Katastrophe in Syrien Aleppo wird fallen – und der Krieg geht weiter

Für den Syrien-Krieg ist Aleppo der Ort mit der größten Bedeutung. Wer diese Stadt beherrscht, kontrolliert den wichtigsten Punkt des Landes. Das größte Problem: Mit der Eroberung wäre der Krieg längst nicht vorbei.

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Während das Volk um Existenz und Überleben kämpft, bekriegen sich das Regime und die Rebellen immer weiter. Quelle: Reuters

Beirut Wo einst Kinder spielten, patrouillieren Soldaten durch menschenleere Straßen. Trümmer säumen ihren Weg. Von den Häusern stehen nur noch die Fundamente. Wie abgenagte Knochen ragen Metallstreben in die staubige Luft. Ausgehungert und ausgebombt ist die syrische Metropole Aleppo nach fast sechs Jahren Krieg. Und doch hat sie noch immer eine Schlüsselrolle im Konflikt zwischen Regierungstruppen, Rebellen und der Extremistenmiliz IS.

Wer diese Stadt beherrscht, kontrolliert den strategisch wichtigen Punkt zwischen Mittelmeer und Euphrat und damit den Nordwesten Syriens. Deswegen versuchen die Armee von Präsident Baschar al-Assad und ihre Verbündeten mit allen Mitteln, den Ostteil der früheren Millionenstadt von den Rebellen zurückzuerobern. Russlands Luftwaffe fliegt Angriffe, Assads Armee führt eine Koalition mit der libanesischen Hisbollah und Irans Revolutionsgarde am Boden.

Nicht heute und nicht morgen, aber irgendwann wird Aleppo unter die Kontrolle der syrischen Regierung geraten, sind Experten überzeugt. „Aleppo wird langsam fallen, vielleicht in einem Jahr“, sagt der ehemalige US-Botschafter in Syrien, Robert Ford, der heute am Nahost-Institut in Washington arbeitet. „Aleppo ist nicht der Wendepunkt, noch nicht.“ Das Assad-Regime werde zwar gewinnen, ist Ford überzeugt. Aber das werde den Krieg nicht beenden, weil die Opposition weiter kämpfen werde – trotz der heftigen Bombardements.

Ein Fall Aleppos wäre für die Rebellen allerdings verheerend, weil es für ihren Nachschub wichtig ist, sagt Rolf Holmboe. Der ehemalige dänische Botschafter im Libanon, in Syrien und Jordanien ist heute am kanadischen Global Affairs Institute beschäftigt. „Die Rebellen werden in Enklaven isoliert sein. Ohne Schwierigkeiten wird dann das Regime eine nach der anderen einnehmen.“ Assad werde alle großen Städte kontrollieren und „in der Lage sein, eine Friedenslösung nach seinem Wunsch zu diktieren.“

„Vielleicht wird es fünf Jahre dauern, vielleicht zehn – aber Assad wird der Herrscher über ein zersplittertes Land sein“, sagt Ex-US-Botschafter Ford. Auch Sarkis Naoum, ein in der Region bekannter arabischer Journalist, rechnet mit einer Spaltung Syriens. Er verweist auf die Golfstaaten, die hinter den Rebellen stehen und in den nächsten Jahren verhindern werden, dass sich der Krieg zu Assads Gunsten wendet.

„Für die Golfstaaten ist das der Krieg des Jahrhunderts. Sie sind bereit für ein zweites Afghanistan.“ Dort tobte in den 1980er Jahren ein Krieg zwischen der Regierung und den Mudschaheddin. Während die Sowjetunion die Regierungstruppen unterstützte, half Saudi-Arabien den islamistischen Rebellen mit Waffen. Obwohl die afghanische Armee weit überlegen war und sämtliche großen Städte kontrollierte, konnte sie den Widerstand der Mudschaheddin nicht brechen. Die Sowjetunion zog sich schließlich zurück.

Vielleicht nagt dies noch immer an der Regierung in Moskau. Russland versucht nicht nur, seinen Verbündeten Assad zu retten. Es will seinen Einfluss auf der Arabischen Halbinsel stärken und sich als Weltmacht etablieren – so wie der Iran sich als Regionalmacht.

In Aleppo wende Russland eine Strategie an, die sich schon im tschetschenischen Grosny bewährt habe, sagt Ford. Mit heftigen Bombardements hatte Russland 1999 bis 2000 die Hauptstadt der einstigen Sowjetrepublik im Kampf gegen islamistische Separatisten dem Erdboden gleichgemacht.


Für die Türkei wird es schwierig

Holmboe, der ebenfalls Parallelen zu Grosny zieht, sagt, es werde für die Türkei und den Westen sehr schwierig werden, die Rebellen in Aleppo zu versorgen. „Vorausgesetzt sie wollen das überhaupt.“ Wie groß die Bereitschaft der Unterstützer im Kampf gegen Assad überhaupt noch ist, ist fraglich. Während Russland und Iran keine Anzeichen von Zweifel an ihrem Rückhalt für Assad erkennen lassen, schwankt die Präsenz der Rebellen-Unterstützer.

So führen die Golfstaaten, die die syrischen Rebellen finanziell und mit Waffen unterstützen, zugleich einen Stellvertreterkrieg gegen die Huthi-Rebellen im Jemen. Ihr Erzrivale Iran leistet dort den Huthi Beistand. Jordanien hat laut Ford eine Versorgungsroute für die südliche Front der oppositionellen Freien Syrischen Armee gekappt.

Die türkischen Truppen konzentrieren ihre Kräfte nicht mehr länger auf Aleppo, sondern versuchen, die Kurdenmilizen aus dem syrischen Dscharablus zu vertreiben. Und auch die USA scheinen unter der endenden Präsidentschaft von Barack Obama vor allem ein Ziel zu haben: Den IS aus seinen Hochburgen Rakka in Syrien und Mossul im Irak zu vertreiben.

Während die westlichen Mächte, die Golfstaaten und die Regierung in Ankara hadern, spitzt sich der Krieg um Aleppo zu. „Russland hat viel Einfluss auf Assad: Wir müssen dieses grauenhafte Verbrechen so schnell wie möglich beenden“, fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Uno-Hochkommissar für Menschenrechte, Raad al-Hussein, wirft der syrischen Armee und ihren Verbündeten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Anwohnern zufolge waren die jüngsten Bombardements auf Aleppo schwerer als je zuvor. Al-Hussein warnte die Regierung in Moskau davor, den Ostteil Aleppos weiterhin mit Brandbomben anzugreifen.

Zudem werfen Assad und seine Verbündeten offenbar bunkerbrechende Waffen über den Rebellengebieten abzuwerfen. Bilder aus Aleppo zeigten mehrere Meter tiefe Krater. Bewohner berichten von einer Zerstörungskraft, die ganze Gebäude in sich zusammenfallen lasse. „In spätestens zwei, zweieinhalb Monaten wird Ost-Aleppo wohl vollständig zerstört sein, wenn der Beschuss so weitergeht“, sagte der Uno-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura. Dann werden von den Häusern nicht einmal mehr die Fundamente stehen.

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