Kreditklemme Das Zittern vor der China-Krise

Die Wirtschaft Chinas ist für Auf- oder Abschwung der Weltwirtschaft entscheidend. An den Kapitalmärkten steigt nach Berichten über eine Kreditklemme daher die Angst vor einer Bankenkrise in China. Aber es gibt noch Grund zur Hoffnung.

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Zehn interessante Fakten über China
Täglicher Griff zur ZigaretteUngesunder Rekord: In jeder Sekunde werden 50.000 Zigaretten in China angezündet. Das berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Zahl der Raucher ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Inzwischen zünden sich 66 Prozent der männlichen Chinesen täglich mindestens eine Zigarette an. Bei den Frauen raucht nur jede Zwanzigste täglich. Quelle: rtr
Künstliche TannenbäumeKlar, China ist ein großes Land. Fast jeder fünfte Mensch lebt in dem Riesenreich, China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde. Doch in einigen Statistiken liegt das Land überproportional weit vorne. So ist das Riesenreich nicht nur der größte Textilproduzent, sondern auch weltweit führend in der Herstellung von künstlichen Tannenbäumen. 85 Prozent alle unechten Tannenbäume – so National Geographic – stammen aus China. Texte: Tim Rahmann Quelle: dpa
SchweinereichIn China leben nicht nur die meisten Menschen, sondern auch die meisten Schweine. 446,4 Millionen Eber und Säue lebten 2008 im Reich der Mitte, so die UN. Damit leben dort mehr Schweine als in den 43 nächst größten Ländern, gemessen an der Zahl der Tiere, zusammen. Zum Vergleich: In Deutschland werden aktuell rund 26,7 Millionen Schweine gehalten. Quelle: dpa
Geisterstädte im ganzen LandIn China wurde in den letzten Jahren massiv gebaut – auch in ländlichen Gegenden. Doch die Landflucht ließ vielerorts Geisterstädte entstehen. Mehr als 64 Millionen Wohneinheiten stehen im ganzen Land leer. Auch das größte Einkaufszentrum der Welt, … Quelle: dpa
McDonald’s allein auf weiter Flur… die "New South China Mall", hat reichlich Gewerbeflächen zu vermieten. 1500 Geschäfte finden dort Platz, 70.000 Käufer sollten täglich nach Dongguan pilgern. Doch die Realität sieht anders aus: 99 Prozent der Flächen sind unbenutzt, berichtete die britische Zeitung "Daily Mail". Nur ein paar Restaurants befinden sich in dem Gebäude, unter anderem Mc Donald’s. Quelle: AP
Bauboom geht weiterDennoch bauen die Chinesen fleißig weiter. Die Folge: Kein Land verbaut mehr Zement als China. 53 Prozent der weltweiten Nachfrage stammt aus dem Reich der Mitte, so Michael Pettis, China-Experte und Ökonom der Peking-Universität. Quelle: dpa
Barbie ist zu sexyWenn in China gerade nicht gebaut wird, werden in den zahlreichen Fabriken Güter produziert. Neben Textilien vor allem Spielwaren. Rennautos, Barbie-Puppen und Kuscheltiere: Fast 80 Prozent der deutschen Spielwaren stammen aus China. Vor Ort selbst sind Barbie-Puppen übrigens kein Verkaufsschlager. Für die Chinesen ist die kurvige Blondine zu sexy. Dort verkaufen sich vor allem niedliche Puppen. Quelle: AP

China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde und aufgrund der hohen Wachstumsraten gerade für die hiesige Exportwirtschaft so etwas wie der Leithammel. So kommt es, dass Börsianer und Konjunkturexperten zuerst ihren Blick nach Fernost richten, wollen sie abschätzen, wie es mit der Wirtschaft in Deutschland, Europa, USA oder den Schwellenländern weitergeht. Aber neben der Wachstumsrate Chinas, die mit prognostizierten 7,4 Prozent an den Börsen bereits für Enttäuschung sorgte, waren es zuletzt die chinesischen Banken und die Geldpolitik der chinesischen Notenbank, die Investoren rund um den Globus in Angst und Schrecken versetzten.

Die seit Tagen schwelende Angst vor einer Kreditklemme im Bankensektor schürte die Sorge um eine drohende Finanzkrise in China und belastete die Aktienmärkte weltweit.

