Es könnte das letzte Angebot an Russland sein: Wenn US-Außenminister John Kerry am (heutigen) Donnerstag den Kremlchef Wladimir Putin in Moskau trifft, dürfte der amerikanische Gast nach den frustrierenden Fehlschlägen der vergangenen Monate in Syrien einen weiteren Vorschlag unterbreiten. Es geht dabei um eine erweiterte Kooperation von Geheimdiensten und Militär im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat und ähnliche Gruppierungen, wie aus US-Kreisen verlautete.
Aber natürlich will Kerry für das lange erwartete Kooperationsangebot auch eine Gegenleistung: Der syrische, von Russland unterstützte Präsident Baschar al-Assad soll den Waffenstillstand mit den von der US-Regierung unterstützen Rebellengruppen einhalten und einen politischen Übergang einleiten. Für Kerry wird das ein kompliziertes Unterfangen. Denn er musste miterleben, wie das syrische Militär und die russische Luftwaffe jeden Waffenstillstand der vergangenen Monate brachen. Und der US-Außenminister muss zugleich aufpassen, nicht zu viel anzubieten.
Die Gespräche in Moskau finden weniger als drei Wochen vor einem Ultimatum statt, in dem diplomatische Fortschritte gefordert wurden. Ein Durchbruch ist aber kaum zu erwarten. Die Kämpfe in der Nähe von Aleppo, der größten syrischen Stadt, nehmen zu. Assad hat die Kontrolle über mehrere Gebiete des Landes wiedererlangt, die er verloren hatte.
Humanitäre Hilfe in den besetzten, von Rebellen kontrollierten Gebieten ist nur sporadisch und extrem ineffizient. Und bei den Anti-Terroreinsätzen gegen den IS und Al-Kaida ist kein Ende in Sicht. Unter diesen Bedingungen wären Friedensvereinbarungen jeglicher Art ohnehin nur begrenzt.
„Der angestrebte Termin für den Übergang ist der 1. August“, sagte Kerry vor zwei Monaten, noch in der Hoffnung, Russland und Syrien dazu zu bringen, die Kämpfe zu stoppen. „Entweder etwas passiert in diesen nächsten paar Monaten, oder sie machen einen ganz neuen Weg erforderlich.“
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Aber dieser „ganz neue Weg“ ist bisher undefiniert geblieben hinter vagen Hinweisen auf ein militärisches Eingreifen, an dem saudi-arabische Truppen beteiligt werden sollen. Eine größere Rolle sollen die USA dabei nicht spielen, wenn es nach dem Weißen Haus und der Pentagonspitze geht.
Es bleiben wenig Alternativen
Wieder einmal ist Washington in einer bekannten Strategie gefangen: Die US-Regierung fordert von Russland, Assad zu zwingen, militärische Angriffe gegen moderate Rebellen zu stoppen, die Bombardierung von zivilen Zielen einzustellen und Hilfsorganisation den Zugang zu besetzten Gebieten zu ermöglichen.
Als zusätzlichen Anreiz stellen die USA nun eine noch engere Zusammenarbeit gegen den IS und die mit Al-Kaida verbundene Al-Nusra-Front in Aussicht. Dennoch scheut Washington davor zurück, zu eng mit Russland zusammenzuarbeiten. Die USA wollen nicht als diejenigen gelten, die Assad stärken. Schließlich bezeichnen führende US-Politiker ihn als „Schlächter“ und „Massenmörder“. Zudem hatten russische Bomber auch Anti-Assad-Rebellengruppen angegriffen, die Waffen, Ausbildung und weitere Unterstützung von den USA und anderen Verbündeten wie Saudi-Arabien erhalten haben.
Ein Papier, das von 51 Mitarbeitern des Außenministeriums unterzeichnet wurde, illustriert, was viele US-Diplomaten eigentlich denken: Eine militärische Antwort der USA ist notwendig, um den syrischen Konflikt zu lösen. Vorausgesetzt, Moskau verstärkt den Druck durch seine Bodentruppen.
Während einige US-Regierungsbeamte die militärische Bedeutung dessen, was nun Russland angeboten wird, herunterspielen, ist der symbolische Effekt nicht zu leugnen. Russland war sehr daran interessiert, seine Intervention im vergangenen Herbst als Teil des globalen Kampfes gegen den IS und andere terroristische Gruppen zu präsentieren - und nicht als einen Schachzug, um Assad an der Macht zu halten.
Mehr Zusammenarbeit mit der USA könnte diese Lesart untermauern. Das Arrangement könnte Moskau zudem größere Rückendeckung gewähren, um gegen Streitkräfte vorzugehen, die die amerikanische Regierung als moderat einstuft.
Das Pentagon ist daher besorgt. Aber der Regierung bleiben wenige Alternativen. Denn angesichts der vielen, bislang unerfüllten Drohungen während des syrischen Bürgerkriegs wird der Ruf nach einer stärkeren Rolle der USA lauter. Schließlich erklärten die USA vor fünf Jahren schon, Assads Tage seien „gezählt“, und Obamas schwor, militärisch zu antworten, wenn chemische Waffen zum Einsatz kämen. Auch hier machte die US-Regierung 2013 einen Rückzieher.