Jeffrey Sachs "Investitionen stoppen Flüchtlinge"

Starökonom Jeffrey Sachs nerven Hilfszahlungen für Flüchtlinge im Nahen Osten. Im Interview erklärt er, warum Afrika das Geld viel dringender braucht und wie hoch die Entwicklungshilfe pro Jahr sein sollte.

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Jeffrey Sachs. Quelle: AP,AP

WirtschaftsWoche: Herr Sachs, die Flüchtlingskrise bedroht Europas Zusammenhalt, knapp fünf Millionen Syrer sind noch auf der Flucht. Wie viel Entwicklungshilfe brauchen wir, damit sie in ihr Land zurückkehren können?

Jeffrey Sachs: Die Menschen in Syrien fliehen vor dem Krieg, also sollten wir ihn schnellstmöglich beenden. Danach gehen viele Flüchtlinge nach Hause, und die Krise entschärft sich.

Sie sprechen sich gegen mehr Entwicklungshilfe für die Region aus?

Zur Person

Jeden Tag fließen riesige Summen in Kriegsregionen. Ganz ehrlich: Ich mag das nicht. Aus meiner Sicht sollten Saudi-Arabien und die USA die Verantwortung für den Wiederaufbau Syriens übernehmen. Der amerikanische Geheimdienst CIA und die Saudis wollten Diktator Baschar al-Assad stürzen. Das hat nicht funktioniert – und dieses Eingreifen ist die wichtigste Ursache der heutigen Krise. Deutsche und europäische Entwicklungshelfer sollten sich auf Afrika konzentrieren. Dort leben wirklich arme Menschen, die Hilfe brauchen.

Die EU-Kommission will für afrikanische Länder einen Fonds auflegen. Wer Flüchtlinge aufhält, soll finanziell belohnt werden. Wer nicht kooperiert, bekommt weniger Geld.

Am dringendsten bräuchten wir einen globalen Bildungsfonds. Die meisten Kinder in Afrika können derzeit keine weiterführende Schule besuchen, was direkt in die Armut führt. Viele machen sich dann auf den Weg übers Mittelmeer und ertrinken. Zudem benötigen wir deutlich mehr Investitionen in die Infrastruktur: Bahngleise, Straßen, Internet und vor allem Elektrizität. Afrika ist der letzte Ort auf der Welt, an dem vielerorts keine Stromversorgung existiert. Wenn es künftig brauchbare Infrastruktur und eine gebildete Arbeiterschaft gibt, siedeln sich mehr Unternehmen in Afrika an.

Wie viel Geld kostet das?

Für Gesundheit und Bildung etwa 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Allein für Infrastrukturprojekte könnten in Afrika zudem bis zu 200 Milliarden Dollar jährlich zusätzlich anfallen. Die Infrastruktur sollten wir über gering verzinste und langfristige Kredite finanzieren. Wir haben einen riesigen Überschuss an Ersparnissen in der ganzen Welt. Private Investoren wissen nicht, wo sie das Geld anlegen sollen. Weist ihnen die öffentliche Hand den Weg, werden diese folgen.

Warum chinesische Entwicklungshilfe effektiver ist

Einer der größten Geldgeber für Afrika ist die chinesische Entwicklungsbank.

Sie investiert riesige Summen in afrikanische Kraftwerke und Straßen. Für den Kontinent ist das extrem wertvoll.

Die Chinesen bringen ihre Arbeiter mit. So entstehen keine Jobs.

Das stimmt. Aber die Infrastruktur generiert andere Geschäfte und damit Arbeitsplätze. Die chinesische Entwicklungsstrategie ist viel erfolgreicher als die europäische: Erst Straßen und Kraftwerke bauen, dann folgt auch der Rest der Wirtschaft.

China interessiert sich nicht dafür, ob es in Diktaturen investiert. Für Sie ein Problem?

Die Chinesen interessieren sich nur für ihre Bauprojekte. Ich halte das für sinnvoll. Die Hoffnung europäischer Politiker, Entwicklungsgelder und Investitionen an Bedingungen knüpfen zu können, ist noch kein einziges Mal aufgegangen.

Das Reich der Mitte hat derzeit mehr Geld zur Verfügung als der Westen.

Wir reden ja nicht über riesige Summen, etwa drei oder vier Billionen Dollar im Jahr – bei einer weltweiten Wirtschaftsleistung von etwa 110 Billionen Dollar. Einen Großteil davon sollen außerdem private Investoren beisteuern.

Europas Bürger sollen also investieren wie Chinesen?

Jedenfalls sollten vor allem die Deutschen ihre übertriebene Austeritätspolitik mal vergessen und ihr Erspartes investieren, am besten in Afrika. Schon aus Eigeninteresse. Denn nur solche Investitionen stoppen Flüchtlingsströme dauerhaft.

Das Interview wurde im Rahmen der Konferenz „Mercator Climate Lecture 2016“ in Berlin geführt.

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