Kontroverse Obama-Biographie Sex, Karriere und viel Sendungsbewusstsein

Wer ist Barack Obama? Diese Frage schien nach drei Obama-Büchern eigentlich hinreichend geklärt. Doch eine neue Biografie spaltet Amerika und zeigt eine völlig unbekannte Seite des Präsidenten.

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Eine neue Obama-Biografie zeichnet das Bild eines einst jungen Mannes, der vom engagierten und selbstlosen Studenten zum zielorientierten Karrieremenschen mutierte. Quelle: Reuters

San Francisco Barack Obama, der Wohlfühlpräsident: Kuschelbilder mit Ehefrau und First Lady Michelle. Ein liebevoller Vater mit Verständnis für die großen und kleinen Probleme der Welt, immer ein Lächeln auf den Lippen. Ein Präsident, der einmal vergisst, den Salut eines einfachen Soldaten zu erwidern als er aus dem Helikopter steigt und, als er es merkt, sofort umkehrt und sich dafür entschuldigt. Dann das Bild des mächtigsten Mannes der Welt, der durch den Regen läuft, weil er den Präsidentenschirm seiner Michelle überlassen hat. Tausende Mal geteilt und geliked auf Facebook oder Twitter.

Je näher die Präsidentschaft von Donald Trump rückte, desto mehr wurde Barack Obama ein Heiligenstatus zugeschrieben. Das Buch „Rising Star: The making of Barack Obama“ von David J. Garrow ist nun der Versuch, auf über 1400 Seiten diesen Nimbus zu zerstören. Es zeichnet das Bild eines einst jungen Mannes, der vom engagierten und selbstlosen Studenten zum zielorientierten Karrieremenschen mutierte, der viel früher als allgemein bekannt sein Auge auf das Weiße Haus geworfen hat und sogar aus politischen Gründen die Frau fürs Leben gewechselt haben soll.

„Rising Star: The making of Barack Obama“ ist nach Aussagen des Autors das Ergebnis von acht Jahren intensiver Recherche – und die pikanteste Zugabe ist eine ehemalige Freundin des späteren Präsidenten. Sheila Miyoshi Jager gibt zu Protokoll, sie und Obama hätten ständig über Heirat gesprochen. Doch irgendwann im Jahr 1987 habe er sich der Politik zugewandt.

Garrow konstruiert nun einen speziellen Grund für die spätere Heirat mit Michelle statt Jager: Eine weiße Frau wie die Halb-Holländerin und Halb-Japanerin Jager habe einfach nicht ins Konzept gepasst, wenn man in Chicago eine politische Karriere aufbauen wollte. Aus dem weltoffenen, multikulturellen jungen Obama wurde ein schwarzer Aktivist mit Sendungsbewusstsein. Dazu passt noch eine Einlassung von Jager, sie habe Obama auch nach dem Auftauchen der späteren First Lady noch eine Zeitlang „unregelmäßig“ getroffen.

Die starke Betonung und Rolle der bis dahin unbekannten Ex-Freundin im Buch wird durchaus kritisiert. Sie war, ebenso wie andere Freundinnen, in Obamas Buch „Dreams From My Father“ nie vorgekommen. Ihr Schattendasein hat die Beinahe-First-Lady jetzt mit einem Schlag beendet. Garrow will Jager verblüffend einfach gefunden haben: Er habe die Jahresbücher von Obamas Universität durchstöbert und einfach nach einer Kommilitonin gesucht, die unter der selben Adresse gemeldet war. Die hat er dann angemailt und später ausgiebig befragt. Unter anderem plauderte sie über Sex, was einen großen Teil ihrer Beziehung ausgemacht haben soll.

Muss das sein, fragt sich die Literaturgemeinde. Die sozialen Netzwerke laufen heiß. Muss man ausbreiten, ob eine andere Ex-Freundin angeblich Obamas Fähigkeiten mit (schlechten) Schulnoten bewertet haben soll oder ob sie gemeinsam Kokain ausprobieren wollten (was dann wohl nicht geschah)? Auf jeden Fall hätte es der Autor nicht leicht, sich ohne solche Details ins Gespräch zu bringen. Drei Bücher über Obama sind bereits auf dem Markt und gut angenommen, „Barack Obama: The Story,“ von David Maraniss, „Reading Obama“ von James T. Kloppenberg und „The Bridge” von David Remnick. Auf Garrow hat da niemand gewartet, wenn nicht die pikanten Kleinigkeiten dazugekommen wären.

In einen Gespräch mit dem „Guardian“ zeigte sich der Autor allerdings überrascht, dass Obamas Sexleben so viel Aufmerksamkeit bekommt. Er sieht den Beitrag seines Buchs woanders: „Bis 2004 haben wir einen einfachen Mann aus der Mittelschicht, der von einem Gehaltsscheck zum nächsten ein unauffälliges Leben lebt“, fasst er zusammen. Dann auf einmal der Wandel und er „glaube wirklich, dass der Obama, wie wir ihn jetzt kennen, so erstaunlich anders ist als der, den wir bis 2003 gesehen haben“. Das alles sei seinem Sendungsbewusstsein, dem Einfluss des guten Lebens, der Milliardäre und der Stars und Sternchen zuzuschreiben, von denen er auf einmal umgeben war.

Dem wollen andere nicht so recht folgen und schon gar nicht Michiko Kakutani. Sie ist eine der bekanntesten und renommiertesten Literaturkritikerinnen in den USA und Gewinnerin des Pulitzerpreises – so wie Garrow. Ihre Kritik in der New York Times fiel vernichtend aus: „(Das Buch) zu lesen ist eine trostlose Schinderei: Es ist aufgebläht, langweilig und ein böswilliges Buch, das dringend noch einmal redigiert werden müsste, und mehr ermüdend als erschöpfend.“

Allerdings muss man auch sagen, dass die Kritikerin eine glühende Verehrerin des abgetretenen Präsidenten ist, der gerade erst die Pläne für seine Präsidenten-Bibliothek in Chicago vorgestellt hat und an seinem Bild für die Ewigkeit baut. Da passen so ein paar Passagen der Biographie, die Garrow Obama vor Veröffentlichung vorgelegt haben will, nicht unbedingt ins makellose Bild. Genauso wenig wie sein Rednerhonorar von 400.000 Dollar von einer großen Wall Street-Firma, das er jüngst akzeptiert hat und viele seiner Bewunderer schwer enttäuscht hat. Der Einfluss des großen Geldes jedenfalls scheint nicht von der Hand zu weisen zu sein.

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