Kampf gegen den IS im Irak Sturm auf Mossul – Verbündete in der Not

Mossul ist die letzte IS-Hochburg im Irak. Die Offensive auf die Großstadt rückt immer näher. Doch die Angreifer verfolgen ihre eigenen Interessen – und könnten sich danach wieder gegenseitig bekämpfen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Irakische und kurdische Soldaten kämpfen Hand in Hand, um Mossul zurückzuerobern. Quelle: dpa

Erbil Die Männer begrüßen sich mit festem Handschlag, freundlichen Worten und Küssen auf die Wange. In diesem Moment sieht es so aus, als seien die kurdischen Peschmerga und die Soldaten der irakischen Armee enge Verbündete, die einander vertrauen. „Wir verstehen uns sehr gut“, sagt ein junger irakischer Offizier, der Ali genannt werden will und gerade sein Mittagessen beendet hat. „Es gibt doch keinen Streit zwischen uns.“ Peschmerga und irakische Armee arbeiteten „Hand in Hand“ für dasselbe Ziel: die nordirakische Stadt Mossul von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu befreien.

Tatsächlich sind irakische Soldaten seit kurzem in dem Frontgebiet stationiert, das von den Kurden kontrolliert wird. Hauptmann Ali gehört zu einer irakischen Einheit, die rund 40 Kilometer östlich von Mossul die Lage erkundet. Auch sonst mehren sich die Anzeichen, dass die lang erwartete Offensive auf die IS-Hochburg bald beginnt.

Auf den Straßen sind Fahrzeuge zu sehen, die irakische Soldaten in das Kampfgebiet bringen. „Wir sind bereit“, sagt Peschmerga Arif Tayfor, Kommandeur eines rund 30 Kilometer langen Frontabschnitts nahe Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak.

Die Offensive auf Mossul könnte die größte Militärkampagne werden, die das Land seit dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein im Jahr 2003 erlebt hat. Fällt die Großstadt mit mehr als einer Million Einwohnern, hätte Daesh, so die arabische Abkürzung für den IS, seine letzte Bastion im Irak verloren und wäre dort – zumindest militärisch – praktisch besiegt. Keiner der Angreifer bezweifelt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Mossul von den Dschihadisten befreit ist.

Für den Angriff hat sich jedoch eine Koalition aus Kräften gebildet, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Neben den Peschmerga und der irakischen Armee stehen sunnitische und schiitische Milzen bereit, die ebenso eine Rolle spielen wollen wie die Türkei, die nahe Mossul gegen den Willen der Bagdader Zentralregierung Soldaten stationiert hat. Die US-geführte internationale Koalition wird die Offensive aus der Luft unterstützen. Auch die von der Türkei bekämpfte kurdische Arbeiterpartei PKK könnte eingreifen. All diese „Partner“ wollen zwar den IS besiegen - verfolgen aber ansonsten ganz eigene Interessen.

Die Türkei zeigt sich außerdem besorgt, dass die geplante Offensive Hunderttausende Menschen zur Flucht zwingen könnte. Sollten bei dem Einsatz der irakischen Einheiten mit Unterstützung der US-Luftwaffe Fehler unterlaufen, müsse mit einem Flüchtlingsansturm gerechnet werden, warnte der Sprecher des türkischen Präsidialamts, Ibrahim Kalin, am Donnerstag. Dies hätte Konsequenzen nicht nur für den Irak, sondern für die gesamte Region.


