IS-Terror Die außergewöhnliche Flucht einer Frau

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Gefährliche Wüste

Der erste Teil ihrer Reise lief gut. Im Mai durchquerte ihr Konvoi die Sahara und erreichte Adschdabija im Nordosten Libyens. Fisehaje glaubte, das Schlimmste läge nun hinter ihr. Zwar zählt niemand die Migranten, die in der Wüste an Krankheiten, Hunger oder durch Gewalttaten sterben. Flüchtlingsorganisationen gehen aber davon aus, dass mehr Menschen dort umkommen als bei der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer. "Niemand stoppte uns in der Sahara, ... und die Schleuser sagten, wir sollten uns über Daesch keine Sorgen machen", berichtet Fisehaje, indem sie die arabische Abkürzung für den IS verwendet. "Ich hätte nie erwartet, einen derart durchorganisierten Staat wie ihren in Libyen zu sehen."

Schüsse beenden Fluchtversuch

Doch sie irrte sich. In der Nacht des Überfalls schickten die IS-Kämpfer Fisehaje und die übrigen Christen zurück auf den Laster. Die Männer kletterten auf den ersten Auflieger, die 22 Frauen stiegen in den Anhänger. Sie fuhren in Richtung Osten, auf der gleichen Straße wie zuvor. Ein Pritschenwagen mit einem aufmontierten Maschinengewehr folgte dicht hinter ihnen. Eine halbe Stunde später bog der Lastwagen nach rechts auf eine unbefestigte Piste ab, in der Ferne waren die Lichter einer Stadt zu sehen.

Einige der männlichen Gefangenen hatten Videos von den Enthauptungen durch den IS gesehen. Sie sprangen von der Ladefläche und rannten in die Wüste. Jemand eröffnete das Feuer. Einige der Fliehenden fielen tot zu Boden, andere wurden wieder eingefangen. Nur einigen wenigen gelang die Flucht.

"Wir dachten, es wäre besser, wenn sie uns erschießen statt uns zu enthaupten", sagte Hagos Hagu, einer der Männer, die wegliefen, in einem Interview im schwedischen Hallsta. Er wurde in jener Nacht nicht wieder eingefangen und schaffte es zwei Monate später nach Europa. "Wir wollten nicht mit gefesselten Armen und Beine sterben. Selbst ein Tier muss sich in der Stunde des Todes winden können."

Die IS-Kämpfer brachten die Migranten in ein verlassenes Krankenhaus im Buschland nahe einer Stadt namens Naufalijah. Sie durchsuchten die Frauen nach Juwelen, lüpften ihre Ärmel und Ausschnitte mit einem Stock in die Höhe, und sperrten sie in einen kleinen Raum. Am nächsten Morgen besuchte einer der Kommandeure, ein Mann aus Westafrika, die Frauen, und gab sich als Mitglied des IS zu erkennen. Das Kalifat werde sie verschonen, weil sie Frauen seien, kündigte er an. Dies gelte aber nur, wenn sie zum Islam konvertierten. "Ansonsten lassen wir euch hier verrotten."

Drei Wochen später scheiterte ein Fluchtversuch während eines Luftangriffs auf das Hospital. Der Beschuss dauerte tagelang an, bis die IS-Kämpfer die Frauen schließlich in eine verlassene türkische Baufirma im zwei Stunden entfernten Naufalijah brachten. Eine Woche später gelang neun der weiblichen Gefangenen die Flucht, nicht aber Fisehaje. Sie wurde zurückgebracht und tagelang ausgepeitscht.

Den Sommer über baute der IS seine Kontrolle über Zentrallibyen aus. Mit den Ambitionen der Extremistenmiliz wuchs ihr Bedarf an Frauen. Nach Auslegung des IS gestattet die Scharia Männern, Frauen als Sexsklavinnen zu halten. Die entführten Frauen wurden zu leichten Opfern.

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