Nach israelischen Luftangriffen im Gazastreifen und Protesten im Heiligen Land gegen die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch die USA ist die Zahl der getöteten Palästinenser auf vier gestiegen. Dies teilte das palästinensische Gesundheitsministerium am Samstag mit. Im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und im Gazastreifen kam es erneut zu Unruhen.
Mindestens 92 Menschen wurden nach Angaben des palästinensischen Rettungsdienstes Roter Halbmond verletzt, unter anderem in Bethlehem. Die israelische Polizei meldete vier verletzte Polizisten. 13 Palästinenser wurden festgenommen.
Bei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen wurden in der Nacht zu Samstag zwei Menschen getötet und 15 verletzt. Unter den Verletzten befinde sich auch ein sechs Monate altes Baby, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium mit. Die beiden Toten waren Mitglieder der radikal-islamischen Hamas gewesen, wie die Organisation selbst sagte.
Was Sie zum Streit um Jerusalem wissen müssen
Der künftige Status Jerusalems ist eine der zentralen Streitfragen im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Mit Ende des britischen Mandats hatten die Vereinten Nationen sich 1947 für eine internationale Verwaltung der Stadt ausgesprochen, die von Gläubigen aller drei Weltreligionen als Heiligtum verehrt wird.
Im ersten Nahost-Krieg 1948 besetzten der neu gegründete Staat Israel jedoch den westlichen und Jordanien den östlichen Teil Jerusalems. Damit war die Stadt de facto geteilt. Während des Sechs-Tage-Kriegs 1967 eroberte Israel dann auch den arabisch geprägten Ostteil Jerusalems und beansprucht seither die ganze Stadt als seine „ewige und unteilbare Hauptstadt“. Den Anspruch der Palästinenser auf den Ostteil als künftige Hauptstadt eines unabhängigen Palästinenserstaats lehnt Israel ab.
Verschiedene Lösungsvorschläge der USA sahen eine Aufteilung der Stadtgebiete unter Israelis und Palästinensern vor. „Was jüdisch ist, bleibt jüdisch, was arabisch ist, wird palästinensisch“, lautete die Formel des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Der frühere US-Außenminister John Kerry sprach von einer „international anerkannten Hauptstadt zweier Staaten“, betonte aber, eine erneute Teilung sei nicht erstrebenswert.
Brennpunkt der religiösen Spannungen in Jerusalem ist der Tempelberg in der Altstadt - für Muslime „Al-Haram al-Scharif“ (Das edle Heiligtum). Hier standen ehemals jüdische Tempel, heute beten an der Stelle Muslime in der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom mit seiner vergoldeten Kuppel. Der heilige Ort steht offiziell unter muslimischer Verwaltung. An der allein stehengebliebenen Westmauer des ehemaligen jüdischen Tempelbezirks, der Klagemauer, beten die Juden. Auch für die Christen sind viele Stätten in der Stadt heilig, vorrangig darunter die Grabeskirche in der Altstadt.
Israels Luftwaffe reagierte mit dem Beschuss in Gaza auf Raketenangriffe aus der Küstenenklave. Sie griff nach Armeeangaben vier Standorte der radikal-islamischen Hamas an: zwei Waffenfabriken, ein Waffenlager und einen Militärstützpunkt. Bereits am Freitag waren bei Unruhen nach palästinensischen Angaben zwei Menschen getötet worden.
Die Arabische Liga befasst sich am Samstagabend in einer Dringlichkeitssitzung mit der umstrittenen Entscheidung von US-Präsident Donald Trump. Es wird erwartet, dass die Staatengemeinschaft bei ihrem Treffen in Kairo scharfe Kritik an der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels üben wird. In der Arabischen Liga sind 21 Staaten aus dem Nahen Osten und Nordafrika sowie die palästinensischen Autonomiegebiete zusammengeschlossen.
