Italien „Ein zweiter Fall Amri darf nicht passieren“

Schnellere Identifizierung, Abkommen mit Maghreb-Staaten, Stabilisierung von Libyen und Zentren zur Rückführung – der neue italienische Innenminister Minniti geht die Themen Flüchtlinge und Terrorbekämpfung mit Tempo an.

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„Mehr Tempo bei der Identifizierung ist wichtig“, sagt der 60-Jährige, der in den Regierungen Letta und Renzi als Staatssekretär für die Geheimdienste und damit auch für Terrorbekämpfung zuständig war. Quelle: AP

Rom Schon Wochen vor der Bundeskanzlerin war Innenminister Marco Minniti  in Tunesien – und auch in Libyen. Seit die Balkanroute so gut wie geschlossen ist, drängt das Flüchtlingsproblem für Italien wieder. Schon 10.700 Flüchtlinge sind nach Angaben des römischen Innenministeriums seit Januar über das Mittelmeer gekommen, 35 Prozent mehr als im Zeitraum des Vorjahres. Nach Angaben der europäischen Grenzagentur Frontex kamen 2016 181.000 Menschen aus dem Süden.

Minnitis Verhandlungen im Maghreb haben ein Ziel: „Die Prozesse der Identifizierung müssen beschleunigt werden, damit es keinen zweiten Fall Amri gibt“, sagte der Minister, der mit der Regierung von Paolo Gentiloni im Dezember ins Amt kam, am Donnerstag in Rom. Der Tunesier Anis Amri, der Attentäter von Berlin, war 2011 über das Mittelmeer in Italien angekommen. Er kam in Haft, nachdem er mit anderen das Aufnahmelager in Brand gesteckt hatte und wurde im Gefängnis radikalisiert. Als die italienischen Behörden auch nach Monaten keine Antwort aus Tunis auf die Frage nach der Identifizierung bekamen, wurde Amri aus Italien ausgewiesen und gelangte als Asylbewerber nach Deutschland.

„Mehr Tempo bei der Identifizierung ist wichtig“, sagt der 60-Jährige, der in den Regierungen Letta und Renzi als Staatssekretär für die Geheimdienste und damit auch für Terrorbekämpfung zuständig war. Er sieht die Gefahr, dass sich unter die Flüchtlinge, die für viel Geld die Passage über das Mittelmeer nach Italien wagen, künftig mehr IS-Kämpfer mischen. „Seit der Rückeroberung von Sirte  sind die ‚Foreign Fighters‘, von denen viele aus Europa stammen, auf dem Rückzug aus Libyen und könnten den Weg über das Meer suchen“, sagte er in Rom.

Italien hat Anfang Februar ein Abkommen mit der libyschen Regierung geschlossen, in dem es um Wirtschaftshilfe, Bekämpfung des Menschenhandels und der illegalen Migration sowie um verstärkte Grenzkontrollen geht. „Die Stabilisierung Libyens hat Vorrang“, sagt Minniti. Die ersten 90 libyschen Seeleute sind von der italienischen Küstenwache ausgebildet worden und erhalten Unterstützung. Aber noch dürften die Schiffe des europäischen Verbands Eunavfor zur Bekämpfung des Menschenschmuggels nicht in libysche Gewässer, so Minniti.     

Ebenso wichtig sei die Sicherung der Südgrenze, meint der Innenminister. „Rückführungen nach Libyen gibt es nicht, denn für 95 Prozent der Flüchtlinge ist Libyen ein Durchgangsland.“ Das mittelfristige strategische Ziel der EU müsse es sein, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Und auch für die Terrorbekämpfung sei die Grenze im Süden Libyens wichtig.

In Brüssel forderte der EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag, dass die Rückkehrquoten verbessert werden müssten. Nationale Behörden sollen nach dem Willen der EU-Kommission härter gegen abgelehnte Asylbewerber vorgehen. Minniti unterstützte die Forderungen des EU-Kommissars. Die Regierung in Rom habe vor kurzem per Dekret festgelegt, dass innerhalb von sechs Monaten festgestellt werden müsse, ob jemand Bleiberecht habe, sagte er. Bisher dauere ein Verfahren bis zu zwei Jahren. Außerdem werden in jeder Region Italiens Zentren zur Rückführung eingerichtet, mit 80 bis 100 Plätzen, in denen abgelehnte Asylbewerber festgehalten werden können „unter Wahrung der Menschenrechte“.

Bisher gibt es nur vier solche Zentren in Italien, die ehemaligen so genannten „Hotspots“. Die EU-Kommission empfiehlt, dass Personen in Haft genommen werden können, die sich weigern, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, oder die sich unkooperativ zeigen. Die EU will 200 Millionen Euro für Rückführungen und Wiedereingliederungsprogramme zur Verfügung stellen.

Neu ordnen will Minniti auch die Abläufe für die, die bleiben können. Im Juni komme sein „Nationaler Integrationsplan“ zur Beratung ins Parlament, ein Plan, in dem von Familienzusammenführung über medizinische Versorgung bis zu Bildung und Ausbildung alle Aspekte des Lebens enthalten sein sollen. „Die Aufnahme von Fremden ist in unserer DNA“, so Minniti, „die Integration ist fundamental“. Das sehen allerdings nicht alle in Italien so. Einige Bürgermeister, meist aus dem Norden und der Lega Nord zugehörig, wehren sich dagegen, die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge zu integrieren.

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