China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde und aufgrund der hohen Wachstumsraten gerade für die hiesige Exportwirtschaft so etwas wie der Leithammel. So kommt es, dass Börsianer und Konjunkturexperten zuerst ihren Blick nach Fernost richten, wollen sie abschätzen, wie es mit der Wirtschaft in Deutschland, Europa, USA oder den Schwellenländern weitergeht. Aber neben der Wachstumsrate Chinas, die mit prognostizierten 7,4 Prozent an den Börsen bereits für Enttäuschung sorgte, waren es zuletzt die chinesischen Banken und die Geldpolitik der chinesischen Notenbank, die Investoren rund um den Globus in Angst und Schrecken versetzten.
Die seit Tagen schwelende Angst vor einer Kreditklemme im Bankensektor schürte die Sorge um eine drohende Finanzkrise in China und belastete die Aktienmärkte weltweit.
Vor allem die steigenden Geldmarkt-Zinsen haben in den vergangenen Tagen für große Unruhe gesorgt. Weil die chinesische Notenbank den Markt nicht weiter mit Geld fluten will, versuchten sich die Banken bei anderen Geldhäusern mit frischem Geld zu versorgen und trieben die Zinsen für kurzfristige Darlehen in die Höhe. Der Zins, den die Banken dabei voneinander verlangten, stieg zeitweise auf geradezu absurde 25 Prozent und brachte den Geldkreislauf fast zum Erliegen.
Beobachter fühlten sich an den Beginn der Finanzkrise in den USA erinnert. Auch als die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, liehen sich die Banken untereinander kaum noch Geld. Selbst große Banken und Versicherungen rutschten damals in die Zahlungsunfähigkeit und mussten im großen Stil mit staatlichen Milliardenhilfen gestützt werden. Hunderte von Banken – vor allem in den USA - gingen Pleite oder wurden verstaatlicht. Beobachter fürchten nun eine ähnliche Situation in China. Alles scheint möglich - auch eine platzende Immobilienblase. Berichten zufolge konnte bei einigen Banken schon kein Geld mehr abgehoben werden, darunter zeitweise auch beim größten chinesischen Institut ICBC. Laut den entsprechenden Banken waren technische Probleme Schuld an den Störungen. Auch am Dienstag deutete wenig auf einen bank-run hin, lange Schlangen vor den Automaten blieben aus.
Anleger hoffen auf Zentralbank
Das Horrorszenario machte an den Börsen schnell die Runde und schickte die Kurse vor allem in China, aber an vielen anderen wichtigen Börsenplätzen der Welt, auf Talfahrt. Der Leitindex CSI300 der Börsen von Shanghai und Shenzhen sackte zeitweise um sechs Prozent auf den tiefsten Stand seit Januar 2009. Allerdings holte er die Verluste fast wieder auf und schloss nur 0,3 Prozent im Minus. Denn die Anleger setzten auf ein positives Signal der Zentralbank.
Chinas Zentralbank hat inzwischen signalisiert, in ihrem Kampf gegen eine zu starke Kreditvergabe die Daumenschrauben nicht zu kräftig anzuziehen. "Wir werden die Markterwartungen stabilisieren und die Marktzinsen auf ein vernünftiges Niveau bringen", sagte inzwischen Ling Tao, Vize-Chef der Zentralbankregion Shanghai. "Die Liquiditätsrisiken im Bankensystem sind derzeit unter Kontrolle."
Währungshüter Ling versprach zudem kurz nach Börsenschluss, durch ein angemessenes Liquiditätsmanagement solle ein angemessenes Kreditwachstum sichergestellt werden. "Die Anleger interpretierten diese Aussagen als Bereitschaft der Zentralbank, im Notfall doch wieder einzugreifen und es nicht zu einer Kreditklemme kommen zu lassen", sagte ein Börsianer. Kurz danach teilte die Zentralbank mit, sie habe bereits Banken mit einem finanziellen Engpass Geld zur Verfügung gestellt und werde dies auch weiter tun. Insgesamt gebe es in China keine Liquiditätsnot.
Schwankungen halten an
Allerdings spricht einiges auch gegen ein Zusammenbrechen des chinesischen Bankensystems. Denn die meisten der dortigen Geldinstitute sind staatlich oder zumindest halbstaatlich. Kaum einer erwartet, dass der Staat als Gläubiger die Institute in die Pleite laufen lässt. „Dennoch dürften die Schwankungen an den Märkten noch einige Zeit anhalten“, sagt Bernhard Esser, Schwellenländer-Analyst der HSBC. Das gelte nicht nur für die Börsen, sondern auch für die Situation am Interbankenmarkt. Langfristig dürfte also erst das Eingreifen der Zentralbank wieder Ruhe in die chinesische Finanzwelt bringen.
