Kanzlerinnen-Reise nach Afrika Merkels Bekämpfung der Fluchtursachen macht falsche Hoffnungen

Statt „Wir schaffen das“ redet die Kanzlerin nun gerne vom Kampf gegen die Fluchtursachen. Tatsächlich hat sie auch vor dem Flug nach Äthiopien wenig mehr als eine neue Phrase zu bieten. 

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Bundeskanzlerin Angela Merkel. Quelle: REUTERS

Angela Merkel fliegt nach Afrika. Ein „Arbeitsbesuch“ bei der Afrikanischen Union in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba steht an. Das offenbar neu erwachte Interesse der  Bundeskanzlerin an Afrika steht ganz offensichtlich im Zusammenhang mit ihrem neuen Mantra. Es lautet: „Fluchtursachen bekämpfen“. Sie hat es auf dem Tag der Deutschen Industrie wiederholt.

Es ist – nun ja – ein Vorhaben, das niemand offen kritisieren kann. Vom Grünen- bis zum AfD-Wähler wird kaum jemand sagen: Ich will Fluchtursachen bestehen lassen. Möglicherweise ist die Konsensfähigkeit ihres Mantras auch nicht der geringste Grund dafür, dass Merkel es gewählt hat. Nur, was steht dahinter?

Zunächst ist – wie so oft bei Merkels Kommunikation – der Begriff eher verwirrend als erhellend. Die Fokussierung auf „Fluchtursachen“ ist eine wenig hilfreiche Vereinfachung. Sie stellt einzig und allein unerträgliche Zustände im Herkunftsland als Grund für die Auswanderung dar. Das trifft aber nur auf einen Teil der gegenwärtigen Migrationsbewegungen zu. 

Wer aus Syrien in die Türkei oder ein anderes Nachbarland emigriert, weil seine Existenz zerstört ist, ist natürlich ein Flüchtling. Aber auf diejenigen, die aus Italien oder Griechenland unbedingt nach Deutschland weiterwollen, trifft dies strenggenommen nicht mehr zu. Sie wollen in ein Land, von dem sie sich noch bessere Versorgung und noch bessere ökonomische Perspektiven erwarten, einwandern – was verständlich ist. Aber sie „fliehen“ nicht mehr vor etwas. Entscheidender Motivator des Weiterwanderns ist die Attraktivität des Ziellands geworden.

Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU

In einem aktuellen Interview mit der „Zeit“ belegt Merkel selbst die Untauglichkeit der Fluchtursachen-Perspektive. Nachdem Sie zunächst ausschließlich von „Flüchtlingen“ spricht, sagt sie: „Übrigens sind die Migranten aus Afrika nicht notwendigerweise die Ärmsten ihrer Länder“. (Es ist das einzige Mal, dass sie von "Migranten" spricht.) Für viele Menschen sei der Kampf um das tägliche Leben so hart, „dass nur wenige sich eine Flucht … leisten können.“ Damit kommt sie einer realistischen Analyse der Wanderungsbewegungen der Gegenwart recht nahe.

Was in Deutschland pauschal als „Flucht“ bezeichnet wird, ist tatsächlich nicht auf absolut steigende Armut in den Herkunftsländern zurückzuführen. Auch in Afrika hat, der europäischen Wahrnehmung zum Trotz, die absolute Armut in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Es kommen Menschen von dort nach Europa, die sich zumindest ein Smartphone leisten können, mit dem sie sich über die attraktivsten Ziele und sichersten Routen informieren. Wie die Kanzlerin selbst sagt: „Wenn man sieht, wie es anderswo zugeht, wachsen auch die Wünsche.“

Wie die Bundeskanzlerin diese afrikanischen „Fluchtursachen“ bekämpfen will, bleibt schleierhaft. Von einem Plan, der über die Erhöhung bisheriger Hilfsprojekte hinausgeht, ist aus Berlin ebenso wenig zu hören wie aus anderen westlichen Hauptstädten. Viel zu kurz kommen neben Hilfsprojekten, die korrupte afrikanischen Regierungsstellen ebenso mitfüttern wie eine wachsende Armee von Nichtregierungsorganisationen, die Stärkung der unternehmerischen Eigeninitiative durch Handelserleichterungen. Der wichtigste Schwerpunkt sollte aber die Eindämmung des immer noch beängstigenden Bevölkerungswachstums sein. Freie Verhütungsmittel für Afrikanerinnen, das wäre ein lohnendes Projekt. Denn Bevölkerungen, die nicht mehr stark wachsen, werden eher reich und friedlich - und exportieren eher Güter als Menschen.

Die ernüchternde Realität ist, dass Deutschland und die EU wohl nicht viel tun können - weder im Sinne der grundlegenden Befriedung von Konfliktregionen noch im Sinne der Schaffung ökonomisch attraktiver Perspektiven – wenn die afrikanischen Regierungen und Zivilgesellschaften nicht selbst aktiv werden. Dass Merkel nun in Addis Abeba ein Gebäude der „Afrikanische Union“ einweiht, ist bezeichnend: Die Wanderungsbewegungen der jüngsten Zeit waren dem Bund afrikanischer Staaten keinen einzigen Sondergipfel wert. 

Solange Europa als Überlaufbecken für unzufriedene junge Männer, als Geber von Entwicklungshilfe und Zielscheibe moralischer Vorwürfe bereit steht, ohne echte Druckmittel gegen die korrupten, versagenden Regierungseliten Afrikas, verspüren letztere wenig Anreiz, ihre Politik wesentlich zu ändern.

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