It’s the economy, stupid. Es sind Wirtschaftsfragen, die Wahlen entscheiden. Die 1992 im US-Präsidentschaftswahlkampf vom demokratischen Strategen James Carville geborene Losung gilt heute als das weltweit wichtigste Wahlkampf-Gebot. In entwickelten und friedlichen Demokratien bekommt derjenige das Kreuzchen, der für Aufstiegschancen und gut gefüllte Portemonnaies sorgt.
Bloß für Barack Obama, der eigentlich mit Fug und Recht behaupten kann, die USA umsichtig und nachhaltig aus der wirtschaftlichen Krise geführt zu haben, scheint das nicht zu gelten: Die Halbzeitwahlen am Dienstag in den USA gerieten – allen positiven Wirtschaftsdaten zum Trotz – zur großen Abrechnung mit dem US-Präsidenten und seiner Demokratischen Partei.
Erdrutschsieg für die Republikaner
Die US-Republikaner eroberten mit einem Erdrutschsieg die Mehrheit im Senat. Die Konservativen beherrschen nun beide Parlamentskammern. Für Präsident Barack Obama wird das Regieren dadurch noch schwieriger und die politische Blockade in Washington wird sich wohl verschärfen.
Worüber die Amerikaner am 4. November abstimmen
Alaska, Florida und die Hauptstadt Washington D.C. stimmen über eine Legalisierung von Cannabis-Produkten ab. In Florida wird über die medizinische Verwendung abgestimmt und im Bundesstaat Washington, wo Kiffen bereits erlaubt ist, über eine Besteuerung. Zudem stehen in Staaten wie Maine, Massachusetts, Michigan oder Kalifornien eine Reihe von regionalen Initiativen zum Thema Cannabis auf den Stimmzetteln. In Colorado, dem ersten US-Staat der das Kiffen legalisierte, wollen mehrere Initiativen dies rückgängig machen.
In den kalifornischen Städten San Francisco und Berkeley wird über eine Besteuerung von zuckerhaltigen Getränken abgestimmt. Sollte „Proposition E“ die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhalten, würden pro 29,9 Milliliter 2 US-Cent an Steuern fällig. Eine in den USA handelsübliche 350-Milliliter-Dose würde dann umgerechnet 19 Eurocent mehr kosten. Mit den Einnahmen soll Fettleibigkeit bekämpft werden. Berkeley will 12 US-Cent Umsatzsteuer pro Dose. Es wären dies die ersten derartigen Limo-Steuern in den USA.
Sechs regionale Referenden - in Ohio, Texas und Kalifornien - wollen Gas-Fracking verbieten. Umweltschützer sind besorgt über dessen Auswirkungen.
In Humboldt County in Kalifornien und in Maui auf Hawaii wird über ein Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen entschieden.
In Massachusetts sollen die seit 2011 erlaubten Kasinos wieder verboten werden.
Eine Initiative in Colorado würde Ungeborene unter den Definitionen „Person“ und „Kind“ im Strafrecht mit einschließen. Abreibungen würden dadurch erschwert.
Obama trat 2009, mitten in einer der größten Wirtschaftskrisen des Landes, sein Amt an. Der Leitindex der New Yorker Börse, Dow Jones Industrial, stand damals bei 7000 Punkten. Im vergangenen Jahr erreichte der Index mit 13.000 Punkten Vorkrisenniveau, heute steht er bei über 17.000 Punkten.
Bei rund zehn Prozent Arbeitslosenquote übernahm der Präsident, seither sinkt die Quote beständig und steht heute bei unter sechs Prozent. Und während die Eurozone im Krisenmodus verharrt, wächst die US-Wirtschaft in diesem Jahr mit 3,5 Prozent stärker, als selbst optimistische Ökonomen vermutet hatten.
Obama rettete die Autobauer General Motors und Chrysler mit Staatsmitteln vor der Pleite, heute erwirtschaften beide Unternehmen wieder gute Gewinne. Vor allem aber setzte er eine Gesundheitsreform durch, die erstmals allen Amerikanern eine Krankenversicherung ermöglicht und die – wie neue Daten sämtlicher Wirtschaftsforscher unisono belegen – funktioniert. Wie viele US-Präsidenten sind in den vergangenen Jahrzehnten mit diesem Vorhaben gescheitert!
Horrorszenarien sind ausgeblieben
Zehn Millionen zuvor unversicherte Amerikaner haben nun eine Krankenversicherung und in den kommenden Jahren wird der Zahl Versicherten um etliche weitere Millionen anwachsen. Sämtliche Horrorszenarien von Kritikern, wie steigenden Kosten für die schon zuvor Versicherten oder Belastungen für das Gesundheitswesen, sind bislang ausgeblieben.
Stattdessen freuen sich Versicherer, Ärzte und Krankenhäuser über zusätzliche Umsätze. Ebenfalls förderlich im Sinne von „It’s the economy“: Die Benzinpreise in den USA sind mit gut 60 Euro-Cent pro Liter so niedrig wie seit vier Jahren nicht mehr. Zudem ist das Shoppen für Amerikaner, die gerne per Kreditkarte auf Pump einkaufen, dank niedrigster Zinsen so vergnüglich wie selten zuvor.
