Kommentar zu Tsipras und Varoufakis Ein Lehrstück für Demagogie

Europa ist in Gefahr: Griechische Linkspopulisten bedrohen den Integrationsprozess. Tsipras und Varoufakis gelingt es, Europas Politiker reihenweise vorzuführen. Wie kann das sein? Gastbeitrag eines Populismusforschers.

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Am Wahlabend im Januar feiert Syriza ihren Chef Alexis Tsipras. Quelle: dpa

Bonn Lange war die Blickrichtung einseitig: „Die zentrale Gefahr für den europäischen Integrationsprozess geht von rechtspopulistischen Demagogen aus”. Kaum eine politische Sonntagsrede nationaler und europäischer Eliten ist in den letzten Jahren ohne diese Wendung ausgekommen. Nun dreht sich das Blatt in Richtung links, und zwar mit einem Kollateralschaden für die mühsam aufgebaute europäische Währungsunion, Europas Flagschiff.

Griechische, hochideologische Linkspopulisten – angeführt von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis – führen Europas Politiker mit dem Nasenring durch die Manege. Nur ist das keine nette Zirkusvorstellung, sondern absurdes Theater, eine mittlerweile endlos scheinende Seifenoper.

Das nun verblüffte Deutschland hätte eigentlich der gewarnt sein müssen. Aus eigener Erfahrung. Dank Gregor Gysis Charme hat sich die tot geglaubte SED über die PDS erfolgreich in die Linke transformiert und im politischen System etabliert. Gysi klatscht auch schon lange für Tsipras, den griechischen Rattenfänger, eifrig Beifall, würdigt ihn als Glückfall Europas. Ein Charmeur steht für einen anderen Spalier.

Viele Rechts- und Linkspopulisten in Europa tun es spätestens jetzt Gysi gleich, bis hin zu Marine Le Pen. Kein Wunder, sie eint viel: eine charismatische Führungspersönlichkeit an der Spitze, die Kritik an den etablierten Parteien, das Spiel mit dem „Volk” via Politik auf der Straße, Euro-Skeptizismus, die neue Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin als Kontrapunkt zum transatlantischen Dogma.

Da spielt der starke Marxismus innerhalb von Syriza, der Partei von Tsipras, keine Rolle mehr,. Ideologie wird zur Fußnote – mit tragischen Folgen: Tsipras bringt mit seinem Finanzminister Varoufakis das europäische Modell ins Wanken, das auf den Säulen Konsens, Kompromiss und vor allem dem Symbol der Einigkeit, dem Euro besteht.

Vor der Wahl im Januar 2015 trieb der durch die fundamentale Krise epischen Ausmaßes groß gewordene Tsipras die klientelistischen Regierungsparteien vor sich her. Tsipras versprach viel, eine sozialistische Politik nach dem Gießkannenprinzip: keine Einsparungen, stattdessen Hilfsgelder, Schuldenschnitt und ein Weiter-so mit dem Euro.

Nach dem Wahlsieg im Januar 2015 schmiedete Alexis Tsipras in Rekordzeit eine Regierungskoalition mit einer eindeutigen rechtspopulistischen Partei, den Unabhängigen Griechen. Die deutsche Linke um Gregor Gysi war vom neuen, strahlenden Regierungschef dennoch begeistert und vergaß trotz des unliebsamen Partners allen Antifaschismus und den üblichen Kampf gegen Rechtspopulismus.


Bild des lässigen Linken

Tsipras holte sich als rechte Hand einen schillernden Quereinsteiger an seine Seite, den kosmopolitischen Wirtschaftsprofessor und Spieltheoretiker Yanis Varoufakis, der das Spiel mit den Medien perfekt beherrscht. Der Professor machte sich als marxistisch inspirierter Erklärer der Finanzkrise einen Namen, baute Reputation mit einem breiten globalen Netzwerk gerade auch zu Medienagenturen auf.

Tsipras und Varoufakis, dynamisch wie unorthodox, nie mit Krawatte, haben im Gleichklang ein Bild eines lässigen Linken kreiert, das von der Radikalität ihrer Forderungen und Ansichten ablenkt. Vorläufiger Höhepunkt ist nun, dass die beiden Männer nach den Brüsseler Verhandlungen erneut den Ton vorgeben. Fraglich, ob sie je eine Lösung erreichen wollten.

Tsipras und Varoufakis gehen mit dem angekündigten Referendum nun einen dritten Weg. Eigentlich sollte es in der ganzen Debatte um die Frage gehen, ob Griechenland im Euro unter Erfüllung der Reformauflagen bleibt oder den Grexit unternimmt – wie auch immer der aussehen mag, denn dafür müsste Griechenland aus der EU ausscheiden und dann als Nicht-Euro-Land wieder eintreten.

Doch diese Frage stellt das fast schon bizarre Referendum nicht. Dem einfachen Volk wird Fachchinesisch vorgelegt, ein Hohn auf die technokratische Sprache von der Troika. Die von Tsipras präferierte Antwort „Nein” müsste dann zu einen Antrag auf Grexit führen. Das Referendum ist also allein eine taktische Rochade, Verhandlungsmasse und wird auch von den Protagonisten selbst wieder in Frage gestellt.

Unabhängig davon wirkt alles wie ein Lehrstück für Demagogie. Man erkläre sich einfach zum Anwalt aller Bürger und schaffe sich ständig neue Feindbilder. Für die zahlreichen Opfer der Entwicklungen der vergangenen Jahre ist Tsipras eine Projektionsfläche und letzter Hoffnungsanker.

Wir wissen aus eigener leidlicher Erfahrung: Krisen machen Rattenfänger stark. Tsipras treibt mit ständigen Rochaden und Faktenverdrehereien Europas gutgläubige und harmoniesüchtige Eliten vor sich her. Abschreiben sollten ihn Politiker und Journalisten noch nicht, wirtschaftlicher Bankrott hin oder eher. Unterschätzt haben sie das griechische Männerduo lange genug.

Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler. Er lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der Hochschule für Politik in München. Schwerpunkte seiner Forschung sind Populismus, Parteien und Rechtsextremismus.

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