Trump hatte am Mittwoch entgegen internationaler Gepflogenheiten Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Israel beansprucht ganz Jerusalem als seine unteilbare Hauptstadt. Dieser Anspruch wird international nicht anerkannt. Die Palästinenser wollen in dem von Israel annektierten Ost-Jerusalem die Hauptstadt eines künftigen Palästinenserstaates ausrufen.
Die Hamas rief am Samstag die Palästinenser wegen Trumps Entscheidung erneut zu einem Aufstand (Intifada) gegen Israel auf.
Die für Sonntag angekündigte Übergabe der Kontrolle des Gazastreifens an die gemäßigte Palästinenserbehörde könnte sich weiter verzögern. Am Samstag gab es von der Autonomiebehörde keine Informationen über einen möglichen Zeitplan. Die noch im Gazastreifen herrschende Hamas nannte erneut Sonntag als geplanten Tag der Übergabe, gab aber keine weiteren Details bekannt.
Die beiden größten Palästinenserorganisationen, die Fatah von Präsident Mahmud Abbas sowie die Hamas, hatten nach mehr als zehnjährigem Bruderzwist am 12. Oktober in Kairo ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet. Im Zuge der Jerusalem-Krise hatten beide Seiten ihre Absicht bekräftigt, die innerpalästinensische Spaltung zu überwinden.
Am Freitagabend war eine Rakete aus dem Gazastreifen in der südisraelischen Stadt Sderot eingeschlagen. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Haaretz“ wurden Autos beschädigt, Verletzte gab es keine. Die israelische Raketenabwehr fing ein weiteres Geschoss ab, von einer dritten Rakete wurde zunächst kein Einschlag gemeldet.
„Die Raketen, die auf israelische Gemeinden abgefeuert wurden, sind ein schwerer Akt der Aggression“, teilte die Armee mit. „Die Hamas ist verantwortlich für diese Angriffe, die das Leben von Zivilisten bedrohen, und alle Aktionen, die vom Gazastreifen ausgehen.“
Zwei radikale Palästinensergruppierungen bekannten sich am Samstag zu den Raketenangriffen: sowohl die Al-Aksa-Brigaden, der militärische Arm der Fatah-Bewegung, als auch die Gruppe Volkswiderstandskomitees, die der Hamas nahesteht. Die Al-Aksa-Brigaden folgen nicht der Linie von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der als gemäßigter gilt.
Trump hat angesichts der Unruhen zu „Ruhe und Mäßigung“ aufgerufen. Das sagte Trumps Sprecher Raj Shah zu Journalisten an Bord der Präsidentenmaschine Air Force One, die Trump am Freitagabend (Ortszeit) zu einer Veranstaltung nach Florida brachte. Shah betonte, dass Trump weiterhin eine „dauerhafte Friedensvereinbarung zwischen Israelis und Palästinensern“ anstrebe.
Der Chefdiplomat des Papstes, Kardinal Pietro Parolin, bezeichnete die neue Gewalt im Heiligen Land als beunruhigend. „Hoffen wir, dass jetzt nicht ein Prozess beginnt, der mehr Gewalt und Spannungen bringt“, sagte der Kardinalstaatssekretär dem Sender TV2000 am Freitag in einem Interview.
Eine Interessensvertretung der Flüchtlingslager der Vereinten Nationen im Westjordanland erklärte am Samstag, Mitarbeitern mit US-Pässen den Zutritt zu ihren Büros verweigern zu wollen.
Der Palästinensische Apothekerverband rief zu einem Boykott von Medikamenten aus den USA auf.
Als Reaktion auf Trumps Erklärung war es seit Donnerstag zu Unruhen im Heiligen Land gekommen. Am Freitag waren Tausende Palästinenser nach den Freitagsgebeten in Jerusalem, dem Westjordanland und dem Gazastreifen auf die Straße gegangen. Vor allem Jugendliche verbrannten US-Flaggen und warfen Steine und Flaschen auf Soldaten.