Italien vor dem Referendum „Ja oder Niemals“

Am Sonntag stimmen die Italiener ab, ob sie ein moderneres und berechenbareres Land haben wollen. Fällt die Verfassungsreform bei der Volksabstimmung durch, droht Premier Matteo Renzi das politische Aus.

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epa05657370 A handout image released by the Palazzo Chigi press office shows Italian Prime Minister Matteo Renzi (C) delivering his speech during the campaign for to vote 'Yes' in the 04 December Costitutional Referendum, in Florence, Italy, 02 December 2016. The crucial referendum is considered by the government to end gridlock and make passing legislation cheaper by, among other things, turning the Senate into a leaner body made up of regional representatives with fewer lawmaking powers. It would also do away with the equal powers between the Upper and Lower Houses of parliament - an unusual system that has been blamed for decades of political gridlock. EPA/TIBERIO BARCHIELLI / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Rom Sonntagabend um 23 Uhr schließen die Wahllokale. Dann wird es eine lange Nacht der Auszählung geben, auch wenn eine einfache Mehrheit reicht bei diesem Referendum. Stimmen die Italiener dem Kurs von Premier Matteo Renzi zu, der die Verfassung ändern will, um das Land besser regierbar zu machen und die Kosten der Politik zu senken, kann er sein Reformprogramm weiterführen. Im Februar ist der 41-jährige frühere Bürgermeister von Florenz drei Jahre im Amt.

Und in seiner Heimatstadt, auf der Piazza della Signoria im Herzen der Medici-Stadt, endet auch seine Kampagne für das „Ja“ zur Verfassungsänderung. Ein Marathon durchs ganze Land: Am Donnerstagabend war er in Neapel und am Freitag erst in Palermo, dann in Reggio Calabria und schließlich in Florenz – ein Turbo-Abschluss nach monatelangem Wahlkampf für die Verfassungsänderung, zu dem auch zahllose Auftritte in Talkshows und mindestens einmal pro Woche der Livechat „Matteo antwortet“ direkt aus dem Regierungssitz gehörten. Am Samstag ist dann kein Wahlkampf mehr.

„Mit dem ‚Ja‘ gibt es Veränderungen und es werden Politikerposten eingespart – mit dem ,Nein‘ wird alles für Jahrzehnte blockiert“, sagt Renzi auf den Bühnen und Plätzen, „die Alternative ist Ja oder Niemals“. In seinem letzten Interview vor der Wahl sagte er im „Corriere della Sera“: „Wir entscheiden über die nächsten 20 Jahre.“

Nur einen Punkt umschiffte er wortreich wie immer: was mit ihm und seiner Regierung passiert, wenn die Italiener dagegen stimmen. Das klingt dann so: „Ich mache mir keine Sorgen um mich, aber um meine Kinder. Ich möchte, dass sie in einer Welt aufwachsen, die die Politik nicht hasst.“ Will er denn nun zurücktreten am Montag? „Ich kann Stabilität garantieren“, antwortet er auf die Frage, „aber ich werde niemals der Garant des Stillstands sein. Wenn wir mit dem Kurs der Veränderung weitermachen, bin ich dabei“. Damit hat er wieder nicht klar gesagt, wie seine politische Zukunft aussieht.

Je länger die Kampagne um die Verfassungsänderung dauerte – beide Parlamentskammern hatten schon im April definitiv die Reform abgesegnet – umso mehr gerieten die Inhalte in den Hintergrund. Der wichtigste Punkt der Verfassungsreform ist die Überwindung des perfekten Zweikammersystems, das bis jetzt die Gesetzgebung und Entscheidungsprozesse behindert hat. Außerdem sollen die Politikkosten gesenkt werden. Gewinnt das „Ja“, wird der Senat künftig nur noch 100 statt 315 Abgeordnete haben und in der Arbeitsweise und Zusammensetzung dem Bundesrat ähneln.

Zuletzt ging es nur noch um Politik pro und contra die Regierung. Und das mit immer schrilleren und geschmackloseren Töne, vor allem in den TV-Talkshows, in denen nur noch geschrien wurde. Dafür ist Renzis größter Gegner verantwortlich: Beppe Grillo, der ehemalige Komiker und Chef der Protestbewegung „Movimento 5 Stelle“ (M5S). Das Duell Renzi – Grillo wurde immer heftiger, je näher das Wahldatum rückt.


Grillo nennt Renzi eine „verwundete Wildsau“

Der 68-jährige Grillo aus Genua beendete die Kampagne für ein „Nein“ am Freitagabend in Turin und ging damit auf Nummer sicher, denn in Turin wie in Rom hatten die M5S bei den Kommunalwahlen das Rathaus erobert. Auf der Bühne und in seinem Blog sparte er nicht mit Anwürfen, nannte Renzi eine „verwundete Wildsau“ und sagte „Renzi ist wie eine Seifenblase, wir können nicht zulassen, dass diese Serien-Killer über unser und das Leben unserer Kinder bestimmen, das ist kein Votum für oder gegen die Verfassung, wir müssen sie nach Hause schicken.“

In letzter Minute ist auch Silvio Berlusconi wieder aufgetaucht. „Die Reform hat sich Renzi wie einen Anzug maßgeschneidert“, sagte der 80-Jährige zur besten Sendezeit im TV, „am Ende kontrollieren dann seine PD-Abgeordneten zu 60 Prozent den Senat.“ Er werde nach dem 4. Dezember bekannt geben, ob er wieder antritt. So hat jeder sein eigenes Kalkül.

Viele Italiener wollen Renzi einfach abwatschen. An die politischen und ökonomischen Konsequenzen denken sie nicht. Am Horizont stehen für Italien erneut politische Instabilität und das vorläufige Ende des Reformkurses der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Und ein Vormarsch des Populismus, wenn Grillos Partei weiter zulegt.

Die italienischen Unternehmer stützen geschlossen den Premier, von Nord bis Süd. Sie sehen klar den Zusammenhang zwischen Reform und Berechenbarkeit Italiens, größerer politischer Stabilität, besserem Ansehen im Ausland und besseren Konditionen für Investoren.

Wie sind die Szenarien für den Tag danach? Stabilität beim „Ja“, Neuwahlen schon 2017 statt wie vorgesehen 2018 beim „Nein“. Entweder macht Renzi weiter mit einer erweiterten Koalition, um das Wahlrecht zu reformieren oder eine Technikerregierung wie schon 2011 führt die Geschäfte – das heißt Stagnation statt Reformen.

Seit zwei Wochen werden keine Umfragen mehr veröffentlicht. In den letzten lagen die „Nein“-Befürworter klar vorn. Doch es scheint sich etwas zu bewegen im Land. „Jetzt steht es Spitz auf Knopf, das wird ganz knapp“, sagt ein enger Mitarbeiter Renzis.

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