Korruption in der Ukraine Die ungebrochene Macht der Hinterzimmer-Separatisten

Angriffe auf Aktivisten, nicht aufgenommene Ermittlungen und Staatsbedienstete, die Luxuswagen fahren: Trotz markiger Kampfansagen blühen Korruption und Vetternwirtschaft in der Ukraine weiter – mit fatalen Folgen.

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Ukrainische Models präsentieren das Thema durch Designer Oleksy Zalevsky mit markiger Bildsprache – im goldenen Anzug machen sich viele Amtsträger noch immer die Taschen voll. Quelle: dpa - picture-alliance

Kiew Aufklärer wie Viktor Barkolenko leben gefährlich. Nicht nur in Kiew, sondern in der gesamten Ukraine. In Bucha, einer Stadt in der Region Kiew, hat Barkolenko zusammen mit einer Gruppe Journalisten von Radio Liberty illegale Landverkäufe dokumentiert. Das staatliche Land ist zu Sonderpreisen an Polizisten und Politiker verschachert worden. Als der Bericht bei Radio Liberty veröffentlicht wurde, bedrohten Unbekannte Barkolenko und warfen Scheiben seines Hauses mit Steinen ein.

Die örtliche Polizei sieht bis heute keinen Grund, Ermittlungen aufzunehmen. „Wegen einer zerbrochenen Fensterscheibe starten wir keine Strafermittlung“, sagt der Chefermittler der Provinz, Anatoli Schugalija, der „Kyiv Post“.

Korruptionsbekämpfer stehen in der Ukraine auf verlorenem Posten: Gesetze werden verabschiedet, Regierung und Medien predigen deren Umsetzung. Seit mehr als einem Jahr beherrschen Themen wie Korruptionsbekämpfung und Lustration – also die Entfernung belasteter Mitarbeiter aus öffentlichen Ämtern – die öffentliche Diskussion. Doch geändert hat sich bislang: nichts. Journalisten und Aktivisten wie Barkolenko decken immer neue Fälle von Korruption auf und werden dafür verprügelt und bedroht.

Die NGO „Reanimation Reformpaket“ schreibt in ihrer jüngsten Stellungnahme: „Die neue Ukraine sieht in vielerlei Hinsicht so aus wie die unter Präsident Janukowitsch.“ Der Bericht der Bürgerrechtler ist ein Armutszeugnis für die Regierung von Präsident Petro Poroschenko und Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk. Hatten sie sich doch auf die Fahnen geschrieben, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen und Posten in Verwaltung und Justiz von alten Kadern zu befreien.

Zwar werden in Kiew regelmäßig publikumswirksam hohe Beamte verhaftet, deren Wohnungen durchsucht und massenweise Luxusgüter wie Brillanten, Goldbarren, kostbarer Schmuck und haufenweise Dollarnoten gefunden, doch dienen solche Aktionen eher der Publicity.

Bereits 2008 hatte er Journalisten Hinweise auf Korruption und Landraub gegeben und wurde damals brutal zusammengeschlagen. Die Täter wurden nie ermittelt. Barkolenko hatte auch damals die Polizei verständigt. Damals wie heute sagten sie: Es mache keinen Sinn, die Täter zu suchen, weil die sowieso nicht vor Gericht gestellt werden.

Auch in der westlich von Kiew gelegenen Region Schytomyr wurden Bürgerrechtler attackiert, als Medien von Korruptionsfällen berichteten. Alexander Nikolaitschuk hat den illegalen Bernsteinabbau zum Thema gemacht. Das Rohmaterial wird ohne Genehmigung abgebaut und unversteuert über die Grenze geschmuggelt. Zurück bleibt die zerstörte Natur, weil der Abbau mit Waldrodungen und Chemieeinsatz erfolgt. Die Behörden wissen von dem Problem, tun aber nichts.


„Ich verlor sofort das Bewusstsein“

Anfang Juli hatte sich das Regionalparlament in Schytomyr mit dem illegalen Abbau von Bernstein beschäftigt. Kurz darauf, auf dem Heimweg, wurde Nikolaitschuk von drei Männern angegriffen. Sie hatten es nicht auf Geld oder Wertsachen abgesehen. „Das ist für das Bernstein“, sagte einer der Angreifer und schlug den Aktivisten mit einem Stahlgegenstand von hinten auf den Kopf.