Risiko Schattenwirtschaft
Zuletzt wichen chinesische Banken ins Ausland aus und liehen sich beispielsweise in Hongkong Geld. Hier sind die Interbankenzinsen noch vergleichsweise niedrig. Die Entspannung setzte sich fort. Händlern zufolge half, dass die Zentralbank bei ihren üblichen Geschäften dem Markt am Morgen keine Liquidität entzogen hat. In der vergangenen Woche hatte sie das getan und dadurch die Panik am Geldmarkt mit angefacht. Am Dienstag stiegen die kurzfristigen Zinsen zunächst wieder bis auf 15 Prozent, fielen dann aber unter sechs Prozent.
"Die Liquiditätsklemme ist die erste echte wirtschaftspolitische Herausforderung für Chinas neue Führung, um ihre Bereitschaft zu zeigen, schwierige Fragen nicht nur mit Worten zu lösen, sondern mit Taten", sagte Analyst Zhiwei Zhang von der Nomura-Bank in Hongkong. Der Banker zeigte sich überzeugt, dass die Vorgehensweise der Notenbanker langfristig betrachtet der richtige Weg ist. "Wenn die Staatsführung ihre aktuelle Herangehensweise beibehält, wird dies zu Abwärtsrisiken für das Wachstum 2013 führen, aber dazu beitragen, systemische Risiken im Finanzsektor zu reduzieren." Dies würde ein langfristig nachhaltiges Wachstum stützen.
Kuriose Börsenpannen
Fast 45 Minuten konnten am 29. Oktober 2013 an der US-Börse Nasdaq einige Indexstände nicht übermittelt werden. Wegen der fehlenden Daten wurde der Optionshandel vorübergehend ausgesetzt. Als Grund für die Panne nannte der Betreiber menschliches Versagen: Durch einen Bedienfehler seien Störungen in der Datenübertragung entstanden.
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Morgen des 26.8.2013 vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden.
Eine technische Panne hat die US-Technologiebörse Nasdaq am 22. August 2013 für mehrere Stunden lahmgelegt. Grund für den Knock out sei ein Softwareproblem gewesen, teilte der Börsenbetreiber Nasdaq OMX mit. Die Übermittlung von Kursdaten an die New Yorker Börse an der Wall Street war offenbar zusammengebrochen. Auch der Optionshandel wurde bis auf weiteres ausgesetzt. Erst nach rund dreistündiger Zwangspause konnte die Börse den Handel mit den Papieren von Technologiefirmen wie Apple, Facebook, Microsoft oder Google wiederaufnehmen. Die Nasdaq rechnet aber bisher nicht mit Schadenersatz- oder Haftungsansprüchen.
Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat am 21. August 2013 versehentlich eine riesige Menge von Optionsgeschäften getätigt. Die irrtümlichen Orders wurden kurz nach Handelseröffnung aufgegeben und betrafen Optionen auf Aktien, deren Börsensymbole mit den Buchstaben H bis L beginnen. Eine mit den Problemen vertraute Person, die nicht namentlich genannt werden wollte, führte die fehlerhaften Aufträge auf eine Computerpanne zurück. Diese habe dazu geführt, dass bloße Interessensbekundungen an den Optionen irrtümlich als Orders an die Handelsplätze versandt worden seien. Möglicherweise drohe Goldman Sachs ein Verlust in Millionenhöhe.
Ein Aktienhändler der UBS handelte durch Eingabe zu vieler Nullen im Januar 1999 innerhalb von zwei Minuten zehn Millionen Aktien der Pharmafirma Roche, von den aber überhaupt nur sieben Millionen Stück existierten. Das Handelsvolumen überstieg die Marktkapitalisierung von Roche um knapp die Hälfte. Den Verkauf versuchte er durch eigene Kauforders rückgängig zu machen. 2001 verkaufte ein Händler der Investmentbank Lehman Brothers aus Versehen immer hundertmal mehr Aktien als er wollte – vor allem von Schwergewichten wie AstraZeneca und BP – und vernichtete so zeitweise 30 Milliarden Pfund an Börsenwert.
