Klage gegen den Brexit Brexit-Gegner wollen Parlamentsabstimmung erzwingen

Vor dem Londoner High Court hat die Anhörung über eine Klage gegen den Brexit begonnen. Die Kläger argumentieren, dass die britische Regierung für den EU-Austritt einen Parlamentsbeschluss braucht.

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Pro-EU Demonstranten vor dem High Court in London. In dem Prozess geht es darum, ob für den Brexit ein Parlamentsbeschluss benötigt wird. Quelle: AP

London Es ist ein kurzer Satz, und er klingt auf den ersten Blick recht eindeutig: „Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.“ So beginnt Artikel 50 des Lissabon-Vertrages, der den Abschied eines Landes aus der Staatengemeinschaft regelt. Doch was genau besagen die „verfassungsrechtlichen Vorschriften“ in Großbritannien in diesem Fall? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Londoner Gericht seit diesem Donnerstag.

Die Kläger, darunter die Londoner Fondsmanagerin Gina Miller und andere Brexit-Gegner, argumentieren: Es braucht einen Parlamentsbeschluss, um Artikel 50 und damit den EU-Austritt in Gang zu setzen. Ansonsten würden „fundamentale Rechte“ der Briten verletzt, sagte Lord David Pannick, der Gina Miller vor Gericht vertritt. Die gerichtliche Auseinandersetzung sei daher von grundlegender Bedeutung für die Verfassung des Landes. Auf diese Weise würden die Grenzen der Macht der Regierung ausgelotet.

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat zwar Anfang dieser Woche dem Parlament die Möglichkeit eingeräumt, über den Brexit zu debattieren, den sie bis Ende März 2017 einleiten will. Eine Abstimmung der Abgeordneten lehnt sie aber ab. Es sei Sache der Regierung, Artikel 50 auszulösen. May beruft sich dabei auf Hoheitsrechte, die einst von der Krone auf die Regierung übertragen wurden und auswärtige Angelegenheiten regeln, darunter auch die Beziehungen zu EU.

Der Londoner High Court, die erste Instanz für wichtige Fälle wie diese, wird seine Anhörung Anfang nächster Woche fortsetzen. Eine Entscheidung könnte es im Laufe dieses Monats geben. Möglicherweise leitet der High Court den Fall aber auch ohne einen Beschluss an den Obersten Gerichthof weiter, mutmaßen Juristen. Denn bereits im Vorfeld der Anhörung haben beide Parteien klar gemacht, dass zum Supreme Court gehen werden, sollten sie verlieren. Mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshof wird bis zum Jahresende gerechnet.

Sollten sich die Kläger um Gina Miller in dem Fall durchsetzen, dürfte das den Brexit verkomplizieren und möglicherweise auch Mays Zeitplan durcheinander bringen. Die Befürworter eines EU-Austritts kritisieren die Kläger daher massiv. Es sei der Versuch, das Referendumsergebnis durch die Hintertür auszuhebeln, sagte der konservative Abgeordnete Dominic Raab. „Ich glaube nicht, dass ein Fondsmanager mit tiefen Taschen und einflussreichen Freunden das Recht hat, vor Gericht zu gehen“ und die Brexit-Entscheidung zu behindern, sagte er der BBC. Eine große Mehrheit der Menschen in Großbritannien denke, es sei unerhört, was da jetzt vor Gericht passiere. Eine kleine Gruppe von Menschen versuche einen Beschluss zum EU-Austritt, für den 33 Millionen Briten stimmten, zu kippen.

Doch das ist nicht die Argumentation von Gina Miller. Es geht nicht darum, ob das Land die EU verlasse oder nicht, betonte ihr Verteidiger Pannick. „Es geht um eine deutlich engere Fragestellung – darum ob das Parlament dem Schritt zustimmen muss oder die Regierung das eigenmächtig machen kann.“

Miller selbst beschreibt ihr Anliegen im Gespräch mit dem Handelsblatt so: Beim EU-Austritt gehe es um eine Entscheidung von immenser Tragweite. Man brauche daher Sicherheit. Hinzu kommt ein weiteres Argumente: „Wir haben keine geschriebene Verfassung. Deshalb basiert ein großer Teil unserer Gesetze auf Präzedenzfällen“, sagt Miller. „Wenn die Regierung jetzt einen solchen Präzedenzfall schafft, indem sie ihre Exekutivgewalt nutzt, die Sache also ohne einen Parlamentsbeschluss durchzieht und den Menschen so ihre Rechte nimmt, dann kommen wir in sehr gefährliches Terrain.“ Es gehe ihr daher um mehr als den Brexit.

Vor Gericht zieht ihr Verteidiger am Donnerstag auch noch das Verfahren von Anfang der 70-er Jahre heran, als Großbritannien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitrat. Auch das sei durch einen Parlamentsbeschluss über die Bühne gegangen, so Pannick. Die Briten hätten im Zuge des Beitritts damals neue Rechte erhalten. „Und wenn man den Menschen diese Rechte wieder wegnehmen will, ist dafür eine Ermächtigung des Parlaments notwendig.“

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