„Ich verlor sofort das Bewusstsein“, sagte der Mann einem Regionalsender. Seit drei Jahren sei er nun in der Korruptionsbekämpfung aktiv und habe nach der Maidan-Revolution im Winter 2013/14 die Hoffnung gehabt, dass sich nun endlich etwas in der Ukraine ändere.

Doch anstatt zu verschwinden, veränderten sich die Methoden der Unterdrückung nur. Wenige Tage, nachdem er auf der Straße zusammengeschlagen worden war, erhielt Alexander Nikolaitschuk einen Anruf. Der anonyme Gesprächspartner bot ihm eine Summe Bargeld in Westwährung, wahlweise US-Dollar oder Euro an, wenn er seine ehrenamtliche Arbeit einstelle und von weiteren Aktionen absehe. „Ich bin darauf nicht eingegangen“, erzählt Nikolaitschuk.

Mittlerweile ist der illegale Bernstein-Abbau sogar Thema bei der Administration von Präsident Poroschenko angekommen. Nach Auskunft einer Sprecherin des Innenministeriums wurden drei Männer im Alter von 21 und 22 Jahren festgenommen

„Es sind Kriminelle, die ihren Lebensunterhalt mit der Ausübung von Gewalttaten finanzieren“, hieß es in einer Stellungnahme. Mittlerweile sind sie allerdings wieder auf freiem Fuß, nachdem die Zahlung der Kaution in Höhe von 25.000 ukrainische Griwna (umgerechnet 1039 Euro) gezahlt wurde.

Nicht nur kleine Beamte sind bisher meistens verschont geblieben, auch Gouverneure und Mitglieder des Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft behielten ihre Posten. Dabei wurde bereits im vergangenen Oktober ein Gesetz verabschiedet, das die Überprüfung dieser Mitarbeiter vorsieht. Nach dem Vorbild Polens und der baltischen Staaten sollte der Verwaltungskörper der Ukraine erneuert werden.


Nur wenige Beamte mussten ihren Platz räumen

Der Gouverneur der ostukrainischen Region Kirowograd, Sergej Kuzmenko, ist solch ein Fall. Wenn es nach dem sogenannten Lustrationsgesetz ginge, müsste er längst ersetzt worden sein. Kuzmenko war Mitglied der Partei der Regionen von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch und ab 2010 in verschiedenen Führungspositionen tätig. Unter anderem stimmte er noch im Januar 2014 für eine Reihe von Gesetzen, die die Medien-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit in der Ukraine stark einschränken sollten.

Das Justizministerium hat nun eine Anfrage an die Präsidialadministration von Präsident Poroschenko gesendet, um zu klären, warum Kuzmenko nach wie vor Gouverneur ist. Als Antwort kam zurück: Kuzmenko wurde zum Gouverneur ernannt, bevor das Lustrationsgesetz im Oktober 2014 verabschiedet wurde.

Selbst in Poroschenkos Administration sitzen noch immer Leute, die bereits unter Janukowitsch gearbeitet haben. Das Justizministerium empfahl dem Präsidenten sogar, sich von Alexej Dniprow zu trennen. Schließlich war der 33-Jährige bereits stellvertretender Bildungsminister und Vize-Chef des Kabinetts des mittlerweile entmachteten Janukowitsch.

Doch Dniprow wurde Anfang 2015 sogar erneut eingestellt. Als Begründung gab die Administration an, Dniprow habe auch in den Jahren 2011 bis 2013 als Minister und Verwaltungsexperte gearbeitet, und bei dieser Kombination sehe das Gesetz keine Lustration vor.

Bislang haben nur wenige Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ihren Stuhl räumen müssen. Wenn, dann waren es vor allem Beschäftigte in den unteren Gehaltsgruppen und vormalig Mitglieder der Kommunistischen Partei der Ukraine.

„Bislang sind weder frühere Spitzenbeamte oder Politiker unter den Lustrierten, noch Menschen, die sich durch Korruption am Staatseigentum bereichert haben“, beklagt sogar das eigene Justizministerium. „Auch diejenigen, die bisher nicht erklären können, woher das Geld stammt, mit denen Villen, Luxuswagen und Motorräder angeschafft wurden, haben ihren Job behalten.“

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