Konferenzen in Hamburg und Paris Kaum Hoffnung auf Frieden in Syrien

Russlands Außenminister Sergej Lawrow wirft den USA bewusstes Taktieren in Syrien vor. Zugleich verspricht er, dass Moskau „keinen Sieg um jeden Preis“ wolle. Harsche Kritik kommt von französischen Diplomaten.

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dpatopbilder - Der russische Außenminister Sergej Lawrow spricht am 09.12.2016 in den Messehallen in Hamburg auf einer Pressekonferenz am Rande der Sitzung des OSZE-Ministerrats. Foto: Christian Charisius/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Hamburg/Paris Im weitgehend zerstörten Osten Aleppos kann kaum Hoffnung auf Frieden aufkeimen. Es werde nicht, wie vom Westen gefordert, eine zehntägige Waffenruhe geben, sondern nur „eine kurze humanitäre Pause“, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Freitag in Hamburg am Rande des Treffens der Außenminister der 57 Mitgliedstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). „Solange die Banditen in Ost-Aleppo bleiben“ werde es weitere Angriffe auf die Stadt geben. Den USA warf Russlands Chefdiplomat Doppelzüngigkeit vor, Donald Trump hingegen lobte er. Auch Kanzlerin Merkel instrumentalisiert Lawrow.

Dass die USA eine „merkwürdige Position“ einnähmen und in der Frage um eine Lösung für Aleppo „verzögern“, erklärte Lawrow so: „Das State Department entscheidet in dieser Frage offenbar nicht, in Washington wollen wohl einige keinen Kontakt und keine Verhandlungen mit Russland. Oder die USA haben schlicht keinen Einfluss auf die Kämpfer.“

Moskau verlange von den Amerikanern, dass sie die Rebellen im Osten Aleppos zur Aufgabe und zum Abzug zwängen. Da die USA dies offenbar nicht könnten, arbeite Russland nun mit „Ländern in der Region, die Einfluss auf die Kämpfer haben. Dies ist vielleicht konstruktiver als die Zusammenarbeit mit den USA.“

Lawrow lehnte erneut eine längere Waffenruhe ab, das diene nur der Stärkung der Rebellen, die der russische Außenminister wie früher schon die Aufständischen in Tschetschenien wahlweise als Banditen oder Kämpfer bezeichnete. Unter ihnen herrsche Agonie und es werde so lange weiter gekämpft, bis sie aus Aleppo vertrieben seien.

Zugleich erneuerte Moskaus Chefdiplomat die Zusage, humanitäre Korridore zum Abzug von Rebellen und Zivilisten zu schaffen. Russland wolle „keinen Sieg um jeden Preis“. Deshalb sollten am Sonnabend in Genf russische und amerikanische Experten zusammenkommen, um Fluchtkorridore aus Ost-Aleppo zu definieren – „wenn die USA denn von ihren merkwürdigen Positionen abrücken“.

Während Lawrow sich sehr kritisch über die Kooperation mit der jetzigen US-Regierung äußerte, schlug er nach einer entsprechenden Pressefrage am Rande des OSZE-Treffens versöhnliche Töne über Amerikas künftigen Präsidenten an: „Seine Vorstellungen sind viel klarer als die Handlungen der Obama-Administration“, sagte Lawrow.

Auf die Frage nach Berichten einer russischen Einmischung vor der Bundestagswahl im kommenden Herbst durch Cyberattacken oder die Unterstützung bestimmter Gruppen, sagte Lawrow: „Das hat doch Bundeskanzlerin Merkel selbst Blödsinn genannt.“ Damit sagte der russische Außenminister allerdings die Unwahrheit. Denn es war die CDU-Chefin, die entsprechende Erkenntnisse deutscher Geheimdienste über russische Aktivitäten in Deutschland öffentlich gemacht hatte. Das scheint ein Beispiel für das frisch gekürte Wort des Jahres „postfaktisch“ zu sein: es kommt nicht mehr auf Wahrheit an, sondern auf Meinung und Empfinden.

Den Westen forderte Lawrow auf, von seiner „Doppeldeutigkeit“ abzurücken. Es sei die Nato gewesen, die „die Rüstungsfragen in Europa von der Wurzel an verändert hat“. Er warf der Allianz erneut vor, Russland einzukreisen und verschwieg dabei, dass die jüngsten Nato-Entscheidungen zur Verteilung rotierender Kampfverbände im Baltikum und in Polen eine Antwort auf die russische Intervention in der Ukraine und die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim waren. Nun nehme die Nato auch noch Montenegro auf und „hört nicht auf den Willen des montenegrinischen Volks“.

Montenegro war lange sehr russlandfreundlich, hat sich aber klar für eine Nato-Mitgliedschaft entschieden. Und nun klagt der russische Aluminium-Oligarch Oleg Deripaska gegen den kleinen Balkanstaat mit einer Einwohnerzahl geringer als Frankfurt wegen verletzter Geschäftsinteressen bei Montenegros Alu-Hütte.


