Islamisten an der Macht Erdogan und die AKP begraben die säkulare Türkei

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Unbequeme Warnungen wurden ignoriert

Es liegt mir also fern, die Gülen-Bewegung zu verharmlosen. Dennoch schließe ich mit absoluter Sicherheit aus, dass die abertausenden festgenommenen Offiziere, Richter und Staatsanwälte Gülen-Anhänger sind. Nein, diese sind säkulare Kemalisten und keine Gülen-Islamisten. Ich weiß, wie kemalistisch, d.h. wie laizistisch Militär und Justiz in der Türkei sind. Das ist eine jahrzehntelang verankerte Tradition.  

Ich wiederhole: Der Hauptkonflikt findet zwischen Islamismus und Kemalismus statt. Die AKP-Erdogan-Propaganda, die kritiklos von den westlichen Medien übernommen wird, lenkt von diesem Konflikt ab. Es geht nicht um die Gülen-Bewegung, es geht um die Entkemalisierung der Türkei.

Drei weitere Erkenntnisse sind von zentraler Bedeutung für das Verständnis dessen, was heute in der Türkei geschieht:

Warum war der Westen von der jüngsten Entwicklung überrascht? Ich erlaube mir eine Analogie mit der Finanzkrise. Damals schrieb die Financial Times: "People ignore predictions they dislike." Ich, als ein auf Englisch und Deutsch publizierender Türkei-Experte, habe das am eigenen Leib erfahren. Im Jahre 2005 habe ich mein Buch „Mit dem Kopftuch nach Europa. Die Türkei auf dem Weg in die Europäische Union“ veröffentlicht und musste entweder feindliche Kommentare oder totales Ignorieren ertragen. 11 Jahre später lässt sich das Buch lesen, als wäre es gerade erst erschienen. Der türkischstämmige grüne Politiker Cem Özdemir gehörte zu denen, die meine Warnungen schlicht und grob diskreditierten. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat er damals die AKP verteidigt. Heute benötigt er Personenschutz gegen die AKP-Chargen in Deutschland. Ich empfinde keine Schadenfreude, sondern nur Bedauern. Manche lernen, andere nie!

Die zweite Bemerkung betrifft die politische Sprache in Deutschland. Ich beziehe mich vor allem auf den Begriff Populismus, den Linke und Grüne gegen „unbequeme Gedanken“ (Adorno) wie ein Schwert erheben, um Schweigen zu erzwingen. Die AKP-Islamisten sind „smart people“ und verfolgen genau, was im Westen geschieht. Nun haben sie zusätzlich zu dem Vorwurf der Islamophobie auch den des Populismus von europäischen Linken gelernt, den sie gegen sich offen artikulierende Politiker wie den österreichischen Bundeskanzler Kern und seinen Außenminister Kurz verwenden. Reicht dieses Beispiel nicht aus, um die schändliche Keule „Populismus“ zugunsten von sachlichen Argumenten aus dem Verkehr zu ziehen?

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