Kirchenasyl in den USA „Heiliger Widerstand“ gegen Trump

Millionen Migranten in den USA droht nach Donald Trumps Amtsantritt die Abschiebung. Hilfe kommt für sie von ungewöhnlicher Seite: Hunderte Kirchengemeinden im ganzen Land bieten den verzweifelten Menschen Asyl an.

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Wie eine Quäkergemeinde in Denver Ingrid Encalata Latorre geben viele Kirchen in den USA Migranten die Angst vor ihrer Abschiebung haben Asyl. Quelle: AP

Brockton Ingrid Encalata Latorre fand zusammen mit ihrem einjährigen Sohn Anibal Zuflucht in einem Andachtshaus der Quäker in Denver. Die 32-jährige Peruanerin wartet auf einen endgültigen Bescheid aus Washington über ihre drohende Abschiebung. Wie Millionen andere Einwanderer in den USA befürchtet sie, kurz nach dem Amtsantritt des künftigen Präsidenten Donald Trump das Land verlassen zu müssen. Hunderte Kirchengemeinden bieten den verunsicherten Migranten ohne Ausweispapiere Asyl, geistliche Unterstützung und Rechtsberatung an.

In der Stadt Brockton südlich von Boston etwa haben vier Kirchen angekündigt, von der Abschiebung bedrohte Einwanderer aufzunehmen. „Wer einen sicheren Platz sucht, hat ihn gefunden, sobald er durch die Tür dieses Gebäudes tritt“, sagt Pfarrer Abraham Waya von der Vereinigten Methodistischen Kirche. „Wir werden ihn aufnehmen und uns so lange wie notwendig um ihn kümmern.“ Er könne in seiner Kirche bis zu 100 Menschen beherbergen, erklärt der Pfarrer.

Dass unter vielen illegal eingewanderten Menschen nun die Angst umgeht, wurzelt in Trumps Aussagen im Wahlkampf. Der Republikaner hatte angekündigt, die Einwanderungspolitik des amtierenden Präsidenten Barack Obama sofort auszusetzen. Dazu gehört auch ein Gesetz aus dem Jahr 2012, das mehr als 700.000 Migranten, die als Minderjährige illegal in die USA gebracht worden waren, Arbeitsgenehmigungen und eine Duldung erteilte.

In einem Interview mit dem Magazin „Time“ klang Trump nun etwas weniger drastisch. „Wir werden uns etwas überlegen, dass die Leute glücklich und stolz macht“, sagte er mit Blick auf junge Einwanderer ohne Papiere. Die für die Überwachung der Einwanderung zuständigen Bundespolizisten vermeiden es bislang, Menschen, die abgeschoben werden sollen, an sogenannten sensiblen Orten wie Schulen, Kirchen und Krankenhäusern in Gewahrsam zu nehmen, wie ein Sprecher der Behörde Immigrations and Customs Enforcement (ICE) sagt.

Einer Auflage aus dem Jahr 2011 zufolge sind Vollstreckungsmaßnahmen an diesen Orten nur bei Terrorfällen oder unter „dringenden Umständen“ möglich. Landesweit haben bisher etwa 450 Kirchen und Glaubensgemeinschaften verschiedener Couleur Hilfe angeboten, die von der Beförderung von Schulkindern über finanzielle Unterstützung bis zum Kirchenasyl reicht, wie die Pfarrerin der Southside Presbyterian Church in Tucson im US-Staat Arizona, Alison Harrington, erklärt.

Zwar hätten illegale Einwanderer schon seit Jahrzehnten Angst ausgewiesen zu werden, vor allem seit unter der Obama-Regierung die Zahl der Abschiebungen zunahm. Doch Trumps Ankündigungen, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, Muslimen die Einreise zu verbieten und Millionen Menschen abzuschieben, habe „die Menschen wirklich aufgeschreckt“, erklärt die Pastorin, die sich in der landesweiten Kirchenasyl-Bewegung engagiert.


„Kirchenasyl-Diözese“ Los Angeles

Die Diözese von Los Angeles mit ihren mehr als 140 Gemeinden rief in einer Resolution zum „heiligen Widerstand“ gegen Trumps Vorschläge in der Einwanderungspolitik auf und erklärte sich selbst zur „Kirchenasyl-Diözese“. In Philadelphia verzeichnete ein Verband aus 17 Kirchen und zwei Synagogen einen gewaltigen Zulauf von Freiwilligen für ein Programm, das Migranten unterstützt, deren Wohnungen von der ICE durchsucht werden.

Noch im Mai engagierten sich dort 65 ehrenamtliche Helfer. In den zwei Wochen nach Trumps Wahlsieg meldeten sich mehr als 1000 neue Freiwillige an, wie Peter Pedemonti sagt, Geschäftsführer der Initiative Neue Kirchenasylbewegung. „Wir wissen, dass wir jetzt an einem anderen Punkt in der Geschichte stehen und dass unser Glaube uns zu mutigeren Aktionen zwingt“, erklärt Pfarrerin Harrington.

Einige Kirchen haben ihre Versprechen schon jetzt wahr gemacht: Die Arch Street United Methodist in Philadelphia nahm vor drei Wochen einen 40-jährigen Mann aus Mexiko auf. Javier Flores war 1997 illegal in die USA eingewandert, wurde seitdem mehrere Male abgeschoben und reiste immer wieder ein. Nachdem er mehr als ein Jahr lang in einem Abschiebelager der ICE festgehalten worden war, ließ ihn die Behörde für 90 Tage frei, damit er seine Ausreise vorbereiten konnte. Flores wollte sich nicht von seiner Frau und seinen drei Kindern trennen und brachte sich deshalb in dieser Zeit in Sicherheit, wie der leitende Pfarrer Robin Hynicka erzählt. „Für uns ist eine moralische Verpflichtung, Familien zusammenzuhalten“, sagt der Geistliche.

Ingrid Encalata Latorre, die von den Quäkern in Denver aufgenommen wurde, hatte im Jahr 2000 ihre peruanische Heimatstadt Cusco verlassen und war zu einer Tante nach Colorado aufgebrochen. Dort fand sie Arbeit als Tellerwäscherin, Kinderfrau, Putzhilfe und Altenpflegerin. 2002 kaufte sie einem windigen Straßenverkäufer gefälschte Papiere ab. Acht Jahre später wurde Latorre festgenommen und bekannte sich des Identitätsdiebstahls schuldig.

Sie zahlte eine Steuerschuld von 11.500 Dollar (10.700 Euro) zurück und überstand ihre Bewährungszeit. Allerdings wurde durch den Fall auch die Abschiebungsbehörde auf die Migrantin aufmerksam. Mit Hilfe eines Rechtsbeistands kam sie zusammen mit ihrem Sohn Anibal in dem Quäker-Tagungshaus unter.

Der einjährige Junge ist ebenso wie sein sieben Jahre älterer Bruder Bryant US-Bürger. Latorre will sich von Trumps Plänen nicht ins Bockshorn jagen lassen. „Ich habe mein halbes Leben hier verbracht“, sagt die 32-Jährige. „Ich habe keine Angst. Ich werde einfach kämpfen und weitermachen.“

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