Krise mit Russland So kann der Ukraine-Konflikt gelöst werden

Europa will Russland mit Sanktionen bestrafen. Doch das wird kurzfristig wirkungslos bleiben und die Russen weiter vom Westen entfremden. Viel wichtiger ist eine politische Lösung - mit drei essenziellen Punkten.

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Was die Russen in der Ostukraine wollen
Greift das russische Militär ein?Das russische Militär positioniert sich in der Ostukraine. Die Spezialeinheiten der russischen Armee stehen den pro-russischen Separatisten bei, die einen Anschluss an Russland wollen. Die Regierung in Moskau kann sich unterdessen überlegen, wie man ein weiteres Krim-Szenario erreichen könnte. 45.000 Soldaten sind bereits an der Grenze stationiert. „Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef. Quelle: AP
Rund 45.000 russische Soldaten - „Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen“, sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. Nach Nato-Angaben sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. „Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind“, sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht - etwa zu Manöverzwecken - bewegt: „Es ist sehr ungewöhnlich, eine so große Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.“ Quelle: REUTERS
Kämpfen russische Soldaten bereits mit?Viele sehen die russischen Soldaten als eine erneute Provokation aus Moskau. Auch US-Außenminister Kerry beschuldigt Putin. Er spricht von "russischen Provokateuren und Agenten". Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet. Innenminister Awakow spricht von einer "Aggression der Russischen Föderation". Spiegel Online berichtet von Internet-Videos, in denen Truppen zu sehen sind, die über eine militärische Ausbildung verfügen. Diese Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen bei dem Sturm der Polizei-Einheit in Slawjansk sehr geplant vor. Quelle: AP
Moskau dementiert Kiew wirft Russland offen „Aggression“ in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er sagte, das russische Militärs sei nicht aktiv. Während der Krim-Krise hatte Putin allerdings genau das auch behauptet. Dennoch hat Moskau offiziell offenbar noch keine regulären Einheiten in die Ostukraine verlegt. Quelle: REUTERS
Was will Russland?Moskau macht sich in der Ostukraine für die Rechte der russischsprachigen Bürger stark. Der Anteil in Donezk liegt bei etwa 70 Prozent. Spiegel Online berichtet, dass dort 33 Prozent aller Bewohner einen Anschluss an Russland befürworten. Die Regierung in Kiew hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt. Das wiederum könnte Moskau zu weiteren Schritten provozieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Quelle: REUTERS
Folgen für Russland Wenn das russische Militär eingreift, könnte das zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland führen. Das macht eine Intervention Moskaus unwahrscheinlich. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum, zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, gegenüber Spiegel Online. Quelle: REUTERS

Eigentlich ist es kein Wunder, dass der Konflikt in der Ukraine täglich weiter eskaliert. Europa mäandert durch die schwerste politische Krise seit dem Mauerfall. Aber statt über deren Lösung zu sinnieren, überschlagen sich vermeintlich Sachverständige hüben wie drüben in ihrem Drängen nach Radikallösungen, Provokationen und Polarisierungen.

Die Russen betreiben Kriegspropaganda und radikalisieren die Menschen in der Ostukraine, die ukrainische Regierung hofiert den CIA-Chef statt mit den Menschen in der Ostukraine zu kommunizieren. Nein, es will in beiden Ländern niemand den Krieg. Aber beide Regierungen eskalieren die Lage immer weiter.

Europas Diplomaten geben in dieser Lage keine gute Figur ab. Ihr Genfer Abkommen haben Russland und die Ukraine von Anfang an ignoriert: Die Vereinbarungen sind butterweich formuliert, auf die Nichteinhaltung folgen keine Strafen, ein Fahrplan zur Deeskalation wurde nicht beschlossen.

Noch immer sind im Osten des Landes wie auch in Kiew Gebäude besetzt, die Geiselnahme der OSZE-Militärbeobachter vom Wochenende verleiht der Krise eine neue Schärfe. Am Genfer See ist unter Zutun von US-Außenminister John Kerry und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton ein typisch europäisches Papier herausgekommen, das der Politik ein wenig Luft zum Hoffen auf eine friedliche Lösung verschafft. Mit dem Scheitern kehren die Europäer wieder zur unsäglichen Sanktionsdebatte zurück.

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Sanktionen machen Russland gefährlicher

Heute will Brüssel beschließen, wie die Russen neuerdings bestraft werden können. Es wird auf die Sperrung von Konten russischer Offizieller hinauslaufen, die Ausweitung der Einreiseverbote, nicht aber auf ein Embargo gegen russische Öl- und Gasimporte.

