Der liebste Verkäufer von Martin Rotermund hat zwei Achsen, sechs Räder und wiegt 12,5 Tonnen. Es ist ein Bus mit der Aufschrift „Rittal – Das System. Schneller – besser – überall“, allerdings auf Englisch. Der blecherne Verkäufer auf der Plattform eines Lkw fährt jede Woche bei einem Unternehmen in Südkorea vor, das noch nicht bei Rittal kauft. Dessen Mitarbeiter dürfen den Bus dann besteigen und die Schaltschränke von Rittal auf Herz und Nieren prüfen.
„Der Kunde soll verstehen, dass ein Schaltschrank kein einfacher Behälter ist, sondern ein fundamentaler Anlagenbestandteil“, doziert Rotermund, Südkorea-Chef des Anlagenbauers Rittal aus dem hessischen Herborn. Seine Leidenschaft für das wichtigste Produkt des deutschen Mittelständlers hat in Südkorea Früchte getragen: Rittal ist in dem Land seit 2002 jährlich um 25 Prozent gewachsen. Zu den größten Erfolgen gehört die komplette Umstellung der Produktionsanlagen zweier Industrieriesen auf Rittal: beim weltweit fünftgrößten Autobauer Hyundai Motors und beim siebtgrößten Reifenherstellers Hankook Tire.
Womit Südkorea punktet - und womit nicht
Mit Südkorea geht es steil bergauf: Vergangenes Jahr wuchs die Wirtschaft um 3,6 Prozent - 2012 sind laut OECD mehr als vier Prozent drin. Der Boom basiert auf Investitionen in High-Tech-Ausrüstungen, wo auch deutsche Güter nachgefragt werden.
Zwar ist Südkorea offener und aufgeschlossener als Japan - auch gegenüber Zulieferern aus Deutschland. Aber die Wirtschaft dominieren Konglomerate, die Chaebol. Wer große Aufträge an Land ziehen will, muss bei den Riesen lange die Klinke putzen.
Südkorea lockt mit einer jungen und kreativen Forscher-Elite, die Technik-Innovationen aus Asien und den Rest der Welt entwickelt. Wer als deutsches Unternehmen auf den Wachstumsmärkten im Osten Erfolg haben will, sollte in Südkorea Produkte entwerfen.
Die Deutschen lieben präzise Planung - Südkoreaner bauen zuweilen die Fabrik, bevor das Produkt marktreif ist. Für Manager von hier birgt das einen Spagat: Zuhause müssen sie die Ansprüche der flinken Koreaner rechtfertigen, im Lande um Verständnis für deutsche Gründlichkeit werben.
„Wir sehen noch viel Potenzial, da Korea zu den zehn größten Industriemärkten gehört“, sagt der 48-jährige Deutsche. Bis 2015 soll sich der heutige Umsatz von Rittal in Südkorea in zweistelliger Millionenhöhe verdoppeln und bis 2017 verdreifachen. Ende nächsten Jahres zieht Rotermund mit Rittal in ein größeres Gebäude in der Freihandelszone Songdo nahe dem Internationalen Flughafen von Seoul. Dort gibt es Subventionen und Steuernachlässe. Für 2013 hat sich Rotermund den Technologiegiganten Samsung Electronics und die Hyundai-Tochter Kia vorgenommen. Das neue Kia-Werk in China rüstet Rittal vollständig mit seinen Schaltschränken und Klimaanlagen aus.
Vorteile bei Absatz, Einkauf und Logistik
Die Erfolgsgeschichte von Rittal in Südkorea zeigt das Potenzial des ostasiatischen Landes. Die Wirtschaft legt seit der Jahrtausendwende im Schnitt um jährlich fünf Prozent zu. Rund 50 Millionen Einwohner hat das Land, die relativ junge Bevölkerung hat ein Pro-Kopf-Einkommen von knapp 24 000 Dollar. Die Industrie konzentriert sich ganz auf den Export. „Korea ist das Deutschland Ostasiens“, meint Lee Suk-geon, Chef der frisch gegründeten Landesfiliale der deutschen Unternehmensberatung Roland Berger in Seoul.
Steckbrief Südkorea
26 Millionen Einwohner
Das BIP wuchs im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr um 3,9 Prozent
Im Jahr 2011 führte Südkorea Waren im Wert von 525 Milliarden Dollar ein.
Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen 2011 112 Milliarden Dollar
31,7 Dollar. Der Wert errechnet sich aus dem absoluten BIP geteilt durch BIP pro Person.
Südkorea ist eine Innovationenschmiede. Pro Kopf werden 1.723 Dollar in Forschung und Entwicklung investiert.
Südkorea verfügt über förderbare Ressourcen im Wert von 87 Milliarden Dollar. Damit liegt es bei den neun kommenden Absatzmärkten im oberen Mittelfeld.
