IS-Mord an Japaner Der Terror erreicht Tokio

Ein Journalist wird hingerichtet und ganz Japan trauert kollektiv: Lange war das Land der aufgehenden Sonne von den Konflikten der Welt weitgehend isoliert. Doch der IS-Terror holt das Land postwendend ein.

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Passanten vor einem Bild des getöteten Journalisten Kenji Goto: Japan ist nun hautnah vom Terror betroffen. Quelle: dpa

Tokio Die Japaner leben in einem der sichersten Länder der Welt. Doch die mutmaßliche Tötung zweier japanischer Geiseln durch die Terrormiliz Islamischer Staat lässt sie nun direkt eine der größten Bedrohungen weltweit spüren. Die Videonachricht der Extremisten über die mutmaßliche Enthauptung des Journalisten Kenij Goto wirkte am Sonntag wie ein Schock.

Eine erste japanische Geisel - Haruna Yukawa - soll vom IS bereits vergangene Woche hingerichtet worden sein. Verhandlungen über ein Lösegeld und einen Gefangenenaustausch, um die Leben der beiden Japaner zu retten, waren ohne Erfolg geblieben.

Nun wird darüber spekuliert, was die grausige Tat für die japanische Außenpolitik bedeutet. Die Inselnation hatte sich für zwei Jahrhunderte unter der Herrschaft der Samurai von der übrigen Welt abgeschottet. Dann führten wachsender Militarismus und die Politik der Besatzung benachbarter Länder vor dem Zweiten Weltkrieg zu desaströsen Folgen - und Japan fand sich erneut in der Isolation wieder. In den vergangenen zwei Jahrzehnten streckte es dann zaghaft wieder seine Fühler aus.

Doch erst der seit zwei Jahren regierende und kürzlich im Amt bestätigte Ministerpräsident Shinzo Abe will Japan nun mit einer bisher nicht gekannten Entschiedenheit eine größere Rolle in der internationalen Politik spielen lassen. Welchen Einfluss die mutmaßlichen Morde an den beiden Geiseln haben könnten, ist nach Meinung von Analysten noch nicht absehbar.

Erfahrungen aus der Vergangenheit legen aber nahe, dass das Land nach einem kurzen Lamento fortfahren wird, seine militärische Rolle langsam weiter auszubauen. Ein größerer Test dafür könnte im Frühjahr anstehen. Dann nämlich soll das Parlament über Abes Vorschlag entscheiden, dem Militär mehr Spielraum zu geben.

Als Folge der Kapitulation des japanischen Kaiserreiches im September 1945 sieht die von den USA geprägte Verfassung nur vor, dass sich das Land selbst verteidigen darf. Militäreinsätze, etwa um verbündete Länder im Fall einer Bedrohung zu unterstützen, sind bisher nicht möglich.


Der „Alptraum für Japan“

„Anders als einige Leute meinen, wird die Krise um die Geiseln wenig oder gar keinen Effekt auf die Politik oder öffentliche Meinung haben“, sagt der freie Analyst Jun Okumura voraus.

Abe hat sich während seiner bisherigen Amtszeit weit mehr um internationale Kontakte gekümmert als seine Vorgänger. Er traf sich mit Dutzenden Amtskollegen in Lateinamerika, Afrika, Europa und Südostasien. Gerade sein jüngster Trip führte ihn in den Nahen Osten, wo er humanitäre Hilfe für die vom Kampf gegen den IS betroffenen Länder versprach.

In einer am 17. Januar in Kairo gehaltenen Rede sagte Abe den von der Terrormiliz drangsalierten Staaten 200 Millionen Dollar (177 Millionen Euro) zu, um etwa die Infrastruktur wieder aufzubauen. Und er kündigte an, dass Japan helfen wolle, die vom IS ausgehende Gefahr zu mindern - Worte, die sich der Terrormiliz offenbar einprägten.

Nur drei Tage später beschuldigten die Extremisten in einem Video das Land, Geld zu spenden, „um unsere Frauen und Kinder zu töten“. Zugleich drohten sie der Regierung in Tokio an, die beiden japanischen Geiseln umzubringen.

Und in dem am Samstag veröffentlichten Video, das die mutmaßliche Enthauptung von Goto zeigt, kündigt ein IS-Kämpfer Japan weitere Massaker an. Der „Alptraum für Japan“ habe begonnen, waren seine Worte. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Japan in einer solchen Krise wiederfindet.

2004 hatte das Land mehrere hundert Soldaten für den Wiederaufbau in den Irak geschickt. Obwohl es sich nicht um einen Kampfeinsatz handelte, war es ein Bruch der damaligen Politik: Sondergesetze mussten verabschiedet und die in der Verfassung definierten Grenzen der Selbstverteidigung gedehnt werden - manchen ging das schon zu weit.

Dann wurden im Irak, der sich nach der US-Invasion 2003 in Aufruhr befand, auch noch ein halbes Dutzend der japanischen Soldaten entführt. Einen fand man enthauptet auf, sein Körper war in eine US-Flagge gewickelt - zuvor hatte sich der damalige Regierungschef Junichiro Koizumi geweigert, die Soldaten abzuziehen.


„Nicht mehr sicher“

Solche Gewalt schockiert überall, doch in Japan noch einmal auf besondere Weise: Das Land hat eine der niedrigsten Mordraten der Welt, auch die Zahl der Waffenbesitzer ist im internationalen Vergleich gering. Auch schienen die Probleme im Nahen Osten in dem Inselstaat bisher ferner als etwa in Europa oder den USA.

Anders als New York oder Paris wurde Tokio nicht von Anschlägen radikaler Islamisten heimgesucht. Der bisher schlimmste Terroranschlag war vielmehr hausgemacht: Eine religiöse Sekte hatte 1995 einen Giftgasanschlag auf die U-Bahn in der Hauptstadt verübt.

„Es ist ungewöhnlich für Japan, das sich nicht an Militäreinsätzen gegen den IS beteiligt hat, ins Visier zu geraten“, schreibt „Mainichi“, eine der größten Zeitungen des Landes, in einem Leitartikel. „Wir leben nicht länger in einer Zeit, in der wir uns sicher fühlen können, nur weil wir Japaner sind.“

Das dürfte verstärkt für die Zukunft gelten, falls Abe an seinen Plänen festhält, die Nachkriegsverfassung neu auslegen lassen und das Parlament dem Militär mehr Spielraum einräumt.

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