Italien Berlusconi: Minister im Müll

Weg mit dem Dreck in Neapels Straßen, runter mit den Schulden und den Steuern – die neue Regierung Berlusconi will in Italien kräftig aufräumen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Müll aus Neapel wird vor der Quelle: dpa

Es war eine Steilvorlage für Italiens Karikaturisten: Kurz bevor Silvio Berlusconi die Minister seiner vierten Regierung zur ersten Kabinettssitzung inmitten des neapolitanischen Mülldesasters zusammentrommelte, versuchte er Aufbruchstimmung zu verbreiten. „Die Erwartungen sind enorm, aber ich werde Sie nicht enttäuschen“, kündigte Berlusconi an, um gleich darauf hinzuzufügen, er besitze leider keinen Zauberstab. Seitdem wird Berlusconi von italienischen Zeitungskarikaturisten als Mischung aus Merlin und Harry Potter mit Magier-Hut, Sternen-Umhang und Zauberstab verspottet. „Weg mit der Immobiliensteuer“, ruft Berlusconi auf einer Zeichnung und schwingt vor einem Familienheim den Zauberstab. „Oh mein Gott“, japst der Familienvater entsetzt, denn mit der Steuer verpufft auch gleich das ganze Haus. „Ich erledige die Dinge im großen Stil“, kommentiert ein grienender Berlusconi.

Auch ohne Zauberstab: Die „Ici“, eine Art Grundsteuer für Eigenheimbesitzer, soll wegfallen. Die Steuerabschaffung hatte Berlusconi im Wahlkampf versprochen. Ein anderes Vorhaben ist ihm nicht gelungen: Statt aus zwölf, wie angekündigt, besteht sein Kabinett aus 21 Ministern. Einige davon fallen allenfalls durch Ansehnlichkeit auf, etwa das 32-jährige Ex-Showgirl Mara Carfagna, die jetzt als Ministerin für Chancengleichheit auf der Politikbühne erscheint. Oder die 1977 geborene Ministerin Giorgia Meloni, die sich um die Jugendpolitik kümmert. Infrastruktur- und Verkehrsminister Altero Matteoli, Unternehmer mit dem Spitznamen „der Buchhalter“, dagegen soll möglichst sofort mit dem Bau der Brücke über der Meeresenge von Messina beginnen.

Wie die neuen Wohltaten von Italiens Regierung in Einklang zu bringen sind mit Brüsseler Forderungen, die Staatskonten zu sanieren, bleibt offen

Langjährige Regierungserfahrung hat einzig Giulio Tremonti, der jetzt bereits das vierte Mal unter Berlusconi als Wirtschafts- und Finanzminister dient. Er ist der „Omnipräsente, ohne dessen Gunst derzeit nichts geht“, wie der Regierungschef Berlusconi selbst sagt. In Neapel verhieß Tremonti auch eine Senkung der Einkommensteuer und verkündete überraschend einen Pakt mit Italiens Banken.

Diese sollen die Raten von Immobilienkrediten auf das Vorkrisen-Niveau von 2006 zurückführen. Davon könnten 1,25 Millionen Familien profitieren. Steuergeschenke und Zins-Pakt gemeinsam könnten jeder Familie direkt mehr als 1400 Euro pro Jahr in die Kasse spülen, rechnete die Zeitung „Sole 24 Ore“ vor. Das ist mehr als ein zusätzliches durchschnittliches Monatsgehalt. Minister Tremonti will hingegen an der Steuerschraube für Banken, Versicherungen und Ölfirmen drehen, die seiner Meinung nach in den vergangenen Jahren „Konjunkturprofite“ abgeschöpft hätten. Einzelheiten behielt er bislang für sich.

