rückzugsort. Trotz nuklearer Übereinkunft, wirtschaftspolitischer Öffnung und der Wahlerfolge gemäßigter Kräfte – von hier aus kann es politisch in mehr als nur eine Richtung gehen.

Azadeh Zamirirad forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Iran. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

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