IS-Terror Die außergewöhnliche Flucht einer Frau

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Profit aus der Flüchtingskrise

Sirte hat große strategische Bedeutung für die Extremisten: Die Stadt liegt an einer Autobahn, die zwei Zentren des Menschenhandels miteinander verbindet - Adschdabija im Nordosten, wo die Migranten Halt machen, um die Schleuser zu bezahlen, und Fischerhäfen im Westen, wo jede Woche die Boote nach Europa ablegen.

Von Sirte aus gelingt es dem IS, in mannigfacher Weise aus der Flüchtlingskrise Profit zu schlagen. Dies geschieht, obwohl die Gruppe die Migration in ihrem Magazin "Dabik" im September als "gefährliche große Sünde" verdammte. Dieser Aussage zum Trotz verlangt der IS Steuern von den Schleusern im Gegenzug für sicheres Geleit und nutzt die alten Schmuggelpfade, um neue Kämpfer nach Libyen zu bringen. Dies geht aus den Aussagen von Libyern, Informationen aus US-Regierungskreisen und einem Bericht des UN-Sicherheitsrates vom Juni hervor. Der IS habe auch Migranten rekrutiert, indem er ihnen Geld und libysche Bräute angeboten habe, sagt General Mohamed Gnaidy, ein Geheimdienstoffizier der Milizen der nahegelegenen Stadt Misrata.

Dieser Bericht gründet sich auf Interviews mit Fisehaje, acht weiteren vom IS versklavten Frauen und fünf Männern, die von der Gruppe verschleppt wurden. Reuters sprach mit den Flüchtlingen über einen Zeitraum von vier Monaten in drei europäischen Ländern. Kontakt zu den IS-Kämpfern in Libyen aufzunehmen, gelang Reuters dagegen nicht. Einige Teile der Berichte der Frauen ließen sich nicht unabhängig bestätigen.

Eritrea - Jahrelanger Wehrdienst und Menschenrechtsverstöße

Vor ihrem Aufbruch aus Eritrea fühlte sich Fisehaje gefangen in ihrem Job als Verkäuferin auf einer staatlichen Farm. Wie viele junge Eritreer musste sie ihren Wehrdienst ableisten, der oft deutlich länger als die gesetzlich verankerten anderthalb Jahre dauert. Von ihrem knappen Lohn von 36 Dollar im Monat konnte sie kaum leben. Sie hatte aber auch Angst davor, einfach zu gehen und den Staat gegen sich aufzubringen, dem immer wieder Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden.

Schließlich entschloss sich die zierliche Frau dann aber doch, das Risiko auf sich zu nehmen. Im Januar 2015 lief sie gemeinsam mit einem Cousin und zwei Freunden über die Grenze in den Sudan. Ihr Ziel hieß Europa. In der sudanesischen Hauptstadt Khartum brauchte Fisehaje vier Monate, um die 1400 Dollar aufzubringen, die der Schleuser für die Reise nach Libyen forderte. Sie fand keinen Job, der so viel Geld abgeworfen hätte.

Wie Tausende Flüchtlinge vor ihr bat sie daraufhin ihre Verwandten im Ausland um Hilfe. Anschließend sprach sie mit anderen Emigranten und fand einen eritreischen Schleuser, dessen Kunden ihm beste Bewertungen ausstellten.

Ehe sie sich auf die Reise durch die Wüste machte, hörte Fisehaje Geschichten über bewaffnete Banditen, die Frauen in Libyen vergewaltigen. Sie ging zu einem Arzt und ließ sich eine Verhütungsspritze geben, die drei Monate wirkt. "Wenn man Eritrea verlässt, gibt es kein Zurück. Ich habe getan, was jede Frau tun würde", sagt sie.

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