Ebenso offen lässt Berlusconis starker Mann, wie die neuen Wohltaten in Einklang zu bringen sind mit Brüsseler Forderungen, die Staatskonten zu sanieren. Dem Juristen und Universitätsprofessor Tremonti fehlen nach eigener Schätzung rund 20 bis 30 Milliarden Euro, um 2011 einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren zu können. Er werde den Sanierungskurs seines Vorgängers Tommaso Padoa-Schioppa fortsetzen, sagte er zwar seinen besorgten EU-Kollegen zu. Doch die haben Tremonti nicht gerade als Europa-Freund in Erinnerung.

Auch sonst plant die Regierung Berlusconi in großem Stil. Das gilt vor allem für die Brücke zwischen Sizilien und dem italienischen Festland. Sechs Milliarden Euro sind dafür veranschlagt; schon 2016 sollen stündlich 6000 Fahrzeuge und täglich 200 Züge die gigantische Brücke überqueren. Nicht nur die Opposition, auch der Industrieverband Confindustria hält andere Infrastrukturprojekte für wichtiger; etwa die Straßen vor und hinter der geplanten Brücke oder den Ausbau der „Autostrada del Sole“ zwischen Mailand und Neapel. Zudem würde wohl ein großer Teil des Geldes in die Taschen der Mafia fließen. Die Brücke werde nicht zwei Küsten, sondern zwei Clans verbinden – die kalabresische ’Ndrangheta und die sizilianische Cosa Nostra, warnt Nichi Vendola, Regionspräsident von Apulien.

Berlusconi aber wendet sich jetzt erst einmal den Müllbergen zu. Noch vor Kurzem musste er sich in Karikaturen verspotten lassen, auf denen er als „Mago“ vorn einen Müllhaufen wegzauberte, sich freudestrahlend dem Applaus stellte, während hinter ihm bereits neuer Abfall aufgeschüttet wurde. Daraufhin kündigte Berlusconi an, dass das Militär bei der Müllbeseitigung helfen werde. Als bekannt wurde, wo der Müll genau gelagert werden soll, brachen Straßenkämpfe aus. Anwohner gegen Polizei, mit Flaschen und Steinen bewaffnet die einen, mit Knüppeln und Tränengas die andern.

Jetzt will die Regierung die Deponien notfalls auch mit Gewalt durchsetzen, und Protestierenden drohen höhere Strafen. Sollte Berlusconi das Problem tatsächlich lösen, dann bietet Neapel ihm die Heiligsprechung an. „Berlusconi Santo subito – wenn er Kriminalität und Müll beseitigt“, steht auf Plakaten, die pünktlich zur ersten Kabinettssitzung in der müllgeplagten Stadt auftauchten. Bislang verschwanden die Müllberge nur im Zentrum und auf dem Weg zum Flughafen, entlang der An- und Abreiseroute der Minister und Journalisten.

Italiens Ministerpräsident Quelle: REUTERS

„Im Zentrum war das Problem ebenso wie in den touristischen Zentren eigentlich kaum vorhanden“, versucht der Präsident des kampanischen Tourismusverbandes Federalberghi, Costanzo Iaccarino, die mittlerweile aller Welt bekannten Abfallberge kleinzureden. Der Tourismus erwirtschaftet in der Region rund elf Prozent des Inlandsproduktes und sorgt für circa 40.000 feste Arbeitsplätze. „Wir zahlen den Preis für dieses Desaster, und die Rechnung wird teuer“, klagt Iaccarino. „Da können sie alle Schönheiten der Welt haben, Capri, Ischia, Pompeji, alle ohne das geringste Müllproblem, es nützt nichts.“

Sollte Berlusconi des Mülls Herr werden, würde auch das einigen Neapolitanern die Geschäftsgrundlage entziehen. Das gilt nicht nur für die Camorra, die angeblich mit der illegalen Müllentsorgung eine neue Geldquelle erschlossen hat. Auch jene Neapolitaner, die Bus-Touren zu den übelsten Müllbergen organisieren, müssten sich etwas Neues einfallen lassen. Aber um die muss man sich nicht sorgen; an Kreativität hat es den leidgeplagten Neapolitanern selten gemangelt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%