Kaukasuskonflikt Vom Nationalitätenkonflikt zu knallharter Geopolitik

Der Riese Russland führt Krieg gegen den Zwerg Georgien – so wird der blutige Konflikt im Kaukasus auf den Punkt gebracht. Doch so einfach ist das nicht. Als erste marschierten die Georgier in Südossetien ein. Deren Präsident Saakaschwili hat unterschätzt, wie gnadenlos die Regionalmacht Russland in ihrem „nahen Ausland“ interveniert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Russische Truppen auf dem Weg Quelle: dpa

Einen Tag vor seiner Vereidigung als Präsident besuchte Michail Saakaschwili die Grabstätte Davids IV., „des Erbauers“ Georgiens, der symbolisch für die Einheit seines Landes im Mittelalter steht. Vor den Fernsehkameras legte der Staatschef den Schwur ab, sein stolzes Land groß und stark zu machen und die territoriale Einheit wieder herzustellen. Das war am 24. Januar 2004. Viereinhalb Jahre später, in der Nacht zum 8. August 2008, machte er sein Versprechen wahr und schickte Truppen nach Südossetien.

Saakaschwilis Kalkül: Nach einem kurzen, heftigen Militärschlag sollte die abtrünnige Region zurück unter georgische Kontrolle geholt werden. Das würde den ersten der zwei großen innenpolitischen Konflikte lösen, die dem selig gewünschten Nato-Beitritt seines Landes im Wege stehen. Bestenfalls würde Abchasien freiwillig folgen, die zweite Region, die seit Anfang der Neunziger auf ihre Unabhängigkeit beharrt.

Doch Saakaschwili hat fatale Fehler begangen: Erstens hat er die Stärke seiner mit Hilfe amerikanischer Militärberater modernisierten Armee überschätzt. Die südossetischen Separatisten, ausgestattet mit modernen russischen Waffen, erwiesen sich als überaus widerstandsfähig. Zweitens hat er unterschätzt, wie heftig die Russen auf die Attacke gegen Südossetien reagieren. Nur Stunden nach den georgischen Angriffen ratterten russische Panzer über die georgische Grenze, die Luftwaffe flog Angriffe auf Ziele in Zentralgeorgien. Drittens hat sich Saakaschwili zu sehr auf Bündnispartner USA verlassen: Einem Konflikt mit der Nuklearmacht Russland gehen die Amerikaner aus dem Weg.

In den Wurzeln ein Nationalitätenkonflikt

In seinen Wurzeln ist der neue Kaukasuskrieg ein Nationalitätenkonflikt – so wie alle Reibereien, die das „Pulverfass Kaukasus“ seit Jahrzehnten am Brodeln halten. Die Schuld am Konflikt zwischen Südossetien und Georgien trägt indirekt Stalin: Er hat 1931 mit einer willkürlichen Grenzziehung den Südteil Ossetiens Tiflis und den Nordteil Moskau zugeschlagen. Seit Anfang der Neunziger strebt der Südteil die Autonomie von Georgien und langfristig eine Wiedervereinigung mit dem russischen Nordossetien an.

Ein monatelanger Bürgerkrieg kostete bis 1992 rund 10.000 Menschen das Leben, 30.000 flüchteten aus der umkämpften Bergregion, die der Fläche nach in etwa so groß wie das Saarland ist. Doch Georgien möchte Südossetien nicht ziehen lassen, da die Region wie auch Abchasien im historischen Bewusstsein ein wichtiger Teil der nationalen Identität ist. Außerdem will Saakaschwili den Flüchtlingen georgischer Nation die Rückkehr ermöglichen – mit diesem Versprechen hat er nicht zuletzt die Wahl gewonnen.

Für die Kaukasusvölker tobt ein Nationalitätenkonflikt. Dem Rest der Welt geht es um knallharte Geopolitik. Der Kreml demonstriert mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf Georgien mal wieder die neu gewonnene Stärke Russlands – diesmal aber nicht mit dem Gashahn, sondern mit Panzern, Kampfjets und Fregatten. Mit der harten Attacke gegen Georgien, kaschiert als Unterstützung der russischen „Friedenstruppen“ im südlichen Kaukasus, möchte Moskau vor allem den georgischen Nato-Beitritt verhindern.

Darauf drängen insbesondere die USA. In einem Strategiepapier des Pentagons, das acht Tage vor Kriegsbeginn an die Öffentlichkeit kam, wurde Russland neben China als potenzieller geopolitischer Gegner bezeichnet. Die Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien wäre ein wichtiger Baustein, die Macht der Russen im postsowjetischen Raum zu zügeln. Das kleine Georgien würde sich mithilfe der Militärpartnerschaft mit dem Westen aus dem Gravitationsfeld der übermächtigen Russen lösen.

Und so eskaliert ein Nationalitätenkonflikt. Die Verzahnung mit geopolitischen Interessen macht ihn ungemein gefährlicher, indem plötzlich Russland als Kriegsführer auf den Plan tritt und an der beispiellosen Zerstörung der winzigen Bergregion mitbombt. König David „der Erbauer“ hätte das sicher nicht gewollt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%