Das würde die europäische Wirtschaft alsbald in die Krise stürzen, denn auf eine Kompensation der russischen Importe ist hierzulande niemand vorbereitet. Für Deutschland sind die russischen Lieferungen die wichtigste Ölquelle, und mehr als ein Drittel des Erdgases kommt aus Russland. Regionen wie das Baltikum oder Südosteuropa hängen gänzlich am Tropf russischer Gasimporte.

Dass Europa diese Abhängigkeit reduzieren will, hilft uns kurzfristig nicht weiter – und schadet Russland allenfalls langfristig. Sollte es zu harten Sanktionen kommen, könnte Putin die Anlagevermögen ausländischer Investoren konfiszieren.

Mal abgesehen davon, dass selbst harte Sanktionen im Moment nicht wirken, da sie uns in Europa kurzfristig mehr schaden als Russland: Schon die Debatte um Sanktionen richtet mächtig Schaden an, denn sie gibt Wasser auf die Mühlen der Demagogen in Russland.

Die verbreiten medial sehr erfolgreich das Bild des von Amerika dominierten Westens, der mit seinen Sanktionen alle Andersdenkenden auf seine Linie zwingen will. Die EU-Spitzen spielen hierbei zuverlässig die Rolle des Oberlehrers, der den bösen Russen mal auf die Finger haut. Mit handfesten politischen Zielen, die den eigenen Interessen folgt, ist das nicht verknüpft.

Das hat üble Folgen für das Ost-West-Verhältnis. Es gehört zur Strategie der Polit-Technologen im Kreml, einen Keil zwischen den Westen mit seinen markwirtschaftlich-demokratischen Ideen und seinen eigentlich europäisch orientierten Landsleuten zu treiben, die noch vor zwei Jahren zu Tausenden gegen Wahlfälschungen auf die Straße gegangen waren. Sanktionen würden Europa einen Bärendienst erweisen, indem sie den russischen Bären immer weiter von uns entfernen – bis er gar nicht mehr kontrollierbar ist. Das nennt sich irgendwann kalter Krieg, aber nur im besten Falle.

Postmoderne gegen 19. Jahrhundert

Statt zu polarisieren und die Russen zum Feind zu stilisieren, sollte die Politik jetzt erst recht an einer diplomatischen Lösung der Krise arbeiten. Anders als in Europa, wo man erst langsam die Grenzen der postmodernen Friede-Freude-Eierkuchen-Politik erkennt, spielt Putin auf der Klaviatur der geostrategischen Machtpolitik des 19. Jahrhunderts. Man kann sich darüber echauffieren, aber diese Politik hat den Vorteil, klar Interessen-geleitet zu sein. Russlands Interessen muss man kennen und mit den eigenen Interessen austarieren – in einem Kompromiss, dessen Einhaltung man mit einer Drohkulisse in Gestalt von Sanktionen absichert.

Eroberung der Ost-Ukraine würde viel kosten

Wo deutsche Unternehmen in Russland aktiv sind
E.On-Fahnen Quelle: REUTERS
Dimitri Medwedew und Peter Löscher Quelle: dpa
Dem Autobauer bröckelt in Russland die Nachfrage weg. Noch geht es ihm besser als der Konkurrenz. Martin Winterkorn hat einige Klimmzüge machen müssen - aber theoretisch ist das Ziel erreicht: Volkswagen könnte in Russland 300.000 Autos lokal fertigen lassen. Den Großteil stellen die Wolfsburger in ihrem eigenen Werk her, das 170 Kilometer südwestlich von Moskau in Kaluga liegt. Vor gut einem Jahr startete zudem die Lohnfertigung in Nischni Nowgorod östlich Moskau, wo der einstige Wolga-Hersteller GAZ dem deutschen Autoriesen als Lohnfertiger zu Diensten steht. Somit erfüllt Volkswagen alle Forderungen der russischen Regierung: Die zwingt den Autobauer per Dekret dazu, im Inland Kapazitäten aufzubauen und einen Großteil der Zulieferteile aus russischen Werken zu beziehen. Andernfalls könnten die Behörden Zollvorteile auf jene teuren Teile streichen, die weiterhin importiert werden. Der Kreml will damit ausländische Hersteller zur Wertschöpfung vor Ort zwingen und nimmt sich so China zum Vorbild, das mit dieser Politik schon in den Achtzigerjahren begonnen hat. Die Sache hat nur einen Haken: Die Nachfrage in Russland bricht gerade weg - nicht im Traum kann Volkswagen die opulenten Kapazitäten auslasten. 2013 gingen die Verkäufe der Marke VW um etwa fünf Prozent auf 156.000 Fahrzeuge zurück. Wobei die Konkurrenz stärker im Minus war. Hinzu kommt jetzt die Sorge um die Entwicklungen auf der Krim. VW-Chef Martin Winterkorn sagte der WirtschaftsWoche: "Als großer Handelspartner blicekn wir mit Sorge in die Ukraine und nach Russland." Er verwies dabei nicht nur auf das VW-Werk in Kaluga, sondern auch auf die Nutzfahrzeugtochter MAN, die in St. Petersburg derzeit ein eigenes Werk hochfährt. Der Lkw-Markt ist von der Rezession betroffen, da die Baukonjunktur schwächelt. Quelle: dpa