Vor allem die steigenden Geldmarkt-Zinsen haben in den vergangenen Tagen für große Unruhe gesorgt. Weil die chinesische Notenbank den Markt nicht weiter mit Geld fluten will, versuchten sich die Banken bei anderen Geldhäusern mit frischem Geld zu versorgen und trieben die Zinsen für kurzfristige Darlehen in die Höhe. Der Zins, den die Banken dabei voneinander verlangten, stieg zeitweise auf geradezu absurde 25 Prozent und brachte den Geldkreislauf fast zum Erliegen.

Beobachter fühlten sich an den Beginn der Finanzkrise in den USA erinnert. Auch als die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, liehen sich die Banken untereinander kaum noch Geld. Selbst große Banken und Versicherungen rutschten damals in die Zahlungsunfähigkeit und mussten im großen Stil mit staatlichen Milliardenhilfen gestützt werden. Hunderte von Banken – vor allem in den USA - gingen Pleite oder wurden verstaatlicht. Beobachter fürchten nun eine ähnliche Situation in China. Alles scheint möglich - auch eine platzende Immobilienblase. Berichten zufolge konnte bei einigen Banken schon kein Geld mehr abgehoben werden, darunter zeitweise auch beim größten chinesischen Institut ICBC. Laut den entsprechenden Banken waren technische Probleme Schuld an den Störungen. Auch am Dienstag deutete wenig auf einen bank-run hin, lange Schlangen vor den Automaten blieben aus.

Anleger hoffen auf Zentralbank

Fabers düstere Prognose für China
Marc Faber Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche
Rio de Janeiro Quelle: dapd
Kupfermine in Chile Quelle: IVAN ALVARADO
Taipeh 101 Quelle: dpa/dpaweb
Casino in Macau Quelle: REUTERS
Louis Vuitton in Shanghai Quelle: AP
Transformator Quelle: REUTERS

Das Horrorszenario machte an den Börsen schnell die Runde und schickte die Kurse vor allem in China, aber an vielen anderen wichtigen Börsenplätzen der Welt, auf Talfahrt. Der Leitindex CSI300 der Börsen von Shanghai und Shenzhen sackte zeitweise um sechs Prozent auf den tiefsten Stand seit Januar 2009. Allerdings holte er die Verluste fast wieder auf und schloss nur 0,3 Prozent im Minus. Denn die Anleger setzten auf ein positives Signal der Zentralbank.

Chinas Zentralbank hat inzwischen signalisiert, in ihrem Kampf gegen eine zu starke Kreditvergabe die Daumenschrauben nicht zu kräftig anzuziehen. "Wir werden die Markterwartungen stabilisieren und die Marktzinsen auf ein vernünftiges Niveau bringen", sagte inzwischen Ling Tao, Vize-Chef der Zentralbankregion Shanghai. "Die Liquiditätsrisiken im Bankensystem sind derzeit unter Kontrolle."

Währungshüter Ling versprach zudem kurz nach Börsenschluss, durch ein angemessenes Liquiditätsmanagement solle ein angemessenes Kreditwachstum sichergestellt werden. "Die Anleger interpretierten diese Aussagen als Bereitschaft der Zentralbank, im Notfall doch wieder einzugreifen und es nicht zu einer Kreditklemme kommen zu lassen", sagte ein Börsianer. Kurz danach teilte die Zentralbank mit, sie habe bereits Banken mit einem finanziellen Engpass Geld zur Verfügung gestellt und werde dies auch weiter tun. Insgesamt gebe es in China keine Liquiditätsnot.

Schwankungen halten an

Allerdings spricht einiges auch gegen ein Zusammenbrechen des chinesischen Bankensystems. Denn die meisten der dortigen Geldinstitute sind staatlich oder zumindest halbstaatlich. Kaum einer erwartet, dass der Staat als Gläubiger die Institute in die Pleite laufen lässt. „Dennoch dürften die Schwankungen an den Märkten noch einige Zeit anhalten“, sagt Bernhard Esser, Schwellenländer-Analyst der HSBC. Das gelte nicht nur für die Börsen, sondern auch für die Situation am Interbankenmarkt. Langfristig dürfte also erst das Eingreifen der Zentralbank wieder Ruhe in die chinesische Finanzwelt bringen.  