Die geografische Lage zwischen den Giganten China, Japan und Russland bringt Unternehmen, die von Seoul aus operieren, Vorteile bei Absatz, Einkauf und Logistik. Der hohe Grad der Globalisierung bietet mittelständischen Ausländern viele Einstiegschancen. „Im Industriebereich ist Korea auf die Zulieferung von hochwertigen Komponenten und Maschinen angewiesen“, sagt Friedrich Stockinger, Präsident der deutschen Außenhandelskammer in Seoul und Landeschef des Maschinenbauers Trumpf aus dem schwäbischen Ditzingen. Gerade bauen der Dortmunder Pumpenproduzent Wilo, der Maschinenbauer Heller aus dem westdeutschen Hattingen, Filterspezialist Mann+Hummel aus dem württembergischen Ludwigsburg sowie der Stuttgarter Kühlexperte Behr ihr Korea-Engagement aus.
Die deutschen Unternehmen haben es vor allem auf die Lücken abgesehen, die die Produktpalette der Asiaten aufweist. „Korea klettert die Technologieleiter nach oben, deckt aber nicht die ganze Wertschöpfungskette ab“, sagt Frank Robaschik, Repräsentant von Germany Trade & Invest in Seoul. Bei den Lösungen würden oft deutsche Firmen mit entsprechendem Know-how zum Zug kommen. So brachte Rittal-Manager Rotermund seine Softwaretochter ePlan in Korea ins Geschäft; ePlan verfügt über Computerprogramme für die Elektrik von Fabriken oder Schiffen.
Das Deutschland Ostasiens
Die Startchancen deutscher Firmen sind aus historischen Gründen gut. Die Bundesrepublik hatte in den Sechzigerjahren den Bau der ersten Autobahn zwischen Seoul und Busan ermöglicht. Kanzler Ludwig Erhardt persönlich riet Südkoreas Machthaber Park Jun-hee, beim Wiederaufbau auf Stahl, Autos, Schiffe und Straßen zu setzen und das Heil im Export zu suchen. Heute erzielt Südkorea mit seinen Ausfuhren die Hälfte der Wirtschaftsleistung.
Korea und Deutschland sind wirtschaftlich eng verflochten. Bezogen auf die Einwohnerzahl, ist Südkorea der wichtigste deutsche Exportmarkt unter den Flächenstaaten in Asien. 2011 wuchsen die Ausfuhren um knapp ein Fünftel auf 11,7 Milliarden Euro. Das Freihandelsabkommen mit Europa, das seit Juli 2011 die Zölle schrittweise abschafft, sorgt für Extraschwung. Trotzdem entdecken Teile der deutschen Wirtschaft den Markt mit Verspätung.
Beispiel Audi: Erst nach Gründung einer eigenen Vertriebsgesellschaft vor acht Jahren ging es mit dem Absatz steil aufwärts auf 15 000 verkaufte Fahrzeuge in diesem Jahr, eine Verfünffachung. Die Gründe erzählen viel über den südkoreanischen Markt: „Wir haben für Plakatwände, Prominente und Sponsoring viel Geld investiert, um die Marke neu aufzubauen“, berichtet Audi-Landeschef Trevor Hill.
Andere deutsche Konzerne dagegen sind heute schon fest verwurzelt in Koreas Markt. Der Hamburger Kosmetikriese Beiersdorf zum Beispiel ist Koreas Marktführer für Lippenpflege, Deodorants und Sonnenschutzlotionen und die Nummer zwei bei Cremes. Nivea-Creme und -Lotion wird im Land produziert. „In Südkorea muss man sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren, in unserem Fall die Hautpflege“, sagt Landeschef Stefan Ernst.
Unvorstellbar schnell
Beim Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck gehört Südkorea zu den vier „strategischen“ Auslandsmärkten. Die Hessen liefern die Flüssigkeitskristalle für die weltgrößten TV-Hersteller Samsung und LG. Bosch ist nach 40 Jahren im Land zum wichtigsten ausländischen Zulieferer für die Autoindustrie Koreas aufgestiegen. Vor allem dank Hyundai, Kia und der General-Motors-Tochter Daewoo ist Korea der fünftgrößte Autohersteller der Welt. In diesem Jahr erweitern die Schwaben ihre Fabrik für saubere Dieseltechnologie und bauen ein neues Werk für Antriebs- und Steuerungstechnik.
Die Ansprüche sind ähnlich hoch wie in Japan. „Die Kunden erwarten hohe Qualität, eine schnelle Lieferung und die Erfüllung von Sonderwünschen“, sagt Rittal-Manager Rotermund. Das wichtigste Geschäftsprinzip in Korea heiße „balli, balli“, zu Deutsch: schnell, schnell. Darauf müssten Unternehmen sich einstellen, indem sie sich möglichst nahe am Kunden niederließen.
Die Balli-Balli-Geschäftskultur löst bei deutschen Neuankömmlingen meist den größten Kulturschock aus. „In Korea wird mit großem Selbstbewusstsein ständig Neues ausprobiert“, erinnert sich ein Top-Manager. „Und das in einer Geschwindigkeit, die sich Deutsche nicht vorstellen können.“