Kosovo Am Balkan droht ein politisches Erdbeben

Im Kosovo wird ein neues Parlament gewählt – ein Jahr vor dem regulären Termin. Laut Umfragen liegt eine extremistische Koalition aktuell weit vorn. Dem kleinen Balkanstaat droht eine Verschärfung der Dauerkrise.

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Albin Kurti, Kandidat für den Posten des Premierministers bei der kosovarischen Oppositionspartei Vetevendosje, winkt am in Pristina bei einer Wahlkampfveranstaltung. Der jüngste Staat Europas wählt ein Jahr vor dem regulären Termin, weil die Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde. Erwartet wird eine Stärkung der Extremisten, wodurch die EU-Vermittlung zwischen den verfeindeten Nachbarn Kosovo und Serbien noch schwieriger wird. Quelle: dpa

Pristina Ein Jahr vor dem regulären Termin wählt das Kosovo ein neues Parlament, weil die Koalition zwischen der Demokratischen Partei (PDK) und der Demokratischen Liga (LDK) zerbrochen war. Die PDK, die aus der früheren Rebellenbewegung UCK hervorgegangen war, hat sich mit zwei weiteren ehemaligen Anführern der Aufständischen von Ende der 90er Jahre zum „Kriegsflügel“ zusammengeschlossen. Diese extremistische Koalition liegt in allen Umfragen weit vorn.

PDK-Chef und Parlamentspräsident Kadri Veseli war lange der Chef des mächtigen Geheimdienstes (SHIK). Er ist jetzt verbündet mit Ramush Haradinaj und dessen oppositioneller Allianz für die Zukunft (AAK). Haradinaj war bis Ende April monatelang in Frankreich festgehalten worden. Denn Serbien, von dem das fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo 2008 abgefallen war, hatte dessen Auslieferung wegen Kriegsverbrechen verlangt. Ein Gericht in Colmar verfügte schließlich seine Freilassung. Der Dritte im Bunde ist Fatmir Limaj von der NISMA-Partei, ebenfalls ein ehemaliger UCK-Kommandant.

Diese Radikalen werden verstärkt von der extrem nationalistischen „Vetevendosje“ (VV). Die ist schon bisher die drittstärkste Kraft und ihr werden satte Zugewinne vorausgesagt. Zwar liegen VV-Ziehvater und Regierungschef-Kandidat Albin Kurti sowie der „Kriegsflügel“ oft über Kreuz, doch in ihren extremen Zielen sind sie sich sehr ähnlich. Die nach jahrelangen EU-Vermittlungen verabredete Autonomie der serbischen Minderheit in Nordkosovo soll vom Tisch gewischt werden, hatten sie angekündigt. Überhaupt wollen alle vier Parteien gegenüber dem ungeliebten großen Nachbarn Serbien eine viel härtere Gangart einschlagen.

Damit könnte die Dauerkrise um das Kosovo wieder in eine heiße Phase eintreten, weil selbst die wenigen bisher umgesetzten Kompromisse zwischen Serbien und dem Kosovo zur Disposition stünden. Daneben haben die vier radikalen Kosovo-Politiker ihren Wählern versprochen, innerhalb von nur drei Monaten die EU zur Abschaffung des Visazwangs zu bewegen. Kosovo ist bisher der einzige Balkanstaat, dessen Bürger nicht visafrei nach Westeuropa reisen dürfen. Der Grund: Pristina hat zentrale Versprechen gegenüber Brüssel nicht eingehalten.

Das gilt für die nicht umgesetzte größere Autonomie der Serben im Kosovo oder die Festlegung der umstrittenen Grenze zum Nachbarn Montenegro. Und vor allem: Kosovo ist einer der kriminellsten und korruptesten Staaten Europas geblieben - einschließlich Waffen-, Drogen- und Menschenhandels im ganz großen Stil. Die Justiz gilt als unfähig, korrupt und oft als verlängerter Arm der Politik. Die wirtschaftliche und soziale Misere - samt Rekordarbeitslosigkeit vor allem unter den Jungen - treibt die Menschen in die kriminellen Netzwerke.

Daher gibt es seit vielen Jahren Überlegungen von Seiten der USA und der EU, wie man führende Politiker matt setzen könnte, weil sie traditionell als Clanführer diese Probleme befeuern. Hoffnung bringt das soeben in Den Haag gegründete internationale Gericht zur Aufarbeitung albanischer Kriegsverbrechen vor allem an Serben. Doch die Radikalen hoffen offensichtlich, durch die Übernahme der Regierung die drohende Verfolgung ihrer führenden Vertreter durch Den Haag unmöglich zu machen.

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