Italien Ministerin bringt Renzi in Bedrängnis

Italiens Industrieministerin Federica Guidi tritt wegen heikler Telefonmitschnitte zurück. Sie soll ihren Freund begünstigt haben. Dahinter steckt ein Skandal. Die Opposition fordert bereits den Rücktritt des Premiers.

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Verhängnisvolle Telefonate mit ihrem Lebensgefährten. Quelle: AFP

Rom Matteo Renzi war noch in den USA, gerade in Boston, als ihn am Donnerstagabend der Brief seiner Industrieministerin erreichte. „Lieber Matteo, ich bin mir absolut sicher, mich korrekt verhalten zu haben. Dennoch gebe ich aus politischen Gründen mein Amt als Ministerin auf“, schrieb Federica Guidi. Zu dem Zeitpunkt warteten Gäste der deutschen Botschafterin in Rom, darunter Staatssekretär Matthias Machnig, noch auf die Ministerin. Guidi sollte bei einer bilateralen Konferenz über Industrie 4.0 referieren. Ihren Part übernahm ein Funktionär des Ministeriums.
„Du musst zurücktreten“, soll Renzi in einem Telefonat kurz davor der 46-jährigen Ministerin gesagt haben. Guidi wird vorgeworfen, ihren Lebensgefährten – den Unternehmer – Gianluca Gemelli begünstigt zu haben. Im Zuge von Ermittlungen im süditalienischen Potenza waren Mitschnitte von Telefonaten der Ministerin und Gemelli veröffentlicht worden.

In einem der Telefonate sagte die Ministerin, sie werde sich für Änderungen im Haushaltsgesetz einsetzen, wodurch die Erdölförderung in Süditalien wieder aufgenommen werden könne. Dabei ging es um die Anlage Tempa Rossa in der Region Basilicata. Guidis Lebensgefährtem Gemelli gehören zwei Firmen, die Subunternehmer bei der Erdölförderung sind. Das Telefonat wurde im Dezember 2014 geführt, als im italienischen Parlament der Haushalt 2015 verhandelt wurde.

Es geht im Fall Guidi offenbar um einen Interessenkonflikt – und damit um genau das, was Renzis Partei lange Jahre Silvio Berlusconi vorgeworfen hatte: die Vermischung von Amt und Geschäft. Vor einem Jahr war bereits Verkehrsminister Maurizio Lupi zurückgetreten – auch da ging es um einen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen.

Gegen Federica Guidi selbst wird nicht ermittelt, aber Gemelli wird von Untersuchungsrichtern vorgeworfen, im Auftrag des französischen Energiekonzerns Total gehandelt zu haben. Das Unternehmen soll im Gegenzug versprochen haben, Gemellis Firma bei der Vergabe von Aufträgen bei der Förderanlage zu berücksichtigen.


Illegale Abfallentsorgung bei einer Erdölanlage

Und es geht um den Vorwurf der illegalen Entsorgung von Abfällen der Erdölanlage. Der Energiekonzern ENI betreibt die Anlage Tempa Rossa. Die Produktion wurde am Donnerstag nach der Festnahme von sechs Angestellten ausgesetzt. Die Mitarbeiter werden verdächtigt, gefährliche Abfälle als harmlos deklariert zu haben, um sie einfacher entsorgen zu können. Fünf Angestellte des Ölkonzerns ENI in Viggiano nahe von Potenza sind im Rahmen einer parallel laufenden Untersuchung wegen des Verdachts der illegalen Giftmüll-Entsorgung unter Hausarrest gestellt worden.
Ein Riesenskandal also, den Premier Matteo Renzi gerade überhaupt nicht brauchen kann. Anfang Juni werden Kommunalwahlen in allen großen Städten stattfinden und seine Regierungspartei PD hat keine starken Kandidaten. Die Opposition fordert schon Renzis Kopf. Die Bewegung 5Stelle will einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen. Noch hat die Regierungskoalition eine Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments, aber die innerpolitische Kritik an Renzi wächst im Partito Democratico (PD).

Die Industriepolitik spielt eine wichtige Rolle beim Kampf der italienischen Regierung um Wirtschaftswachstum nach der dreijährigen Rezession. Noch am Tag vor ihrem Rücktritt – die Veröffentlichung der Telefonate kam für alle überraschend – hatte Federica Guidi, selbst Unternehmerin, in einem großen Zeitungsinterview gefordert, dass die geplanten Privatisierungen und Liberalsierungen endlich an Fahrt aufnehmen müssten.

Das Konkurrenz-Gesetz, vor einem Jahr von der Regierung Renzi beschlossen, liegt immer noch im Parlament und Berufsstände wie Notare, Apotheker und Taxifahrer wehren sich heftig und mit Hilfe einflussreicher Lobbyisten gegen Änderungen. Der Internationale Währungsfond hat ausgerechnet, dass Liberalisierungen das Bruttoinlandsprodukt Italiens in fünf Jahren um 3,3 Prozent steigen lassen könnten.
Bis es einen Nachfolger gibt, übernimmt Renzi selbst das Amt des Industrieministers. Aber in Rom sind schon mehrere Kandidaten im Gespräch: Andrea Guerra, der ehemalige Chef von Luxottica, und Teresa Bellanova, die seit Januar Vizeministerin im Industrieministerium ist. Und es wird auch spekuliert, ob Renzi als neuen Industrieminister nicht seinen Vertrauten Carlo Calenda nach Rom zurückholt, der bis vor kurzem Vizeminister von Guidi war. Ihn hatte der Premier gerade als Vertreter Italiens nach Brüssel geschickt.

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