Risiko Schattenwirtschaft

Was Deutschland mit China verbindet
Das kommunistisch regierte China ist mit gut 1,3 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Erde. Quelle: dapd
Mit einer Fläche von knapp 9,6 Millionen Quadratkilometern ist es etwa 27 Mal so groß wie Deutschland. Quelle: Reuters
Trotz eines Bruttoinlandsprodukts von 5,88 Billionen US-Dollar (2010) und einem Wachstum von 9,2 Prozent im vergangenen Jahr ist besonders die Landbevölkerung von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen . Quelle: dpa
2010 exportierten deutsche Unternehmen Waren für 53,6 Milliarden Euro nach China. Im Vergleich zum Jahr zuvor entsprach das einem Plus von 43,9 Prozent. Die Einfuhren lagen 2010 bei 76,5 Milliarden Euro (35,0 Prozent mehr als 2010). Quelle: dpa
Aus der Bundesrepublik werden besonders Maschinen, Anlagen, elektrotechnische Produkte und Autos nach China verkauft. Quelle: dapd
Von dort kommen vor allem Elektrotechnik und Kleidung. Quelle: dpa
Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen beliefen sich 2010 auf 697 Millionen Euro nach 857 Millionen im Jahr zuvor. Quelle: REUTERS

Zuletzt wichen chinesische Banken ins Ausland aus und liehen sich beispielsweise in Hongkong Geld. Hier sind die Interbankenzinsen noch vergleichsweise niedrig. Die Entspannung setzte sich fort. Händlern zufolge half, dass die Zentralbank bei ihren üblichen Geschäften dem Markt am Morgen keine Liquidität entzogen hat. In der vergangenen Woche hatte sie das getan und dadurch die Panik am Geldmarkt mit angefacht. Am Dienstag stiegen die kurzfristigen Zinsen zunächst wieder bis auf 15 Prozent, fielen dann aber unter sechs Prozent.

"Die Liquiditätsklemme ist die erste echte wirtschaftspolitische Herausforderung für Chinas neue Führung, um ihre Bereitschaft zu zeigen, schwierige Fragen nicht nur mit Worten zu lösen, sondern mit Taten", sagte Analyst Zhiwei Zhang von der Nomura-Bank in Hongkong. Der Banker zeigte sich überzeugt, dass die Vorgehensweise der Notenbanker langfristig betrachtet der richtige Weg ist. "Wenn die Staatsführung ihre aktuelle Herangehensweise beibehält, wird dies zu Abwärtsrisiken für das Wachstum 2013 führen, aber dazu beitragen, systemische Risiken im Finanzsektor zu reduzieren." Dies würde ein langfristig nachhaltiges Wachstum stützen.

Kuriose Börsenpannen

Auch HSBC-Analyst Esser hält eine langfristige Besserung für möglich. „Der Kreditmarkt soll um die Schattenbanken bereinigt werden“, sagt Esser. Das komme der Regierung zwar gelegen, hätte aber brutale Auswirkungen auf die Kreditvergabe. Schon lange herrscht in China eine Art Schattenwirtschaft. So reichen zum Beispiel große staatliche Unternehmen günstiges Kapital wesentlich teurer an kleine Firmen weiter. Dieser Markt wird auf enorme 3,7 Billionen Dollar geschätzt. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, dass eine große Staatsfirma Anleihen ausgibt, die von der Bank gekauft werden. Dieses Geld wird dann an kleine Firmen weitergereicht, die an sich nicht kreditwürdig sind. Der Zins wird so angesetzt, dass sowohl Staatsunternehmen als auch Kreditinstitut daran verdienen - wenn alles gut geht.

Offenbar werden solche kreative Konstrukte auch genutzt, um zu spekulieren, beispielsweise mit Immobilien. Die Regierung in Peking und die chinesische Zentralbank stufen das System der Schattenwirtschaft daher inzwischen als große Gefahr für das gesamte Wirtschaftssystem ein und wollen dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben.

