Kredithilfe Die Rechnung für Deutschland steigt

Das neue Rettungspaket für Griechenland entlastet das Land nur mäßig. Dafür hilft es den zur Rettung angetretenen Regierungschefs umso mehr – und die Rechnung für Deutschland steigt.

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Demonstranten in Griechenland Quelle: dpa

In Brüssel witzelte unlängst ein EU-Kommissar, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und der Präsident der Europäischen Notenbank (EZB) Jean-Claude Trichet sollten so lange in einen Raum gesperrt werden, bis weißer Rauch aufsteigt, der wie bei einer Papstwahl ein Ergebnis signalisiert. Vergangenen Mittwoch saßen die drei tatsächlich im Kanzleramt beieinander.

Sieben Stunden später hatten sie einen Kompromiss vorbereitet, den die EU vergangenen Donnerstag in Brüssel beschloss. Was das die deutschen Steuerzahler kostet, ist unklar. Daher hat die WirtschaftsWoche die DIW-Ökonomen Ansgar Belke und Christian Dreger vier Szenarien rechnen lassen, welche Kosten in den nächsten Jahren auf Deutschland zukommen könnten – je nachdem welchen Verlauf die Euro-Krise noch nimmt.

Will man eine Transferunion vermeiden – deren Kosten für Deutschland die Ökonomen in Szenario 4 auf 177 Milliarden Euro veranschlagen –, gibt es für die Rettung Griechenlands nur eine Möglichkeiten: ein kräftiger Schuldenschnitt. Alles andere hilft Griechenland nicht auf die Beine – und riskiert die Zukunft des Euro, da eine unkontrollierte Insolvenz zu einen späteren Zeitpunkt immer noch drohen könnte (siehe Szenario 3). Doch die EU beschloss am vergangenen Donnerstag einen Abschlag von nur 20 Prozent, der die privaten Gläubiger schonen, das griechische Bankensystem am Leben erhalten und das Land entlasten soll – was in den DIW-Berechnungen am ehesten dem Szenario 2 entspricht.

Einzige Möglichkeit

Auf mehr konnten sich Merkel und Sarkozy nicht einigen, denn Frankreich selbst ist in Gefahr. Der Präsident war deshalb eigens nach Berlin gereist, um einen Schuldenschnitt, der über 20 Prozent hinausgeht, zu verhindern. Der Grund: Frankreichs Banken sind in den Euro-Schuldenstaaten viel stärker engagiert als deutsche.

Für insgesamt 67 Milliarden Euro halten sie Staatsanleihen von Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Italien. Allein in Italien hat Frankreich für 32 Milliarden Euro Staatsanleihen im Feuer, im Fall Griechenlands beträgt das gesamte Länderrisiko 46 Milliarden Euro. Da könnte eine Umschuldung Griechenlands schnell gravierende Folgen haben und eine Kettenreaktion auslösen.

Der Handlungsspielraum von Sarkozy war daher sehr eng. Das Aufkaufen von Staatsanleihen der Schuldenstaaten und eine weitere Ausweitung des Europäischen Stabilisierungsfonds (EFSF) war für ihn die einzige Möglichkeit, sowohl Griechenland wenigstens ein wenig zu retten – als auch selbst unbeschadet davonzukommen.

Nicolas Sarkozy und Angela Quelle: REUTERS

Merkel ging diesen Schritt in Richtung Transferunion nur widerwillig mit. Für die Rettung der Hellenen wäre eine vollständige Übernahme ihrer Schulden der einfachste Weg (siehe Szenario 4). Doch das kam für Berlin ebenso wenig infrage wie die Einführung von Eurobonds zur Finanzierung der Staatshaushalte, bei denen Deutschland höhere Zinsen als bisher zahlen und am Ende auch noch dafür bürgen müsste. Die jetzt gefundene Lösung erhöht zwar auch das Risiko für die deutschen Steuerzahler, doch Sarkozy kam Merkel wenigstens bei der Beteiligung der privaten Gläubiger entgegen.

Nun hoffen die Politiker, dass 90 Prozent der im Privatbesitz befindlichen Anleihen, die zwischen 2011 und 2020 fällig werden, freiwillig in neue Anleihen umgetauscht werden. Es handelt sich dabei um ein Volumen von 150 Milliarden Euro.

Abstriche musste Merkel bei ihrer Ankündigung machen, dass die europäische Solidargemeinschaft Staaten nur unter strengen Auflagen zu Hilfe eilt. Auch die ursprünglich streng eingeschränkte Rolle des EFSF wird mit dem Gipfel-Beschluss vom vergangenen Donnerstag deutlich ausgeweitet. Nun soll der europäische Rettungsfonds EFSF nicht nur Kredite vergeben, sondern künftig auf dem Sekundärmarkt, also bei Banken und Versicherungen, auch Anleihen kaufen können, um Spannung aus dem Markt zu nehmen. Weil er das Geld dafür durch Anleihen erst aufnehmen muss, ist das die Einführung von Eurobonds durch die Hintertür.

