Katalonien Eine Region „am Rande des Abgrunds“

In Spanien wächst die Sorge wegen des Konflikts mit den Separatisten in Katalonien. Die Fronten verhärten sich immer mehr. Dialog? Fehlanzeige. Der Countdown läuft – am 1. Oktober soll abgestimmt werden.

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Über das geplante Unabhängigkeitsreferendum wird heftig gestritten. Quelle: dpa

Barcelona/Madrid Die Stimmung in Katalonien wird immer brisanter. Die Regierung der von ausländischen Touristen meistbesuchten Region Spaniens will am 1. Oktober ein „verbindliches Referendum“ über die Unabhängigkeit vom EU-Land durchführen – gegen den Willen der spanischen Zentralregierung und ungeachtet eines gerichtlichen Verbots. Die katalanische Zeitung „El Periódico“ titelte auf Seite eins, die Region sei „am Rande des Abgrunds“.

Wie wahrscheinlich ist es nach der jüngsten Entwicklung, dass das Referendum tatsächlich wie von Barcelona geplant stattfindet?

Äußerst unwahrscheinlich. Der Sprecher der Zentralregierung, Iñigo Méndez de Vigo, sagte, die Abstimmung sei durch Festnahmen und Sicherstellungen „logistisch endgültig deaktiviert“ worden. Die große Mehrheit der Beobachter sieht das genauso. Die Regionalregierung hält indes am Referendum fest – und die Wahlurnen vor der Polizei versteckt. Sie wird aber wohl nur hier und da Wahllokale öffnen und bestenfalls so etwas wie eine „symbolische Abstimmung“ durchführen können.

Wie werden die Separatisten auf die Aktionen der Zentralregierung und der Justiz weiter reagieren?

Mit einem Abflauen der Krise und einem Nachgeben der Separatisten rechnet in Spanien niemand. Zumal es keinen Dialog zwischen den Seiten gibt. Zum wahrscheinlichsten Szenario sagte der angesehene Katalonien-Experte Toni Bolaño Mittwochabend im spanischen TV: „Niemand soll nun denken, dass am 1. Oktober die Menschen zu Hause bleiben werden, weil es keine Urnen, keine Wahlzettel, keine Lokale geben wird. Die Spannung wird bis dahin stetig zunehmen.“ Fermín Bocos, schon als bester Journalist Spaniens ausgezeichnet, zieht bereits Vergleiche mit der Revolution 2014 in der Ukraine. Hunderttausende würden auf die Straßen gehen, sagt er voraus.

Welche Mittel kann die Zentralregierung noch einsetzen, falls sich die Lage in Katalonien weiter zuspitzt?

In Spanien sorgt „Artículo 155“ dieser Tage für heiße Diskussionen. Die paar Zeilen, fast eine Kopie von Artikel 37 des deutschen Grundgesetzes, erlauben es der Zentralregierung, in einer Region einzugreifen, deren Machthaber gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen. Notfalls mit Einschränkungen der Befugnisse und mit Gewalt. Ist es möglich, dass die Panzer auf den Ramblas einfahren? Madrid schließt „keine Option aus“.

Haben die Separatisten überhaupt eine Mehrheit in Katalonien?

Die separatistischen Parteien bekamen bei der Regionalwahl von 2015 insgesamt knapp 49 Prozent der Stimmen, haben im Parlament in Barcelona aber eine Mehrheit der Sitze. In Umfragen schwankt der Anteil der Befürworter einer Loslösung von Spanien schon seit einigen Jahren zwischen knapp 40 und gut 50 Prozent. Unter den aktiven Unterstützern der Separatisten sind viele Künstler und Sportler, darunter Startenor José Carreras und Fußball-Trainer Pep Guardiola.

Die Separatisten sorgen für Aufsehen. Was sagt die „andere Hälfte“?

Es gibt einige Vereinigungen von Unabhängigkeitsgegnern. Die größte ist die „Katalanische Zivilgesellschaft“. Die Gegner einer Loslösung von Spanien halten sich aber sehr bedeckt. Man wolle kein Öl ins Feuer gießen, erklären einige.

Wie ist die Haltung der Parteien im Nationalparlament in Madrid?

Ministerpräsident Mariano Rajoy schließt ein Befragung nur der Katalanen aus und erklärt, gemäß Verfassung müssten alle Spanier über die Trennung einer der 17 Autonomen Gemeinschaften entscheiden. Der Konfrontationskurs von Rajoys konservativer Volkspartei (PP) wird von der vierstärksten Fraktion, den liberalen Ciudadanos, mitgetragen. Der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez ist gegen die Separatisten, wirft aber Rajoy vor, mit mangelnder Dialogbereitschaft dem Konflikt Nahrung gegeben zu haben. Die linke Protestpartei Podemos, die Nummer drei im „Congreso“, tritt für Selbstbestimmung und ein von allen Seiten gebilligtes Referendum in Katalonien ein.

Würde ein unabhängiges Katalonien Mitglied der EU bleiben können?

Nein. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bekräftigte erst vor wenigen Tagen im Interview des TV-Senders Euronews, im Falle einer Unabhängigkeitserklärung werde Katalonien „automatisch“ ausgeschlossen. Die unabhängig gewordene Region werde auch nicht „am Tag danach“ der EU beitreten können.

Gibt es in Spanien nur in Katalonien Separatisten?

Nein. Unabhängigkeitsbewegungen gibt es unter anderem auch im Baskenland und in Galicien. Die regierende baskische Nationalisten-Partei PNV strebt ebenfalls einen unabhängigen Staat an, betont aber, man wolle nicht so radikal wie die Katalanen vorgehen.

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