Der Kampf um Aleppo wütet in unverminderter Härte weiter. Die syrische Regierung versuchte am Sonntag mit einer Serie von Luftangriffen, die islamistischen Rebellen wieder zurückzudrängen, die den Belagerungsring um Aleppo durchbrochen hatten. Kampfjets hätten Fahrzeuge von Rebellen beschossen und eine Militärakademie zerstört, nachdem die Aufständischen sie eingenommen hätten, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Sanaa und die Sprachrohre der auf Seiten der Regierung kämpfenden Hisbollah-Miliz.
Am Samstag war es dem Islamisten-Bündnis Dschaisch al-Fatah gelungen, im Süden von Aleppo einen Korridor durch den Belagerungsring der Regierungstruppen zu schlagen. Auch die Hisbollah-Medien gestanden die Geländegewinne am Sonntag ein. Die Rebellen veröffentlichten Videos von Bewohnern des bisher belagerten südlich gelegenen Viertels Ramuse, die sich mit den von außerhalb Aleppos kommenden Kämpfern in die Arme fielen.
Auf Rebellenseite waren etwa zwei Dutzend Gruppen am Vorstoß auf Ramuse beteiligt, darunter auch die ehemalige Nusra-Front, die sich mittlerweile Eroberungsfront der Levante nennt. Die islamistischen Kämpfer vertrieben die Regierungstruppen in einem erbitterten Straßenkampf aus mehreren Militärakademien, einer Lagerhalle und einem Teil der Autobahn bei Ramuse, wo seit einer Woche heftig gekämpft wurde.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Die Eroberungsfront der Levante postete Bilder von gepanzerten Fahrzeugen und Munition, die sie in den Militärakademien geplündert haben will. Rami Abdurrahman von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von mindestens 700 Toten auf beiden Seiten innerhalb der vergangenen Woche. Ein Sprecher der Rebellengruppe Dschaisch al-Islam sagte, der Kampf um Aleppo werde als entscheidend für ganz Syrien gesehen. Seine Fraktion, die vor allem im Umland von Damaskus stark vertreten ist, habe Kämpfer aus fünf Provinzen mobilisiert. Wichtig sei nun, den Korridor in die Rebellengebiete im Süden zu halten. Auch ein Kommandeur der islamistischen Ahrar al-Scham erklärte, seine Kämpfer seien dabei, den Korridor abzusichern und auszubauen.
Die syrischen Regierungstruppen hatten Mitte Juli die einzige Straße in die Rebellengebiete des geteilten Aleppo erobert und damit rund 300 000 Bewohner von der Außenwelt abgeschnitten. Durch ihren Vorstoß in Ramuse könnten die Rebellen möglicherweise bald ihrerseits eine Autobahn blockieren und damit 1,2 Millionen Menschen in den Regierungsgebieten von Aleppo von einer wichtigen Versorgungsroute abschneiden. Abdurrahman sagte, die Preise für Lebensmittel in Regierungsvierteln seien bereits gestiegen.
In den belagerten Rebellengebieten fehlt es ohnehin am Notwendigsten. Eine Ärztin, die dort lebt, sagte der Nachrichtenagentur AP, sie habe von einem Lkw mit Gemüse gehört, der nach dem Vormarsch der Rebellen bis in ihr Viertel durchgekommen sei. Alle Waren seien aber offenbar schnell ausverkauft gewesen. Hilfsorganisationen warnen seit Wochen vor einer humanitären Katastrophe in Aleppo. Der Korridor könnte nun die Versorgung der Bewohner der Rebellenviertel ermöglichen.
Ein Rebellenkämpfer sagte in einem Onlinevideo, nach dem Vorstoß in Ramuse beginne die Befreiung von ganz Aleppo. Ein Bündnis von Rebellengruppen aus der Stadt, denen auch moderate Kräfte angehören, erklärte, alle, die ihre Waffen fallen ließen und in Rebellenviertel Aleppos kämen, seien dort sicher.