Gebeugter Trichet

Darüber hinaus wird der Fonds künftig – ähnlich wie der Internationale Währungsfonds (IWF) – angeschlagenen Ländern Kreditlinien zur Verfügung stellen. Länder wie Italien, das kürzlich in das Blickfeld der Anleger gerückt war, sollen auf diesem Wege davor geschützt werden, dass die Renditen der Staatsanleihen in unbezahlbare Höhe hochschnellen. Zwar sollen Aspiranten ein Reformprogramm vorlegen und teilweise umsetzen, ehe die Kreditlinie aufgelegt wird – und dieses bei Inanspruchnahme des Kredits dann auch vollständig ausführen. Doch dieses Vorhaben hört sich extrem vage an. Im Fall einer spekulativen Attacke wird kaum Zeit bleiben, Reformpläne zu entwickeln. Merkels Wunsch nach strenger Konditionalität wurde hier deutlich aufgeweicht.

Aber auch der Dritte im Bunde, EZB-Chef Jean-Claude Trichet, hat sich dem Druck der beiden anderen gebeugt. Weil die Politik die Risiken des Mini-Schuldenschnitts für beherrschbar hält, musste er seinen Widerstand dagegen aufgegeben. Die EZB würde, wenn die Ratingagenturen vorübergehend einen teilweisen Zahlungsausfall Griechenlands erklären, griechischen Banken zusätzliche Mittel bereitstellen.

Szenario 1 - Gerettet

Euro Szenario 1 Quelle: DIW

Beginnen wir mit dem Wunsch aller Europäer: Die griechischen Reformen entfalten ihre heilende Wirkung, der Verkauf von Staatseigentum spült in den nächsten fünf Jahren 50 Milliarden Euro in die Athener Regierungskassen, und die hellenische Wirtschaft wächst und gedeiht. Die Griechen zahlen alle Kredite bis auf den letzen Cent mit Zins und Zinseszins zurück und versorgen sich ab 2015 wie jedes andere gesunde Mitglied der Euro-Zone am Kapitalmarkt mit neuem Geld.

Portugal und Irland berappeln sich ebenfalls, zweite Hilfspakete sind überflüssig. Der deutsche Steuerzahler freut sich. 5,5 Milliarden Euro zusätzlich beschert ihm die angebliche Rettung. Alles gut? Fehlanzeige: Im Laufe des Griechen-Dramas wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) beschlossen, an den der deutsche Steuerzahler ab 2013 Geld geben muss. Das sind aus heutiger Sicht 19 Milliarden Euro. Deshalb liegt die Belastung für den Steuerzahler in der Summe bei 13,5 Milliarden Euro, haben die beiden DIW-Ökonomen Belke und Dreger berechnet.

Szenario 2 - Entlastet

Vielleicht ist Griechenlands Zukunft eher grau: Die Wirtschaft kommt nicht auf die Beine, die Verhandlungen mit Käufern für den bisherigen Staatsbesitz verlaufen zäh. Die Hellenen bekommen nur wenig los und vieles davon für einen schlechten Preis. Letztendlich bringen die Privatisierungen nur 25 Milliarden Euro ein – statt der erhofften 50 Milliarden. Der Haircut von 20 Prozent hat nichts gebracht, der Schuldenberg wächst weiter. An eine Rückzahlung der Kredite ist nicht zu denken.

Die Politiker ertragen dieses Trauerspiel nicht länger und erlassen den Griechen 60 Prozent ihrer Schulden. Die Ratingagenturen senken prompt den Daumen und stufen die Hellenen als zahlungsunfähig ein. An den Finanzmärkten löst das kaum Panik aus, die Abschreibungen der Banken für die Griechen-Anleihen in ihren Büchern bleiben überschaubar. Hier hatte ohnehin jeder den Bankrott erwartet.

Euro Szenario 2 Quelle: DIW

Zwar gibt die Europäische Zentralbank den hellenischen Finanzinstituten keinen Cent mehr, doch die Liquidität der griechischen Banken ist über das ELA-Kreditprogramm (Emergency Liquidity Assistance) der Nationalbanken gesichert. So halten sich die hellenischen Geldhäuser über Wasser bis die Bonitätswächter das Rating wieder anheben und die EZB ihre Staatspapiere wieder als Sicherheit akzeptiert. 2015 ist Gras über die Sache gewachsen. Die griechische Wirtschaft hat sich erholt, der Schuldenberg ist fast abgetragen, und private Kapitalgeber sind bereit, den Hellenen erneut Geld zu leihen.

Dass Griechenland ein weiteres Mal ausfallen wird, halten die meisten für ausgeschlossen. Der Zinssatz fällt daher moderat aus. Dem deutschen Steuerzahler entstehen aus heutiger Sicht Kosten von etwa 160 Milliarden Euro. Grund dafür sind neben den Einlagen für den ESM und Verlusten für den Teil der Kredite, der nicht zurückgezahlt wird, die Geschäfte der EZB mit Hellenen-Papieren. Die Notenbank hat für etwa 47 Milliarden Euro griechische Staatsanleihen gekauft und für Kredite von rund 90 Milliarden Euro an griechische Banken hellenische Staatsanleihen als Sicherheiten akzeptiert. Die so entstandenen Verluste muss der Steuerzahler ausgleichen.