Ratlosigkeit auch bei Syrien-Konferenz in Paris

Der Satz soll trotzig klingen, drückt aber doch mehr Hilflosigkeit aus: „300.000 Tote und ein Land in Trümmern, das ist kein Sieg, Russland gewinnt den Krieg in Syrien nicht.“ Ein französischer Diplomat versuchte am Freitag vor der Konferenz der „Freunde Syriens“, die Samstag in Paris stattfindet, die Hoffnung auf eine politische Lösung am Leben zu erhalten. Selbst wenn Aleppo falle, sei „das nicht das Ende der Geschichte.“ Teilnehmen werden an der Konferenz auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein US-Kollege John Kerry.

Viel mehr als der indirekte Appell an eine politische Vernunft Russlands, von der im Moment wenig auszumachen ist, bleibt dem Westen und seinen Verbündeten nicht. Sie versuchen der russischen Regierung den Gedanken nahezubringen, dass ein zerschossenes Syrien kein befriedetes Land werden könne. „Die Grosny-Strategie auf Syrien anzuwenden ist verrückt“, empört sich der Mitarbeiter von Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault. 1994 hatte Russland die tschetschenische Hauptstadt Grosny in Schutt und Asche gelegt, wie heute den Osten von Aleppo, um Rebellengruppen niederzukämpfen. Schätzungsweise 25.000 Menschen starben, vor allem durch wochenlangen Artilleriebeschuss. Die Rebellen behielten aber die Oberhand. Erst im zweiten Tschetschenienkrieg 1999 konnte Russland sie niederkämpfen.

„Die Strategie der militärischen Erdrosselung führt nur zu mehr Gewalt, zu mehr Terrorismus,“ warnt der französische Diplomat. Doch nichts deutet darauf hin, dass Russland für eine solche Warnung empfänglich wäre: Während der Westen zunehmend verzweifelt auf eine politische Lösung hofft, fährt Wladimir Putin mit der „Strategie des totalen Krieges fort“, wie man in Paris selber feststellt.

Der erneuten Ankündigung von Lawrow, es würden Korridore für die Evakuierung der Zivilbevölkerung und auch der Anti-Assad-Kämpfer geschaffen, begegnet die französische Regierung mit gehöriger Skepsis. Derartige Ankündigungen habe es schon oft gegeben. Mittlerweile spiele Lawrow selber seine Ankündigung herunter.

Was soll in dieser Lage die Konferenz der zehn Länder am Samstag bewirken? Man wolle „den Druck auf das Regime, auf Russland und auf den Iran erhöhen“, verspricht die französische Regierung. Gleichzeitig winkt sie aber beim Thema neue Sanktionen ab: Die schließe man zwar nicht völlig aus, doch sei die Beschlussfassung gerade in der EU so langwierig und schwierig, dass das keine unmittelbare Option darstelle. Bekräftigen wollen die zehn Länder, dass für sie der einzige denkbare Rahmen für eine Lösung die Resolution 2254 ist, die der UN-Sicherheitsrat vor einem Jahr einstimmig verabschiedet hat und die sich für eine politische Lösung sowie eine Machtveränderung in Syrien ausspricht. Russland selber habe dieser Resolution zugestimmt und stehe deshalb in der Pflicht, will man in Paris glauben – nur lässt sich Putin nicht in die Pflicht nehmen.

Gesprochen werden soll auch über Rakka. Die von den Amerikanern geführte militärische Koalition bereitet den Angriff auf die Hauptstadt des Islamischen Staats in Syrien vor. In Paris soll am Samstag beraten werden, wer die Stadt verwalten kann, wenn sie vom IS befreit ist. Damit ist man der Zeit wohl weit voraus. Denn niemand weiß, was geschieht, wenn in einem Monat Donald Trump ins Amt des Präsidenten eingeführt wird. Noch hat er keinen Außenminister ernannt. Im Wahlkampf kündigte er mehrfach an, er wolle sich aus ausländischen Kampfeinsätzen zurückziehen.

Das klang so, als wolle er Russland das Feld überlassen, worauf Moskau wohl spekuliert. Die Pariser Diplomaten trösten sich einstweilen: „Die Leute, die Trump bislang ernannt hat, sind nicht gerade fanatische pro-Russen.“

Letztes Thema der Begegnung der Syrien-Freunde am Samstag ist der Wiederaufbau Syriens. Da zeigen die französischen Diplomatem klare Kante: „Es gibt kein finanzielles Engagement, so lange es keine politische Lösung gibt.“ Die sei die Voraussetzung dafür, dass die zehn Millionen Flüchtlinge eine Chance auf Rückkehr sehen. Eines sei klar: Man werde „nicht für die Russen bezahlen.“

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