Eine lange Schlacht

Im Vordergrund steht die Konkurrenz zwischen Peschmerga und Armee. Mit internationaler Hilfe, auch von Deutschland, haben die Kurden in den vergangenen zwei Jahren Regionen eingenommen, die sie ihrem Autonomiegebiet einverleiben möchten. Im Zuge der Offensive dürften weitere Gebiete hinzukommen. Werden die Peschmerga auch in Mossul einrücken, einer Stadt, in der Kurden nur eine Minderheit sind? Nein, sagt Kommandeur Arif Tayfor. Es gebe die klare Abmachung, dass die Kurden außerhalb der Stadt bleiben. „Wir unterstützen die irakische Armee“, sagt der 65-Jährige, der unaufhörlich eine Gebetskette durch die rechte Hand gleiten lässt. „Aber sie wird in Mossul eindringen.“

Der Armee steht dabei vor einer schwierigen Aufgabe. Zwar soll es in der Region nach Schätzungen nur noch rund 4000 IS-Kämpfer geben; doch aus Mossul sind Berichte zu hören, die Dschihadisten hätten tiefe Gräben und ein Tunnelsystem ausgehoben. Straßen und Gebäude werden mit Sprengfallen übersät sein. Plakate warnen die Peschmerga-Kämpfer, dass diese überall lauern können, etwa an Türen oder Öfen. „Sollte Daesh Widerstand leisten“, glaubt Peschmerga-Kommandeur Tayfor, „dann könnte die Schlacht bis zu drei Monate dauern.“

Dabei stellt sich die Frage, ob die irakische Armee überhaupt in der Lage ist, Mossul einzunehmen. Zwar hat sich deren Kampfkraft dank US-Trainings verbessert, doch schon bei den Schlachten um die IS-Hochburgen Falludscha und Ramadi im Osten des Landes war das Militär auf die Hilfe schiitischer Milizen angewiesen, die vom Iran unterstützt werden. Deren Einheiten stehen auch jetzt bereit.

Ihr Eingreifen wäre allerdings brisant. Mossul ist im Irak die größte Stadt der Sunniten, die sich ohnehin von der Mehrheit der Schiiten diskriminiert fühlen – weshalb der sunnitische IS beim Vormarsch im Jahr 2014 viel Unterstützung fand. Der Einsatz schiitischer Milizen in der Mossul-Schlacht ist für Sunniten undenkbar. „Wenn sie in die Stadt eindringen, wären alle Absprachen gescheitert“, warnt Athil al-Nudschaifi, Chef lokaler sunnitischer Einheiten. Sogar Kämpfe zwischen den Angreifern wären in diesem Fall denkbar.

Denn dann könnten nicht nur die Peschmerga in die Stadt vorrücken, sondern auch die Türken eingreifen. Seit Tagen ist der Streit zwischen Ankara und Bagdad neu entbrannt, weil die türkische Regierung ihre Truppen nahe Mossul nicht abziehen will. Diese bilden dort Peschmerga und sunnitische Milizen aus. Ein Einsatz der Türkei wiederum könnte PKK-Kämpfer nordwestlich Mossuls auf den Plan rufen.

Die Schiiten-Milizen, „Volksmobilisierung“ genannt, machen nicht den Eindruck, als wollten sie sich zurückhalten, sondern stimmen seit langem einen selbstbewussten Ton an. „Die Volksmobilisierung wird an der Befreiung Mossuls teilnehmen“, sagt Milizen-Sprecher Ahmed al-Asadi. „Wir werden die Erde unter den Füßen der Daesh-Kämpfer zum Beben bringen.“ Immerhin räumt er ein, dass das irakische Militär bei der Offensive vorneweg gehen werde.

Schiiten sind schon jetzt in der Reihen der irakischen Armee an der Mossul-Front stationiert. Die Einheit von Hauptmann Ali hat neben ihrem Quartier eine Fahne mit dem Antlitz von Imam Hussein platziert, der im siebten Jahrhundert starb und bis heute von den Schiiten als Märtyrer verehrt wird. Er gilt auch als wichtigste Symbolfigur der Schiiten-Milizen. Ali aber will der Fahne keine größere Bedeutung zumessen: „Sie dient nur dazu, die Moral der Truppe zu stärken.“

Peschmerga-Kommandeur Said Schukur lässt sich sogar neben der Fahne ablichten. „Es gibt im Irak sehr viele Gruppen“, sagt er. „Das ist halt ihre Flagge. Jeder, der den IS bekämpft, ist willkommen.“


Türkei befürchtet Hunderttausende Flüchtlinge


© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%