Kabinett von Theresa May Reichlich verwegen – und äußerst solide

Mit der Ernennung von Boris Johnson als Außenminister wertet die neue Premierministerin Theresa May dieses Amt ab. Mit dem neuen Finanzminister geht sie dagegen keine Risiken ein. Eine Analyse.

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Theresa May tritt als neue Premierministerin an – und ernennt gleich ihr neues Kabinett. Quelle: Reuters

Es ist vielleicht eine besondere Art Humor, ausgerechnet Boris Johnson zum neuen britischen Außenminister zu machen. Das gibt dem ehemaligen Londoner Bürgermeister und Wortführer der Brexit-Befürworter die Gelegenheit, dem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier seinen Vergleich zwischen Adolf Hitler und der EU mal genauer zu erklären. Im Wahlkampf vor dem britischen Referendum erklärte Johnson, die Einflussnahme der Staatengemeinschaft sei so ähnlich wie Hitlers kontinentale Machtansprüche.

Doch das ist nicht das einzige, was an der Wahl der neuen Premierministerin Theresa May verwegen und eher merkwürdig daherkommt. Es passt auf den ersten Blick einfach nicht zusammen, dass Johnson, einer der wohl talentiertesten Populisten des Landes, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, jetzt Top-Diplomat wird. Das wertet das Amt des Außenministers zu einem gewissen Grad ab.

Ja, Johnson ist auch studierter Alt-Philologe und ein Produkt britischer Elite-Institutionen wie Eton und Oxford. Er zitiert gern Ovid, kann gleichzeitig auch in der Provinz jeden Briten mit einfachen und humorvollen Worten um den Finger wickeln. Aber kann dieser Mann, den Großbritanniens Ex-Premier John Major mal einen Hofnarren nannte, wirklich außenpolitische Konflikte richtig einschätzen und dabei eine schwierige Vermittlerrolle einnehmen? Zweifel sind mehr als angebracht.

Am Mittwochabend, nur kurze Zeit nach ihrer offiziellen Ernennung zur neuen britischen Premierministerin durch die Queen, hat Theresa May wichtige Positionen in ihrem Kabinett besetzt. Sie hat für eine austarierte Mischung zwischen Europabefürwortern und Skeptikern gesorgt. Ein geschickter Schachzug, denn damit holt sie die Kämpfer für einen Brexit, die teilweise mit unrealistischen Vorstellungen und Versprechen im Wahlkampf auftraten, in die Verantwortung.

May selbst war für den Status quo. Mit Vertretern des anderen Lagers in ihrem Regierungsteam stellt sie auch Kritiker ruhig, die befürchteten, sie könnte zu viele Gleichgesinnte ins Kabinett holen und ihr Versprechen, den Brexit in Gang zu setzen und so den Willen von 52 Prozent der Briten umzusetzen, am Ende doch durch die Hintertür auszuhebeln versuchen.

Boris Johnson hatte ursprünglich selbst Ambitionen auf das Amt des Premierministers. Kritiker werfen ihm vor, dass er sich nur aus politischem Opportunismus auf die Seite der Brexit-Befürworter geschlagen hat – in der Hoffnung, nach dem Referendum ins höchste Regierungsamt zu kommen und David Cameron abzulösen. Bei EU-freundlichen Briten gilt Johnson, der Blondschopf mit den schlecht sitzenden Anzügen, daher als unglaubwürdig. Nach dem Brexit-Votum kandidierte er allerdings doch nicht als Premier, nachdem ihn sein Mitstreiter Michael Gove ausgebootet hatte.

Johnsons politische Karriere hielten Beobachter daher für beendet. Doch jetzt kommt sein Comeback. Von Johnson abgesehen ging May bei anderen Posten keine Risiken ein.


„Spreadsheet Phil“ ist neuer Finanzminister

May hat sich für zuverlässige und überzeugende Lösungen entschieden – etwa für Philip Hammond als Finanzminister. „Spreadsheet Phil“, der Mann der Tabellenkalkulationen, wird er genannt. Er gilt als äußerst sachlich, effizient und verfügt über gute Kontakte zur britischen Finanzbranche.

Bisher war Hammond Außenminister und hat sich für den Verbleib in der EU eingesetzt. In seinem neuen Job als Finanzminister hat er bereits die Banken aufgefordert, sich hinter London zu stellen und die Idee, sie könnten in andere europäische Städte umziehen und die britische Hauptstadt als eine der größten Finanzmetropolen schwächen, als Unsinn abgetan. Hammond dürfte wahrscheinlich auch schon bald all diejenigen beruhigen, die die Entwicklung der britischen Staatsfinanzen mit Sorge betrachten.

Sein Vorgänger George Osborne, dessen Dienste May Medienberichten zufolge nicht mehr wollte, hatte eigentlich einen Haushaltsüberschuss für 2020 angepeilt. Das Ziel hat May bereits aufgegeben. Dennoch dürfte Hammond deutlich machen, dass ihm weiterhin an soliden Finanzen gelegen ist.

May hat zudem zwei Politiker ins Kabinett geholt, die schon länger nicht mehr Teil der Regierung waren: Liam Fox, den ehemaligen Verteidigungsminister, und David Davis, einst Europaminister. Beide sind Europaskeptiker und bekommen jetzt neue Rollen in der Regierung. Fox soll sich um die internationalen Handelsbeziehungen kümmern und damit all die Handelsabkommen abschließen, die Brexit-Befürworter den Briten in Aussicht gestellt haben, sollte das Land die EU verlassen. David Davis übernimmt das neu geschaffene Brexit-Ressort, das sich um die Austrittsgespräche kümmern soll. Das fällt nicht Boris Johnson als Außenminister zu.

Beobachter hatten eigentlich auch erwartet, dass May mehr Frauen in Toppositionen in der Regierung befördern würde. Am Mittwoch hat sie allerdings nur Amber Rudd, die bisher das Energieministerium verantwortet, zur Innenministerin ernannt – das Amt, das May innehatte, bevor sie das höchste Regierungsamt übernahm und David Cameron nachfolgte. In bisher einem Fall entschied sich May in ihrem Kabinett auch für Kontinuität: Michael Fallon bleibt Verteidigungsminister.

Die neue britische Premierministerin versprach in ihrer Antrittsrede am Mittwoch, das Land zu einen. Sie wollen nicht den wenigen Privilegierten dienen, sondern der Mehrheit, kündigte sie an. Sie wolle auch all die Ungerechtigkeiten angehen, etwa dass schwarze Mitbürger harscher von Justizbehörden und Polizei angegangen werden als weiße. Sie klang dabei fast wie eine Politikerin der Labour-Partei und nicht der konservativen Tories, die eher als Partei der Gutverdiener und der Wirtschaftselite gelten.

Die Auswahl der bisherigen Kabinettsmitglieder spiegelt allerdings nicht ganz den Kurs der Mitte wider, den sie in ihrer Rede suggerierte. Denn sie hat mehr konservative Politiker in in die Schlüsselpositionen in ihrem Team geholt.

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