Im Dezember 2001 begleitete UBS Warburg den Verkauf neuer Aktien des japanischen Unternehmens Dentsu. Ein Händler vertippte sich und verkaufte statt 16 Dentsu-Aktien zu 600.000 Yen gleich 610.000 Aktien zu 6 Yen an. Schnell verkaufte die UBS so 64.915 Aktien, was etwa der Hälfte des Emissionsvolumens entspricht. Die UBS verlor so 100 Millionen Dollar, weil sie die Aktien selbst zum Marktpreis kaufen musste, um die Käufer mit den Papieren zu versorgen.
Ein Händler von Bear Stearns verkaufte im Oktober 2002 Aktien für vier Milliarden Dollar anstelle von vier Millionen. Bevor der Vertipper auffiel, gingen bereits Wertpapiere im Wert vom 600 Millionen Dollar an neue Besitzer. Der Leitindex Dow Jones sank dadurch um 2,3 Prozent.
Der Hochfrequenzhandel war für den "Flash Crash" an der Wall Street verantwortlich, als sich im Mai 2010 durch einen blitzartigen Kurseinbruch aus heiterem Himmel binnen Minuten fast eine Billion Dollar Marktwert in Luft auflöste. Einige Aktien verloren in der kurzen Zeitspanne rund die Hälfte ihres Wertes. Schon davor hatte es Kritik gegeben an den immer schnelleren Börsengeschäften über Computersysteme. Beim sogenannten Hochfrequenzhandel werden tausende Transaktionen binnen Millisekunden durch Computer ausgelöst.
Ende Juni 2010 fielen die Aktien der Citigroup nach Massenverkäufen durch elektronische Handelssysteme zeitweise um17 Prozent. Da die US-Börsenaufsicht SEC nach dem „Flash Crash im Mai zuvor beschlossen hatte, Aktien aus dem Index S&P 500 vom Handel auszusetzen, sofern diese innerhalb von fünf Minuten mehr als zehn Prozent fallen oder steigen, stoppte diese Sicherungssystem den Kursrutsch. Fünf Minuten stoppte der Handel, dann beruhigte sich die Lage. Den Handelstag beendete die Citigroup-Aktie sieben Prozent im Minus.
Noch vor Facebook gab es einen weiteren verpatzten Börsengang: Die Erstnotiz der drittgrößten US-Börse BATS Global Markets Ende März 2012 endete mit einem Totalschaden. Die Aktien sollten auf der eigenen Handelsplattform ihr Börsendebüt feiern, aber die neuen BATS-Aktien sackten binnen Minuten von 16 Dollar auf unter einen Cent. Als Schuldige wurde eine neue Software ausgemacht. BATS musste falschen Transaktionen zurücknehmen - und nahm die eigenen Aktien nach dem peinlichen Vorfall gleich mit von der Börse.
Als das 900 Millionen Nutzer starke Social-Media-Portal im Mai 2012 den Sprung an die Börse wagte, bekam die Erfolgsstory deutliche Risse. Nach gravierenden Pannen im Handelssystem der Technologiebörse Nasdaq in New York stürzte der Kurs des Börsenneulings rapide in die Tiefe. Beteiligte Firmen erlitten hohe Millionen-Verluste, etliche fordern von der Nasdaq Schadenersatz. Die Schweizer Großbank UBS, die beim Facebook-Börsengang 349 Millionen Franken (290 Millionen Euro) verlor, drohte bereits mit einer Klage gegen die Börse.
Am 31. Juli 2012 versetzte eine fehlerhafte Handelssoftware versetzte Wertpapierhändler und Anleger an der Wall Street in Aufruhr: In den ersten 45 Minuten des Handelstages verzeichneten rund 150 Aktientitel so hohe Umsätze wie sonst an einem ganzen Tag. Die Folge waren heftige Preisschwankungen, und fünf Aktien mussten sogar ganz aus dem Handel genommen werden. Das Börsenhandelshaus Knight Capital räumte ein, Probleme mit seinen computergestützten Systemen seien dafür verantwortlich. Ein neues Handelsprogramm hatte die Börse mit fehlerhaften Handelsaufträgen geflutet. Knight Capital verbuchte durch die viel zu teuer gekauften Aktien einen Verlust von rund 440 Millionen Dollar.
