Kampf gegen Haushaltslöcher Der Kreml auf Geldsuche

Die russische Regierung sucht fieberhaft nach Lösungen, um die Haushaltslöcher zu stopfen. Dabei machen auch kuriose Vorschläge die Runde. Dazu zählt die Idee, Arbeitslose zur Kasse zu bitten.

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Die russische Regierung kämpft mit den Folgen einer tiefen Rezession. Quelle: REUTERS

Die russische Regierung ist fieberhaft auf der Suche nach Geldquellen zum Stopfen der Haushaltslöcher. Das Land steckt in einer tiefen Rezession. Zahlreiche Projekte geistern durch die Hinterzimmer des Ministerkabinetts, viele Steuerpläne treffen dabei ausgerechnet die unteren Einkommensschichten. Besonders kurios: Der Einfall, Arbeitslose stärker zur Kasse zu bitten.

Die Idee plauderte die stellvertretende Ministerpräsidentin Olga Golodez während einer Fragestunde im Oberhaus des russischen Parlaments, dem Föderationsrat, aus: „Derzeit arbeiten wir an einem neuen Gesetz. Dabei sollen die Bürger, die für sich den Weg gewählt haben, nicht zu arbeiten, für die Nutzung der sozialen Infrastruktur zahlen“, sagte sie. Mit anderen Worten: Den an sich in Russland kostenlosen Arztbesuch in den allgemeinen Polikliniken müssten Arbeitslose künftig bezahlen – mit der Begründung, dass sie ja nicht in die allgemeine Krankenkasse einzahlen.

Golodez gilt dabei nicht mal als Vertreterin des neoliberalen und kühl rechnenden Blocks im Finanzministerium, sondern ist für Soziales zuständig.

Die Formulierung erinnert an den „Kampf gegen das Parasitentum“, der zu Sowjetzeiten geführt wurde. Laut sowjetischer Verfassung war es strafbar, keiner geregelten Arbeit nachzugehen. Bettler, Schwarzarbeiter, aber auch Künstler, die keinem anerkannten Beruf nachgingen, mussten mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Der wohl bekannteste Fall ist der des Dichters und Nobelpreisträgers Joseph Brodsky.

Hinter den neuen Gedankenspielen um ein Abkassieren der Arbeitslosen steht dabei ein durchaus rationales Argument: Von den 77,5 Millionen Russen im arbeitsfähigen Alter gehen weniger als 50 Millionen einer registrierten Arbeit nach. Offiziell als arbeitslos registriert sind aber nur eine Million Menschen. Da es ohnehin praktisch kein Arbeitslosengeld gibt, ist der Anreiz, sich zu melden gering. Die Regierung vermutet, dass ein Großteil der übrigen in keiner Statistik erfassten Menschen in der Schattenwirtschaft tätig ist.

Wie Muskelprotz Putin sich fit hält
In Sotschi ließ sich Sportfan Wladimir Putin nicht nur auf den Tribünen blicken. Hier posiert er mit Teilnehmern der Paralympischen Spiele. Quelle: dpa
Mit schicker Sonnenbrille... Quelle: rtr
...verfolgte er die Wettkämpfe auf den Pisten von Krasnaya Polyana. An seiner Seite: der russische Sportminister Vitaly Mutko. Quelle: dpa
Hier geht es im Sessellift mit Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew (Mitte) auf den Berg – zur nächsten Abfahrt. Quelle: rtr
Um ein wenig Muskeln aufzubauen, hat Wladimir Putin als schmächtiger Junge den Nutzen von Judo erlebt. 2005 stieg er zu Showzwecken noch einmal auf die Matte. Quelle: AP
Mit seinen Kampfsportkenntnissen – die er hier bei einer Trainingsstunde in St. Peterburg noch einmal vorführte – konnte sich der als schwächlich beschriebene „Wolodja“ in seiner Heimatstadt gegen stärkere Nachbarjungs verteidigen. Quelle: REUTERS
Legendär sind die Aufnahmen, die Putin in freier Wildbahn zeigen. Hier als Indiana-Jones-Double in Sibirien... Quelle: AP

Auch die Mehrwertsteuer könnte steigen


Freilich sind wohl die wenigsten freiwillig in dieser zumeist rechtlosen Situation. Ob ihre Bestrafung zu einer Änderung der Lage und mehr Steuereinnahmen führt, ist daher fraglich. Der soziale Sprengstoff, den der Plan birgt, ist aber gewaltig. Das musste auch bald die russische Führung erkennen. Diese ruderte zurück, nachdem die Medien das Thema aufgegriffen hatten.

Eine solche Abgabe sei bislang nur im Arbeitsministerium diskutiert worden, nicht aber auf Regierungsebene, sagte ein Kabinettssprecher und betonte, dass eine solche Neuerung gegen die von der Verfassung garantierte kostenlose Gesundheitsvorsorge verstoße. Politischen Beobachtern zufolge ist das Gesetzesvorhaben damit aber noch nicht endgültig vom Tisch, die Regierung dürfte es jetzt lediglich etwas zögerlicher verfolgen.

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Dafür wurde ein weiterer Plan zur Geldbeschaffung publik. Während Finanzminister Anton Siluanow beim Wirtschaftsforum „keine größeren Steueranhebungen“ versprach, wurden Erwägungen aus seiner Behörde bekannt, die vereinfachte Einheitssteuer für Kleinunternehmer schrittweise zu erhöhen – um 15 Prozent in den kommenden drei Jahren. Betroffen wären rund zwei Millionen Russen, die meisten davon Einzelunternehmer???. Für den Bedarf des Haushalts reicht das allerdings nicht: 2015 betrugen die Einnahmen aus dieser Steuer umgerechnet 1,1 Milliarden Euro. Das Haushaltsdefizit in diesem Jahr liegt bei mehr als 30 Milliarden Euro.

Daher spielt das Ministerium laut russischen Medien auch mit dem Gedanken, die Mehrwertsteuer anzuheben. Laut Siluanow ist es allerdings wichtiger, das Eintreiben der schon bestehenden Abgaben konsequenter anzugehen. Der Minister verwies dabei unter anderem auf eine stärkere Kontrolle bei Versicherungsabgaben und dem Zoll.

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Tatsächlich wäre die Bekämpfung der Korruption in diesen Behörden wohl weitaus effektiver als neue Steuern. Erst im Sommer musste Zollchef Andrej Beljaninow, ein langjähriger Bekannter Wladimir Putins, der bis dahin zum Kreis der Unantastbaren gezählt wurde, seinen Rücktritt ankündigen, nachdem Ermittler in seiner Villa wertvolle Gemälde und Schuhkartons mit Bargeld ausräumten.

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