Israel "Zum Shoppen geht dann keiner"

Der Geschäftsführer der Deutsch-Israelischen Handelskammer, Grisha Alroi-Arloser, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Folgen des Krieges im Nahen Osten.

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Nicht nur die Kämpfe belasten die Wirtschaft in Tel Aviv. Die Soldaten fehlen auf den Feldern und in den Fabriken Quelle: dpa

Wirtschaftswoche: Herr Alroi-Arloser, wie geht es Ihnen in Tel Aviv nach vier Wochen Krieg?

Grisha Alroi-Arloser: Den Umständen entsprechend gut. Wir haben hier natürlich mitten in der Wirtschaftsmetropole Tel Aviv immer wieder den Raketenalarm mitbekommen. Wer das zusammen mit Mitarbeiterinnen erlebt, die schwanger sind, mit Mitarbeitern, deren Söhne Soldaten sind, leidet schon mit. Wenn man nachts um halb drei eine Minute Zeit hat, sich aus der Wohnung in den Luftschutzkeller zu begeben ... also zuträglich für das Nervensystem ist so etwas nicht.

Wie sind denn deutsche Unternehmen betroffen, die Ihre Kammer betreut? Ändert sich durch den Krieg etwas an den bilateralen Wirtschaftskontakten?

Konkrete Einflüsse auf deutsche Unternehmen sind nicht zu erkennen. Manche Geschäftsreisen werden vielleicht abgesagt. Wir als Kammer hätten Ende August zwei Delegationsreisen aus Baden-Württemberg und aus Berlin mit Unternehmern und Politikern begrüßen können. Die sind ausgefallen. Bedauerlich, aber mehr Schaden sehe ich nicht.

Und generell – leidet die israelische Wirtschaft unter diesem Krieg? In Tel Aviver Zeitungen war zu lesen, der Gazakrieg würde das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2014 um 0,75 bis ein Prozent verringern – ungefähr zwei Milliarden Euro – aber das war eine Schätzung zu Anfang des Krieges.

Die israelische Wirtschaft ist krisengeprüft, das war ja nicht der erste Krieg. Was Unternehmen wirklich spüren, ist die Einziehung der Reservisten zur Armee - die meisten dieser 86.000 Menschen sind ja berufstätig.

Ziemlich genau 2,5 Prozent der Beschäftigten im Land.

Die bekommen zwar vom Verteidigungsministerium ihren Gehaltsausfall ersetzt, aber ihre Arbeitskraft fehlt natürlich in den Betrieben.

Zur Person

Und was machen Unternehmen dann?

Im Grenzgebiet zum Gazastreifen, wo es viel Landwirtschaft gibt, konnte man seit Kriegsbeginn kaum arbeiten. Aber überall in Israel leiden vor allem Dienstleistungen und Konsum.

Warum?

Weil die Leute kein Geld ausgeben und sich nicht vergnügen wollen, wenn Krieg ist. Natürlich geht es den Israelis viel besser als den Menschen im Gazastreifen und sie kaufen Lebensmittel, aber zum Shoppen ins Einkaufszentrum geht keiner. Restaurants und Kinos haben während des Krieges auch nichts zu tun. Und für die ist das schlimmer als für den Handel: Das T-Shirt, das ich erst einmal nicht kaufe, kaufe ich eben in ein paar Wochen, wenn der Krieg vorbei ist. Ich gehe aber nicht extra zwei Mal ins Kino, weil ich vorigen Monat nicht im Kino war.

"Lieber ungeliebt und lebendig, als beliebt und tot"

Was kostet ein Tag Krieg eigentlich den israelischen Staatshaushalt? Wie wird das finanziert? Steuern, Staatsverschuldung?

Die direkten Kosten des Krieges für den Staatshaushalt wurden Anfang August auf 2,5 Milliarden Schekel geschätzt, das sind umgerechnet 540 Millionen Euro. Das muss über Steuern und über Budgetkürzungen finanziert werden, aber da steht noch gar nichts fest. Das wird auch noch nicht öffentlich thematisiert.

Vorige Woche flogen viele Fluggesellschaften kurze Zeit aus Sicherheitsgründen nicht nach Tel Aviv. So etwas muss doch ganz schädlich sein, für Unternehmen und für die Stimmung überhaupt.

Ich war selber in London, als das anfing. British Airways flog zum Glück weiter nach Tel Aviv. Als Israeli hat man dann nur den Drang, dass man unbedingt schnell nach Hause will. Grundsätzlich ist das Gefühl schon schlimm, dass man nicht herein- oder nicht herauskommt.

Fünf Fakten über Israel

Und der Tourismus? 2013 kamen nach Israel immerhin 3,5 Millionen ausländische Besucher.

Da sieht es katastrophal aus. Manche Hotels stehen völlig leer, für die kommenden Wochen sind etwa 30 Prozent der schon gebuchten Reisen annulliert. Das macht insgesamt einen Schaden von umgerechnet etwa 760 Millionen Euro aus.

In Israel hat sich die Nachricht verbreitet, die Tunnel der Hamas seien mit Baumaschinen von Bosch gegraben worden. Bosch hat jetzt wohl in Israel ein Problem.

Nein. In früheren Kriegen haben ausländische Unternehmen schon aus eigener Schuld solche Probleme in Israel gehabt. Etwa im Krieg von 1973, als man merkte, dass die feindlichen Armeen mit Nachtsichtgeräten aus Österreich kämpften. Aber normale Baumaschinen, die Hamas irgendwo auf dem freien Markt gekauft und nach Gaza gebracht hat?

Ganz allgemein: Wie schauen die Israelis in der jetzigen Situation auf Deutschland?

Es gibt natürlich viel näherliegende Sorgen. Mir wird schon speiübel, wenn ich auf einige Demonstrationen schaue. Ganz allgemein haben die Israelis schon ein mulmiges Gefühl – gegenüber ganz Europa. Aber ich bin lieber unbeliebt und lebendig als beliebt und tot.

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