Kailash Satyarthi "Kinder werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt"

Der indische Aktivist Kailash Satyarthi widmet sein Leben der Befreiung von ausgebeuteten Kindern. Im Interview spricht der Friedensnobelpreisträger über Zorn als Antrieb und die Gefahren im Kampf gegen Sklavenhändler.

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Kailash Satyarthi bekam 2014 den Friedensnobelpreis für seine Arbeit als Kinderrechtsaktivist. Quelle: Maximilian Nowroth für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Satyarthi, weltweit müssen 168 Millionen Kinder arbeiten, Millionen von ihnen werden als Sklaven gehalten. Warum werden so viele Kinder ausgebeutet?

Kailash Satyarthi: Wer Minderjährige zur Arbeit zwingt, weiß, dass sie körperlich und seelisch sehr verletzlich sind. Für solche Leute sind Kinder nicht mehr als billige Arbeitskräfte, die man leicht ausnutzen kann. Denn Kinder bilden keine Gewerkschaften, beschweren sich nicht beim Chef und ziehen nicht vor Gericht.

Welche politischen Gründe gibt es für die Ausbeutung von Kindern?
Meist sind es Länder, in denen Ignoranz, Armut und Diskriminierung herrschen und in denen es keine Gesetze gibt, die Kindern ein Recht auf Freiheit und Bildung geben. Und noch schlimmer: Es fehlt an einem politischen Willen. Denn Kinder, die unter Gewalt leiden, üben keinen politischen Einfluss aus – deswegen haben ihre Rechte nicht oberste Priorität.

Zur Person

In welchen Ländern leiden Kinder am meisten?
Die Ausbeutung ist besonders stark in Regionen wie Subsahara-Afrika, Südasien, Südamerika und in einigen Teilen Osteuropas. Sie sehen: Es ist ein globales Problem.

Um das zu lösen, sind Sie Aktivist geworden. Was charakterisiert Ihre Arbeit?
Ein Aktivist muss ein zorniger Mensch sein. Ich will mit meinem Zorn die Welt verbessern. Denn Zorn ist ein Antrieb, den ich für meine Ideen und Aktionen nutze und der mir hilft, die Missstände in unserer Gesellschaft aufzudecken. Die Reaktion darauf sollte konstruktiv, positiv und ergebnisorientiert sein. Der Zorn ist die Kraft eines Aktivisten und darf nicht zu Zerstörung, Gewalt oder Rache führen, sondern zu Lösungen.

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2014 haben Sie den Friedensnobelpreis bekommen und wurden für Ihren „persönlichen Mut“ ausgezeichnet. Wie gefährlich ist Ihre Mission?
Bei der Ausbeutung von Kindern haben Sie es häufig mit der Mafia oder Sklavenhändlern zu tun, die sind gewalttätig. Ich trage am ganzen Körper Narben, mein Fuß, meine Schulter und mehrere meiner Rippen waren schon gebrochen. Aber jemand muss dieses Risiko auf sich nehmen. Wenn nicht ich, wer dann? Und wenn nicht jetzt, wann denn sonst?

Sie haben Zehntausende Kinder aus den Fängen von Menschenhändlern befreit. Was haben Sie dabei erlebt?
Vor Jahren wollte ich 24 Mädchen befreien, die von Nepal nach Indien verschleppt wurden, um in einem Zirkus versklavt zu werden. Ich wusste, dass der Zirkusdirektor mit Drogen handelt und Waffen schmuggelt, er war ein mächtiger und gefährlicher Mann. Als mein Sohn und ich ihn zusammen mit anderen Aktivisten und den Eltern der Kinder stellen wollten, griff er mich an. Er zog seine Waffe und wollte mich erschießen. Dann bemerkte er, dass ein Journalist ihn filmte. Er stürmte auf ihn zu, um ihm die Kamera zu entreißen und befahl seinen Leuten, mich zu töten.

"Die Freiheit von Kindern ist mein größtes Glück"

Wie haben Sie das überlebt?

Mehrere Männer haben mich und meinen Sohn zusammengeschlagen, wir wurden in unserer Blutlache ohnmächtig und die Täter zogen ab. Glücklicherweise kam irgendwer zufällig mit seinem Auto vorbei und brachte uns in das nächste Krankenhaus. Nur so konnten wir überleben.

Aber die Mädchen waren immer noch nicht befreit.

Das hat mich so wütend gemacht, dass ich beschloss, nichts mehr zu essen und zu trinken, bis sie freikommen würden. Mein Hungerstreik dauerte sechs Tage, ich setzte mich einfach vor das örtliche Rathaus. Das erregte die Aufmerksamkeit der Medien und brachte den Fall vor Gericht. Unter dem Druck der Öffentlichkeit erteilte der Polizeichef den Befehl, alle Mädchen aus ihrer Sklaverei zu befreien.

Die Friedensnobelpreisträger der letzten zehn Jahre

Wie haben Sie dann weitergemacht?
Ich bin bis vor das höchste Gericht in Indien gezogen, um ein Exempel zu statuieren. Meine Forderung war einfach: Ich wollte Kinderarbeit in Zirkussen verbieten. Die Verhandlungen dauerten Jahre, aber dann waren wir erfolgreich. Seitdem gibt es ein Gesetz, das Kinderarbeit in indischen Zirkussen unter Strafe stellt.

Woher nehmen Sie die Kraft für solche Aktionen?
Die Freiheit der Kinder ist mein größtes Glück. Wenn ich ein Kind befreie, das zurück zur Familie kann, befreie ich auch mich selbst.

Haben Sie Hoffnung, dass Kinderarbeit irgendwann weltweit abgeschafft wird?
Ich sehe, dass wir auf einem guten Weg sind. Vor 15 Jahren mussten auf der Welt noch 260 Millionen Kinder arbeiten, seitdem ist die Zahl um ein Drittel gesunken. Außerdem haben deutlich mehr Kinder als früher die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das Problem irgendwann lösen. Denn es ist doch zynisch, dass wir dabei sind, den Mars zu erobern – gleichzeitig aber so viele Menschen auf unserem Planeten keine Chance auf eine unbeschwerte Kindheit haben.

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