Drei Aspekte sind essenziell:

Erstens fürchtet Putin panisch die Nato-Osterweiterung um die Ukraine und andere Nachbarländer. Dass es zu keiner Erweiterung des Militärbündnisses um das Baltikum, Polen und Ungarn kommt, hatten Politiker des Westens dem früheren russischen Präsidenten Boris Jelzin versprochen – und prompt die Zusage gebrochen. Die Russen sind also gebrannte Kinder, ihren Groll sollte man ernster nehmen.

Moskaus Interesse wäre erfüllt, wenn die Nato vertraglich auf die Erweiterung um die Ukraine verzichtet, sofern Russland deren territoriale Integrität achtet. Das sollte eine UNO-Mission kontrollieren. Wenn es eines Tages dennoch zu einem Einmarsch käme, müsste ein Vertragsbruch den unmittelbaren Nato-Beitritt der Ukraine zur Folge haben. Das würde die Russen abschrecken. So wirken Sanktionen als präventive Drohkulisse, was effektiver ist als die überholte Bestrafungsrhetorik des Westens.

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Zweitens ist Russland daran interessiert, auf die Ukraine politisch Einfluss zu nehmen. Eine Idee ist die Föderalisierung des Landes, die der Ostukraine eine weitreichende Autonomie und den Russen einen indirekten Einfluss auf die Landsleute sichern würde. Wichtig wäre in einem solchen Falle, dass die Außen-, Verteidigungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik eine Domäne der Zentralregierung bleibt. Bildungs-, Kultur- und Verkehrspolitik können hingegen auf Landesebene übertragen werden.

Entscheidend wäre, dass die „Partei der Regionen“ als wählbare Alternative für den Osten des Landes wiederbelebt wird – als russlandfreundliche Partei, die die Interessen der Ostukraine achtet und dabei eindeutig zur territorialen Integrität der Ukraine steht. Sie sollte eine reale Chance bei Wahlen haben, die notfalls verschoben werden müssen. Die Mehrheit der Ost-Ukraine will laut Umfragen keinen Anschluss an Russland, was auch der Kreml registriert.

Drittens zählt es zum wirtschaftlichen Interesse der Russen, dass ihr Land prosperiert – auch wenn im Moment nicht die erste Priorität für Putin zu sein scheint. Es ist technisch machbar, dass die Ukraine ein kongruentes Freihandelsabkommen mit Russland und der EU abschließt. So könnte sich das Land als Lohnfertiger zwischen Ost und West positionieren, der wegen niedriger Lohnkosten durchaus wettbewerbsfähig ist. Profitieren würden hiervon auch die EU und Russland. Die Einhaltung der Abkommen müssen allerdings über Strafmaßnahmen wie Zollerhöhungen abgesichert werden.

Bevor solche Interessen austariert und endlich in konstruktiven Kompromissen zusammengebunden werden können, muss der Konflikt selbst abgekühlt werden. Hierfür wäre ein Punkte-Plan der richtige Weg: Zusammen mit einem Waffenstillstand kommt die Freilassung der Geiseln wie den OSZE-Beobachtern. Anschließend räumen beide Seiten besetzte Plätze und Gebäude, schließlich geben die Nationalisten in Kiew und die Separatisten im Osten ihre Waffen ab.

Für solche Schritte ist die Bereitschaft zur Deeskalation auf beiden Seiten erforderlich. Die müssen glaubwürdige EU-Vermittler auf höchster Ebene stimulieren – möglichst nicht im Beisein der USA.

Neutralität und Respekt für beide Seiten kann in diesen Tagen von großem Wert sein.

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