Das grundsätzliche Problem aber wurde so nicht gelöst. Im Gegenteil, allen Beteiligten signalisierte das Vorgehen, dass im Notfall die Regierung einspringt, die hinter den namenlosen Investoren gesteckt haben dürfte. Die Aussicht auf Rettung durch den Staat verleitet Trusts und Sparer dazu, immer risikoreichere Kredite zu vergeben, beziehungsweise immer dubiosere WMPs zu zeichnen. Die Kreditspirale dreht sich immer schneller.
Andy Xie, ein unabhängiger Analyst, hofft deswegen geradezu auf die Pleite eines Trusts: „Die Investoren spekulieren auf Bailouts der Regierung“, sagt er. Eine Reihe von Pleiten hätte einen reinigenden Effekt auf die Realwirtschaft. Mit einem Großteil des Geldes werde ohnehin auf steigende Immobilienpreise spekuliert. Ein anderer Teil diene dazu, ineffektive und unproduktive Projekte der Lokalregierungen zu finanzieren. „Wenn China nachhaltiger und qualitativer wachsen will, ist es gesund, einige dieser Produkte platzen zu lassen“, sagt Xie. „Auch wenn das kurzfristig zu Problemen führt.“
Nur weiß niemand genau, wie groß die Turbulenzen im Fall einer Pleite wären. Verlieren Anleger erst einmal Geld bei einem als sicher angepriesenen Produkt, könnte das eine verheerende Signalwirkung haben. „Erlaubt man eine Pleite, wird das Geld von vielen WMPs in einer Geschwindigkeit abgezogen, die auch gesunde Verleiher stark unter Druck setzt“, sagt Michael Pettis, Professor für Finanzwesen an der Peking-Universität.
Gefährliche Insolvenzwelle
Die darauffolgende Geldknappheit werde auch gesunde Unternehmen treffen. Die Kreditkrise könnte sich zu einer Wirtschaftskrise auswachsen. Denn schon jetzt ist Geld knapp in China. „Viele unserer Kunden berichten von Problemen bei chinesischen Banken, langfristige Kredite zu bekommen“, sagt Edith Weymayr von der Commerzbank. Niemand weiß, wie eng die Verflechtungen zwischen Fondsanbietern und Banken sind. Auch Lokalregierungen haben in die Produkte investiert. Am wahrscheinlichsten ist eine Kettenreaktion, die zu massiven Zahlungsausfällen führt. Indirekt hätte das auch Folgen für ausländische Unternehmen in China, warnt Weymayr: „Eine Kreditkrise beträfe deutsche Unternehmen insbesondere dann, wenn deren chinesische Geschäftspartner in Zahlungsschwierigkeiten gerieten oder keine Bestellungen mehr tätigen, da ihre Finanzierung nicht gewährleistet ist.“
Bisher versucht die Regierung, sich durchzuwursteln: Sie springt für angeschlagene Trust-Produkte ein und versucht gleichzeitig, den Sektor auszutrocknen. Im vergangenen Juni entzog die Zentralbank den Geschäftsbanken schlagartig Liquidität. Das Vorgehen sollte die Banken dazu anhalten, ihre Kreditvergabepraktiken zu überdenken. Doch weniger Geld im Markt treibt nur noch mehr Unternehmen zu den Schattenbanken.
Die Freigabe der Zinsen könnte den wuchernden Schattenbankensektor zurückdrängen. Denn der Wettbewerb dürfte die Banken zwingen, mit höheren Zinsen um die Spareinlagen der Kunden zu werben. Legen diese ihr Geld bei den Banken an, statt WMPs zu kaufen, müssen auch die Trusts ihren Sparern höhere Zinsen bieten. Die steigenden Finanzierungskosten dürften sie an ihre Kreditkunden weitergeben.
Das könnte manche Unternehmen in Schwierigkeiten bringen. „Investitionsprojekte könnten in der Schublade bleiben“, urteilt UniCredit-Ökonom Keis. Zwar will die Regierung die starke Abhängigkeit des Landes von Investitionen und Exporten reduzieren. Doch dabei könnte ihr die Kontrolle entgleiten. „Je stärker die Regierung die Finanzmärkte und die Zinsen liberalisiert, desto stärker entziehen sie sich der direkten Steuerbarkeit“, sagt Keis. So könnte ausgerechnet die Einführung von Marktwirtschaft im Finanzsektor einen Crash auslösen.
Dessen Nachbeben würden die gesamte Weltwirtschaft erschüttern. Das Krisenvirus dürfte sich in Windeseile über die Finanz- und Gütermärkte weltweit ausbreiten. Zwar sind die chinesischen Banken international nicht so stark vernetzt wie ihre Konkurrenten aus Amerika und Europa. Eine Banken- und Kreditkrise in Fernost würde jedoch massiv auf die Stimmung der Börsianer in New York, Tokio und London drücken. Eine globale Abwärtsspirale an den Börsen verschlechterte die Finanzierungsbedingungen für Unternehmensinvestitionen dramatisch.