Konjunkturlok verliert an Kraft

Die faszinierenden Metropolen Chinas
Chongqing ist eine Millionenstadt in der Volksrepublik China. Sie liegt auf einer wie ein Komma geformte Halbinsel am Zusammenfluss von Jangtsekiang und Jialing. Das Verwaltungsgebiet der Stadt ist annähernd so groß wie die Fläche von Österreich. Mit 28,85 Millionen Einwohnern gehört Chongqing zu einer der größten Megastädte Chinas. Quelle: Reuters
Guangzhou ist eine Stadt im Süden Chinas mit 8,86 Millionen Einwohnern. Sie ist ein bedeutender Industrie- und Handelsstandort, weshalb sie auch die „Fabrik der Welt“ genannt wird. Im Oktober 2010 wurde in Guangzhou der höchste Fernsehturm der Welt (600 m) eröffnet. Quelle: Reuters
Die Küstenstadt Zhuhai gehört zu der chinesischen Provinz Guangdong und hat eine Einwohnerzahl von 1,45 Millionen. Zhuhai trägt in China den Beinamen „Stadt der Romantik“ aufgrund der vielen Buchten und Küsten. Die Stadt ist sehr sauber, der Lebensstandard sehr hoch. Zhuhai ist ein beliebtes Wochenenddomizil für Geschäftsleute aus Hongkong. Quelle: Reuters
Wuhans Einwohnerzahl beträgt 8,33 Millionen. Die Stadt in der Provinz Hubei besteht aus drei zusammengelegten Städten. Das ebene Stadtbild ist von zahlreichen Seen geprägt. Quelle: Reuters
Die Stadt Chengdu hat 10,44 Millionen Einwohner. Sie hat sich zum Wirtschaftszentrum Westchinas entwickelt. 2006 erreichte Chengdu den vierten Platz der lebenswertesten Städte Chinas. Quelle: dapd
Peking ist die Hauptstadt und das politische Zentrum der Volksrepublik China. Dort leben etwa 17,6 Millionen Einwohner. Durch die dreitausendjährige Geschichte Pekings beherbergt die Stadt ein imposantes Kulturerbe. Quelle: dpa
Dongguan hat 8,2 Millionen Einwohner. Sie liegt östlich des Perlflusses an der Mündung in das chinesische Meer. Viele Auslandschinesen in Hongkong stammen aus Dongguan. Quelle: Reuters

Die Probleme Chinas sind hausgemacht. "Das Kreditwachstum der Volksrepublik ist gigantisch, wenn nicht besorgniserregend", so das Brokerhaus Lynx. Experten sprechen davon, dass China die gleichen Symptome aufweist, die Japan, die USA und Europa vor ihren jeweiligen Finanzkrisen zeigten: einen enormen Fremdfinanzierungsgrad, Tendenzen zur Bildung einer Immobilienblase und einen Rückgang des Wirtschaftswachstums.

Dreh- und Angelpunkt aus Sicht der Investoren ist daher nun die Zentralbank. Sie will die Kreditvergabe eindämmen und weigert sich deshalb, neue Banknoten zu drucken oder den Zins zu senken. Es sei genügend Geld im Umlauf, argumentiert sie. Die Institute sollten ihre Liquidität besser steuern und vorsichtiger Kredite vergeben. Die Analysten von Bantleon hoffen aber so wie viele andere Marktbeobachter nach den Erfahrungen der Vergangenheit, dass die von der Regierung gesteuerte Zentralbank nur so weit geht, dass sie die grundlegenden Wachstumskräfte nicht ernsthaft gefährdet.

Vor wenigen Tagen erst enttäuschten Zahlen zu Produktion, Auftragsentwicklung und Beschäftigungsentwicklung. Insbesondere die Aufträge aus dem Ausland, so die Analysten des Anleihemanagers Bantleon, waren bei der Präsentation des chinesischen Einkaufsmanagerindex auf das Niveau von Anfang 2009 zurückgefallen. Von der Erwartung einer dynamischen Erholung in China müsse man sich daher offensichtlich verabschieden, heißt es weiter. "Der beispiellose Rückgang der Exportaufträge unterstreicht die enormen externen Probleme, mit denen China zu kämpfen hat", sagt UniCredit-Analyst Nikolaus Kreis. "Auch die immer noch nicht überzeugende Binnennachfrage und der zunehmende Druck, Lagerbestände abzubauen, belasten das verarbeitende Gewerbe."

Die Investmentbank Goldman Sachs hat ihre Wachstumsprognose für die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft in Reaktion auf die angespannte Situation im Finanzsektor bereits gesenkt. Für 2013 erwarten deren Analysten nur noch ein Wachstum von 7,4 Prozent. Das wäre noch weniger als im Vorjahr, als die chinesische Wirtschaft mit einem Plus von 7,8 Prozent schon so wenig zugelegt hatte wie seit 13 Jahren nicht mehr. „Die Landschaft in China ist dabei, sich komplett zu verändern“, sagt Esser. Langfristig werde es eine Bewegung hinzu niedrigeren, aber gleichzeitig nachhaltigeren Wachstumsraten geben.

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