Szenario 3 - Verloren

Euro Szenario 3 Quelle: DIW

Zu stark klaffen die politischen Interessen in der Euro-Zone auseinander. Deswegen ist es wahrscheinlich, dass sich die Politiker niemals auf eine klare Lösung des Griechenland-Problems einigen, sondern wie bisher ein halbherziger Kompromiss auf den anderen folgt. Doch irgendwann ist damit Schluss: Eine der europäischen Regierungen weigert sich, weiter Geld zu geben. Griechenland ist von einem auf den nächsten Tag zahlungsunfähig und kann nur noch 40 Prozent seiner Kredite tilgen und Zinsen zahlen. Versicherer, Pensionsfonds und Banken werden von der Pleite kalt erwischt. Sie müssen Milliarden abschreiben.

Auf den Märkten bricht Chaos aus. Die Kurse für Finanzaktien stürzen ab, deutsche und französische Geldhäuser brauchen frisches Kapital, auch einigen Pensionsfonds und Versicherern geht die Luft aus. Mit hohen Zinsen buhlen sie um das Geld der Investoren und treiben damit die Refinanzierungskosten weltweit für alle Unternehmen in die Höhe. Der Interbankenmarkt steht wie nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 still, kein Institut traut dem anderem mehr über den Weg. Besonders gefürchtet sind die Ausfallversicherungen für Staatsanleihen der Krisenländer – die für Griechenland werden nun fällig.

Die Hellenen aber trifft es am schlimmsten. Da für das Land keine Hoffnung mehr besteht, sind der EZB die Hände gebunden. Die Frankfurter Zentralbank leiht den griechischen Instituten kein Geld mehr. Ihre Glaubwürdigkeit und der Zusammenhalt der Währungsunion stehen auf den Spiel. Das ist das Todesurteil für den griechischen Bankensektor. Der Flächenbrand beginnt.

Auch Iren und Portugiesen laufen auf dem schnellsten Weg zu ihrer Bank, heben ihr Erspartes ab und treiben ihr heimisches Finanzsystem als Nächstes in den Abgrund. Die Renditen für irische und portugiesische Anleihen erreichen Rekordstände. Den beiden Nationen bleibt nichts anderes übrig: Sie beantragen Insolvenz und wollen nur die Hälfte ihrer Schulden zurückzahlen. Ihre Wirtschaft liegt für die nächsten zehn Jahre brach. Das würde den Euro endgültig erschüttern, als Nächstes stünden Spanien und Italien auf der Kippe. Es wäre vollkommen ungewiss, wie es dann weitergeht. Sicher ist jedoch, für den deutschen Steuerzahler wird es teuer.

Eine Pleite von Griechenland, Irland und Portugal würde aus heutiger Sicht etwa 348 Milliarden Euro kosten. Darin enthalten sind auch die auf Deutschland entfallenden Verluste der EZB. Diese hat für mehr als 74 Milliarden Euro Anleihen von Portugal, Irland und Griechenland gekauft und für Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe deren Staatspapiere als Sicherheit akzeptiert. Allein um der Zentralbank wieder auf die Beine zu helfen, würden Kosten in Höhe von 31 Milliarden Euro entstehen.

Szenario 4 - Umsorgt

Das Erbe von Staatsoberhäuptern wie Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Helmut Kohl und François Mitterrand steht auf dem Spiel. Die Politiker greifen daher tief in die Tasche. Griechenland kommt seinen Zahlungsverpflichtungen nach, dafür sorgen Transfers der übrigen Euro-Länder. Das könnte geschehen, indem der EFSF die Schulden der Griechen übernimmt. Das käme Deutschland teuer zu stehen: 177 Milliarden Euro würden in den nächsten zehn Jahren fällig.

Euro Szenario 4 Quelle: DIW

Doch dabei wird es nicht bleiben. Eine dauerhafte Transferunion würde das Risiko für die deutschen Steuerzahler noch höher ausfallen lassen, denn die Peripheriestaaten hätten faktisch keinen Anreiz mehr, ihre maroden Haushalte zu sanieren. Sie würden den verhältnismäßig niedrigen Zinssatz in der Euro-Zone nutzen und weiter Schulden anhäufen. Deutschland bliebe nicht anderes übrig, als regelmäßig neue Transfers zu leisten, solange die Währungsunion besteht.

Hinzu kommt: Garantieren die Staaten der Euro-Zone für die neuen Anleihen, die der EFSF emittiert, könnte es noch teurer werden. Sollten Krisenländer es nicht schaffen, die Zinsen zu zahlen, müsste erneut der deutsche Steuerzahler einspringen. Im Gegenzug könnten sich die Volkswirtschaften der Peripherie erholen und wirtschaftlich weiterentwickeln, wovon auch deutsche Unternehmen profitieren würden. Das Ergebnis wäre dann eine politische Union – doch um welchen Preis?

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