Karlspreis für Papst Franziskus Europas Mattheit und Gottes Beistand

Den Empfang des Karlspreises nutzt Papst Franziskus für eine erneute Botschaft an Europas Staatenlenker. Er appelliert an die europäischen Ideale – und mahnt wiederholt eindringlich vor nationalem Egoismus.

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Marcel Philipp (CDU), Oberbürgermeister der Stadt Aachen, verleit Papst Franziskus den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen. Das Kirchenoberhaupt richtete in seiner Rede einige mahnende Worte an die politischen Spitzen in Europa. Quelle: dpa

Brüssel Papst Franziskus nimmt kein Blatt vor den Mund, das ist bekannt. „Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zum Friedhof wird“, sagte er im November vergangenen Jahres vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und warnte vor einem müden und gealterten Europa, dem die Kraft fehle zur Solidarität mit Armen, Schwachen und Flüchtlingen.

Heute nun legte er nach: Europa dürfe sich nicht verschanzen sondern müsse wieder stärker auf die Tat setzen, auf die Entwicklung neuer Dynamik, sagte er anlässlich der Auszeichnung mit dem Karlspreis der Stadt Aachen. Das katholische Kirchenoberhaupt erhielt die renommierte Auszeichnung für seine Verdienste um den Frieden und die Einigkeit des europäischen Kontinents.

Doch kann der Heilige Vater den Europäern den Mut und die Zuversicht geben, Europa wieder zu dem Traum zu machen, den so viele Bürger seit 60 Jahren zu träumen gewagt haben? Kann er dem wachsenden Unwohlsein etwas entgegen setzen, das mehr und mehr Bürger angesichts der Krisen ergreift?

Immer dann, wenn Europa untereinander zerstritten war, habe es Unheil gegeben, betonte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in seiner Laudatio. Einigkeit indes habe für die Europäer stets Gutes hervorgebracht.

Daran knüpfte Papst Franziskus an. „Was ist mit Dir los, du humanistisches Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern und Literaten, Mutter großer Männer und Frauen, die ihr Leben für Europa gegeben haben?“, fragte der Pontifex – und forderte die Gemeinschaft auf, sich ihrer Gründerväter und Ideale zu erinnern. „Sie hatten die Kühnheit, nicht nur von der Idee Europa zu träumen, sondern wagten, die Modelle, die bloß Gewalt und Zerstörung hervorbrachten, radikal zu verändern“, sagte das Kirchenoberhaupt: „Die Pläne der Gründerväter, jener Herolde des Friedens und Propheten der Zukunft, sind nicht überholt: Heute mehr denn je regen sie an, Brücken zu bauen und Mauern einzureißen.“


Orban tobt, der Papst mahnt

Tatsächlich scheint das in Vergessenheit geraten zu sein. Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise bekleckern sich die europäischen Staatsführer nicht mit Ruhm. Lange haben sie die Migrationsbewegungen unterschätzt und mit Betroffenheitsbekenntnissen bei Seite geschoben.

Der Streit um gerechte Verteilungsquoten dauert an, zuletzt sorgten Vorschläge der EU-Kommission, jenen Staaten Bußgelder aufzuerlegen, die nicht gewillt sind, Flüchtlinge aufzunehmen, für neuen Zündstoff. „Das kommt einem Schlag in die Magengrube gleich“, wetterte der rechtskonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban Richtung Brüssel. Die EU-Kommission will die Ausgleichszahlung für jeden nicht aufgenommenen Quotenflüchtling auf 250.000 Euro festsetzen. „Für dieses Geld“, tobt Orban, „muss ein Ungar mit Durchschnittseinkommen 39 Jahre lang arbeiten.“

Das Beispiel zeigt einmal mehr: Was einst als Bollwerk für den Frieden errichtet wurde, ein geeintes Europa der Völker, ist angesichts der Flüchtlingskrise in seinen Grundfesten erschüttert. Das gemeinsame Haus wackelt.

„Die Familie der Völker scheint sich in den von ihr errichteten Mauern inzwischen weniger zuhause zu fühlen“, stellte Papst Franziskus nüchtern fest. Wie dem aber begegnen? „Resignation und Schlaffheit gehören nicht zur Seele Europas“, betonte das Kirchenoberhaupt. Schwierigkeiten könnten zu machtvollen Förderern der Einheit werden.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Als Stimme des Gewissens findet Papst Franziskus bei den Europäern zwar Gehör. Und die politische Elite sonnt sich bei der Karlspreisverleihung sichtlich zufrieden im päpstlichen Glanz. Ob sie aber in die Tat umsetzen wird, zu dem der Papst sie ermahnt, ist offen. 

Europa hat nicht Schuld an der Entstehung eines jeden Problems. Und Europa kann auch nicht jedes Problem lösen. Aber es kann helfen, Probleme zu lindern. Daran hat Papst Franziskus die Menschen erinnert. Europas Staatenlenker tun gut daran, sich ihrer humanistischen Ideale zu erinnern und nicht auf göttlichen Beistand zu verlassen.

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