Wissenswertes zu den Kongresswahlen
Der Kongress in Washington besteht aus zwei Kammern. Das Repräsentantenhaus mit seinen 435 Sitzen wird alle zwei Jahre komplett neu gewählt, so auch in diesem November. Die 100 Mitglieder im Senat werden hingegen für sechs Jahre bestimmt. Alle zwei Jahre wird rund ein Drittel dieser Senatoren neu gewählt. Diesmal stehen 36 Sitze im Senat zur Disposition.
Seine Hauptaufgabe ist die Gesetzgebung auf Bundesebene. Stimmen beide Kammern einem Gesetzesentwurf zu, geben sie ihn an den Präsidenten zur Inkraftsetzung weiter. Der Kongress hat viele weitere Aufgaben: Nur er kann etwa formell einen Krieg erklären oder den Staatsetat aufstellen. Der Senat muss zudem wichtige Personalentscheidungen des Präsidenten absegnen.
Nein, die Präsidentenwahl findet alle vier Jahre statt. Barack Obama wurde 2012 wiedergewählt. 2016 wird sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin bestimmt. Die Kongresswahlen in diesem Jahr finden also mitten in seiner zweiten Amtszeit statt und heißen daher auch „Midterm elections“ oder „Midterms“ (Zwischenwahl).
Es geht vor allem um Obamas weitere Regierungsfähigkeit. Die ist bereits jetzt eingeschränkt, weil er kaum noch Gesetze durch den Kongress bringen kann. Seine eigene Partei, die Demokraten, haben zwar die Mehrheit im Senat. Die Republikaner dominieren aber das Repräsentantenhaus. Verlöre Obama nun auch die Senatsmehrheit, könnte er ohne die Zustimmung der Konservativen nicht einmal mehr festlegen, wer hohe Ämter in seiner Regierung, bei wichtigen Behörden oder in der Justiz bekommt.
Die Meinungsforscher sagen: nein. Derzeit gibt es 53 demokratische Senatoren und 2 unabhängige, die meist mit den Demokraten stimmen. Die Republikaner haben 45 Sitze. Sie müssten also 6 Sitze bei dieser Kongresswahl hinzugewinnen, um auch im Senat das Sagen zu haben. Laut der „New York Times“ liegt die Wahrscheinlichkeit bei 70 Prozent, dass die Republikaner das schaffen. Die „Washington Post“ meinen sogar, es sei zu 95 Prozent sicher.
In manchen Bundesstaaten sind die Umfragen relativ ausgeglichen, darunter New Hampshire, North Carolina, Kansas, Iowa, Alaska, Colorado und Arkansas. Bei einem drohenden Patt zwischen Demokraten und Republikanern im Senat richten sich zudem die Blicke auf Louisiana und Georgia. In beiden Staaten muss ein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Sonst käme es erst im Dezember oder Januar zu Stichwahlen.
Das gilt als aussichtsloses Unterfangen. Die große Kongresskammer bleibt nach allgemeiner Einschätzung in der Hand der Republikaner. Derzeit stellen sie 233 Abgeordnete, die Demokraten 199. Drei Sitze sind vakant. Obamas Partei müsste den Konservativen also 17 Sitze abringen, um die Mehrheit zu erlangen. Stattdessen sieht es so aus, als würden die Demokraten eher noch Sitze verlieren.
Von einer Stärke der Konservativen sprechen die wenigsten, eher von der Schwäche der Demokraten. Das liegt vor allem an ihrem Präsidenten Obama. Knapp 42 Prozent der Amerikaner sind mit seiner Arbeit zufrieden, errechnete das Portal Real Clear Politics. Einen schlechteren Wert erzielte er in seiner Präsidentschaft selten.
Nein. Bei den „Midterms“ bekommt häufig die regierende Partei einen Denkzettel von den Wählern. Erschwerend für die Demokraten kommt hinzu, dass eine für sie wichtige Wählergruppe - junge Leute und Minderheiten - eher von den Wahlurnen wegbleiben, wenn es keinen neuen Präsidenten zu bestimmen gibt. Zudem stehen diesmal viel mehr Sitze im Senat zur Wahl, die derzeit Demokraten innehaben, nämlich 21 der 36. In zwei Jahren dagegen werden deutlich mehr Republikaner als Demokraten um ihren Sitze bangen müssen, so dass der Senat 2016 auch wieder an die Demokraten zurückgehen könnte.
Außerdem stehen 38 der 55 Gouverneure in den USA zur Wahl, unter anderen in großen und wichtigen Staaten wie Kalifornien, Texas, Florida und New York. Die Gouverneure sind Staats- und Regierungschefs der Bundesstaaten - nicht selten ist der Job ein gutes Sprungbrett, um später Präsident zu werden. Zudem werden am 4. November auch in 173 Städten Bürgermeister bestimmt. Die meisten Städte sind außerhalb der USA eher unbekannt. Doch auch in der Hauptstadt Washington sind die Bürger zur Urne gerufen.
Alles in allem, eigentlich beste Voraussetzungen für ausgelassene Wahlpartys der Demokraten am Dienstagabend. Stattdessen herrschte landauf, landab große Trübsal. Doch die Demokraten sollten das von ihnen erfundene, erste Wahlkampf-Gebot nicht vorschnell zu Grabe tragen.
Es ist nach wie vor die Wirtschaft, die die meisten Wahlen entscheidet und die – beim näheren Hinsehen – auch die Halbzeitwahlen in den USA entschieden hat. Denn die US-Wirtschaft wächst zwar, doch die meisten Wähler spüren von diesem Wachstum herzlich wenig.