Kampf gegen den Terror Auch Luftangriffe schwächen IS kaum

Offiziell geben sich die USA zuversichtlich, den IS im Irak und Syrien zurückzudrängen. Intern fällt die Analyse der Geheimdienste jedoch nüchtern aus. Verluste macht die Miliz durch neue ausländische Kämpfer wett.

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IS-Kämpfer bewegen sich nicht mehr in Kolonnen, die leicht von Flugzeugen angegriffen werden können. In dem Wissen, dass die Koalition zivile Tote vermeiden möchte, mischen sie sich vielmehr unter Frauen und Kinder. Quelle: AFP

Washington Trotz der seit einem Jahr geführten Luftangriffe der USA und ihrer Partner auf den Islamischen Staat ist die Terrormiliz nach Einschätzung des amerikanischen Geheimdiensts so stark wie eh und je. Insgesamt sei die strategische Lage festgefahren, lautet die interne Analyse nach Informationen der Nachrichtenagentur AP.

Für die im August 2014 zunächst im Irak und später auch in Syrien gestartete Luftkampagne des Anti-IS-Bündnisses sind inzwischen Milliardenbeträge aufgewendet worden. Nach Angaben der US-Regierung wurden mehr als 10.000 Extremisten getötet. Trotzdem liege die Zahl der IS-Kämpfer nach wie vor bei 20.000 bis 30.000 und damit genauso hoch wie vor den Luftangriffen, sagte ein Verteidigungsbeamter. „Wir haben keine bedeutende Ausdünnung ihrer Zahlen gesehen.“ Verluste würden durch neue ausländische Kämpfer wettgemacht.

Die Luftschläge hätten den Zusammenbruch des Irak verhindert und den Islamischen Staat in Nordsyrien in Bedrängnis gebracht, hieß es. Vor allem die IS-Hauptstadt Rakka stehe unter Druck. Dennoch funktioniere der IS weiter als gut finanzierte extremistische Armee. Zudem habe die Gruppe ihren Einfluss auf andere Länder wie Libyen, Ägypten und Afghanistan ausgeweitet.

Offiziell vertritt die US-Regierung eine optimistischere Einschätzung. Der Sondergesandte John Allen sagte noch vergangene Woche auf einer Tagung in Aspen: „Der IS verliert“ im Irak und in Syrien. Intern sagen Regierungsexperten jedoch, mit der bisherigen US-Strategie könnte es zehn Jahre dauern, den IS aus seinen Rückzugsgebieten zu vertreiben. Die derzeitige Strategie sieht vor, US-Bodentruppen aus dem Kampf herauszuhalten.

Einige Erfolge hält sich die von den USA geführte Anti-IS-Koalition zugute, die für den Kampf am Boden auf syrische und kurdische Verbündete setzt. Der Islamische Staat habe in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 9,4 Prozent seines Territoriums eingebüßt, heißt es in einer Analyse der Konfliktbeobachtungsgruppe IHS. Auch sei das Momentum des rasanten Vormarschs der Terrormiliz vom vergangenen Jahr gebrochen.

In US-Kreisen wird zudem unterstrichen, dass bei einem Einsatz der Spezialeinheit Delta Force im Mai der IS-Finanzier Abu Sajjaf getötet worden sei. Dabei habe man jede Menge Informationen über interne Strukturen und Finanzen der Gruppe erbeutet. Die im Irak festgehaltene Frau Sajjafs habe ausgesagt.


IS reagiert mit außergewöhnlichen Maßnahmen

In Nordsyrien verbuchten zuletzt vor allem kurdische Kämpfer und ihre Verbündeten Erfolge. Im Juni eroberten sie die strategisch wichtige Grenzstadt Tell Abjad vom IS und schnitten damit eine Versorgungsroute nach Rakka ab. Die Kurden nahmen zudem den IS-Ort Ein Issa nur 35 Kilometer nördlich von Rakka ein. Als Folge müssen sich die Extremisten nun entlegenere Schmuggelrouten suchen.

Rakka selbst ist immer häufiger Ziel von Luftangriffen der Anti-IS-Koalition. Schäden an Brücken und Straßen schränken ihre Bewegungen ein. Einige Kämpfer sollen inzwischen ihre Familien in Sicherheit gebracht haben. „In Rakka werden sie langsam erstickt“, sagt ein Aktivist, dem dieses Jahr die Flucht aus der Hochburg gelang. „Es herrscht nicht mehr das Gefühl, dass Rakka für die Gruppe ein sicherer Zufluchtsort ist.“

Der IS reagiert nach Angaben von Aktivisten mit außergewöhnlichen Maßnahmen. So sollen in Rakka mutmaßliche Spione festgenommen und Sicherheitskameras in den Straßen aufgebaut worden sein. Patrouillen der „Moralpolizei“ seien jedoch ausgedünnt worden, weil die Kämpfer an der Front gebraucht würden, hieß es.

Trotzdem erweist sich der Islamische Staat aus Sicht der US-Geheimdienstler und anderer Experten als widerstandsfähig. Im Westen des Irak etwa hat er die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Ramadi erobert und gehalten. Die amerikanischen Appelle an Bagdad, die sunnitische Minderheit mehr einzubeziehen und damit die Unterstützung für den sunnitisch geprägten IS auszuhebeln, scheinen kaum zu fruchten. Das gleiche gilt für die amerikanischen Bemühungen, gemäßigte syrische Rebellen für den Bodenkampf auszubilden.

Der IS verfolgt nach Angaben der US-Kreise seinerseits inzwischen eine neue Taktik gegen die Luftangriffe. Kämpfer bewegen sich nicht mehr in Kolonnen, die leicht angegriffen werden können. In dem Wissen, dass die Koalition zivile Tote vermeiden möchte, mischen sie sich vielmehr unter Frauen und Kinder. Bei ihrer Kommunikation vertrauen IS-Kämpfer zunehmend auf Kuriere statt auf Elektronik, die abgehört und geortet werden kann, wie der Verteidigungsbeamte sagte.

Geld verdient der IS weiter vor allem mit Öl. Schätzungen zufolge belaufen sich die Einnahmen aus Ölverkäufen auf 500 Millionen Dollar (rund 456 Millionen Euro) pro Jahr, wie Daniel Glaser sagt, ein Staatssekretär im US-Finanzministerium. Darüber hinaus soll die Gruppe eine Milliarde Dollar in bar aus Banken in ihrem Territorium erbeutet haben.

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