Kurz nach dem Handelsstart im April 2014 an der Technologiebörse Nasdaq schossen die Aktien des Lebensmittelherstellers Kraft Foods binnen einer Minute um satte 30 Prozent nach oben, von 45 auf mehr als 58 Dollar. Die Nasdaq verneinte Probleme mit ihrer Handelsplattform und machte einen Börsenmakler als Verursacher aus. Laut "Financial Times" hatte ein Handelsprogramm irrtümlich versucht, 30.000 Kraft-Aktien binnen kürzester Zeit zu ordern. Die Nasdaq und andere betroffene Börsen erklärten nach einer Untersuchung der Kursbewegungen die fragwürdigen Transaktionen oberhalb eines Kurses von 47,82 Dollar für ungültig. Der Fehler ereignete sich nur einen Tag, nachdem Kraft Foods sich aufgespalten und sein Geschäft mit Snacks außerhalb der USA unter dem Namen Mondelez International als eigenständige Aktie an die Nasdaq gebracht hatte.
Auch HSBC-Analyst Esser hält eine langfristige Besserung für möglich. „Der Kreditmarkt soll um die Schattenbanken bereinigt werden“, sagt Esser. Das komme der Regierung zwar gelegen, hätte aber brutale Auswirkungen auf die Kreditvergabe. Schon lange herrscht in China eine Art Schattenwirtschaft. So reichen zum Beispiel große staatliche Unternehmen günstiges Kapital wesentlich teurer an kleine Firmen weiter. Dieser Markt wird auf enorme 3,7 Billionen Dollar geschätzt. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, dass eine große Staatsfirma Anleihen ausgibt, die von der Bank gekauft werden. Dieses Geld wird dann an kleine Firmen weitergereicht, die an sich nicht kreditwürdig sind. Der Zins wird so angesetzt, dass sowohl Staatsunternehmen als auch Kreditinstitut daran verdienen - wenn alles gut geht.
Offenbar werden solche kreative Konstrukte auch genutzt, um zu spekulieren, beispielsweise mit Immobilien. Die Regierung in Peking und die chinesische Zentralbank stufen das System der Schattenwirtschaft daher inzwischen als große Gefahr für das gesamte Wirtschaftssystem ein und wollen dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben.
Konjunkturlok verliert an Kraft
Die Probleme Chinas sind hausgemacht. "Das Kreditwachstum der Volksrepublik ist gigantisch, wenn nicht besorgniserregend", so das Brokerhaus Lynx. Experten sprechen davon, dass China die gleichen Symptome aufweist, die Japan, die USA und Europa vor ihren jeweiligen Finanzkrisen zeigten: einen enormen Fremdfinanzierungsgrad, Tendenzen zur Bildung einer Immobilienblase und einen Rückgang des Wirtschaftswachstums.
Dreh- und Angelpunkt aus Sicht der Investoren ist daher nun die Zentralbank. Sie will die Kreditvergabe eindämmen und weigert sich deshalb, neue Banknoten zu drucken oder den Zins zu senken. Es sei genügend Geld im Umlauf, argumentiert sie. Die Institute sollten ihre Liquidität besser steuern und vorsichtiger Kredite vergeben. Die Analysten von Bantleon hoffen aber so wie viele andere Marktbeobachter nach den Erfahrungen der Vergangenheit, dass die von der Regierung gesteuerte Zentralbank nur so weit geht, dass sie die grundlegenden Wachstumskräfte nicht ernsthaft gefährdet.
Vor wenigen Tagen erst enttäuschten Zahlen zu Produktion, Auftragsentwicklung und Beschäftigungsentwicklung. Insbesondere die Aufträge aus dem Ausland, so die Analysten des Anleihemanagers Bantleon, waren bei der Präsentation des chinesischen Einkaufsmanagerindex auf das Niveau von Anfang 2009 zurückgefallen. Von der Erwartung einer dynamischen Erholung in China müsse man sich daher offensichtlich verabschieden, heißt es weiter. "Der beispiellose Rückgang der Exportaufträge unterstreicht die enormen externen Probleme, mit denen China zu kämpfen hat", sagt UniCredit-Analyst Nikolaus Kreis. "Auch die immer noch nicht überzeugende Binnennachfrage und der zunehmende Druck, Lagerbestände abzubauen, belasten das verarbeitende Gewerbe."
Die Investmentbank Goldman Sachs hat ihre Wachstumsprognose für die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft in Reaktion auf die angespannte Situation im Finanzsektor bereits gesenkt. Für 2013 erwarten deren Analysten nur noch ein Wachstum von 7,4 Prozent. Das wäre noch weniger als im Vorjahr, als die chinesische Wirtschaft mit einem Plus von 7,8 Prozent schon so wenig zugelegt hatte wie seit 13 Jahren nicht mehr. „Die Landschaft in China ist dabei, sich komplett zu verändern“, sagt Esser. Langfristig werde es eine Bewegung hinzu niedrigeren, aber gleichzeitig nachhaltigeren Wachstumsraten geben.