Kroatiens Außenminister Kovac „Wir können nicht unbegrenzt Flüchtlinge in die EU aufnehmen“

Kroatiens Außenminister Miro Kovac fordert eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise – die auch Griechenland entlasten soll. Den Migranten müsse signalisiert werden, dass Europa seine Grenze schützen könne.

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„Wenn es in Deutschland keine Obergrenze gibt, werden weiter Flüchtlinge nach Europa kommen.“ Quelle: dpa

Erst im Januar ist Außenminister Miro Kovac in die prächtigen Räume seines Ministeriums im Herzen der Hauptstadt Zagreb eingezogen. Der Politiker der konservativen Regierungspartei HDZ gilt als ergebnisorientierter Pragmatiker. Der Pro-Europäer – fünf Jahre Botschafter Kroatiens in Berlin – spricht fließend Deutsch. Mit dem 48-jährige Chefdiplomaten führte Südosteuropa-Korrespondent Hans-Peter Siebenhaar ein Gespräch über die Chancen des EU-Flüchtlingsgipfel und die Sichtweise jüngsten Mitglieds der Europäischen Union.

Herr Außenminister, wird Kroatien auf dem EU-Gipfel Deutschland unterstützen, ein Abkommen mit der Türkei zur Lösung des Flüchtlingsproblems zu schließen?
Kovac: Kroatien ficht für eine vernünftige und nachhaltige, also eine gesamteuropäische Lösung. Und ohne die Türkei kann es keine nachhaltige Lösung geben. Bislang haben leider eher nationale Lösungsansätze dominiert.

Daran war Kroatien mit der Beteiligung an der Blockade der Balkan-Route nicht unbeteiligt…
Das Gegenteil ist der Fall. Wir in Kroatien sind sehr zufrieden, ja wir dürfen sogar ruhig stolz darauf sein, dass es uns mit Österreich, Slowenien – zwei EU-Mitgliedern – und Serbien und Mazedonien – zwei Nicht-EU-Mitglieder – gelungen ist, eine sehr effiziente polizeiliche Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen. Das hat zu einer deutlichen Verringerung der Flüchtlingszahlen geführt. Wir wenden den Schengener Grenzkodex an und haben nicht nur uns, sondern auch der Europäischen Union und vor allem Deutschland geholfen.

Sie haben aber auch dafür gesorgt, dass sich die Zustände in Griechenland verschlechtert haben. Erwartet Kroatien, dass die sich Flüchtlinge neue Routen durch Südosteuropa suchen?
Kriegsflüchtlingen müssen und werden wir weiterhin helfen, ohne jedoch unsere Gesellschaften zu überfordern. Die Stabilität unserer Gesellschaften hat Priorität. Nur wenn wir stark bleiben, können wir auch wirklich helfen. Stärkere können helfen, Schwächeren wird geholfen.

Das aber das ist nicht die Antwort auf meine Frage…
Neue Routen in Südosteuropa halte ich nicht für realistisch. Wir müssen unsere Grenzen wirkungsreich schützen. Damit senden wir senden ein klares Signal an die Migranten. Sie wissen nun, dass es nicht mehr so einfach ist, nach Europa zu kommen.

Und was ist mit Griechenland?
Wir müssen Griechenland viel mehr helfen. Wir hätten von Anfang an eine gesamteuropäische Politik der griechisch-türkischen Grenze betreiben müssen. Auch haben wir zu spät die Zusammenarbeit mit der NATO gesucht. Das hätten wir viel früher machen müssen.

Europa ist für die Zusammenarbeit mit der Türkei bereit, einen hohen politischen Preis zu zahlen, nämlich die Visa-Liberalisierung und den Kurs auf eine EU-Mitgliedschaft. Ist dieser Preis gerechtfertigt?
Wir müssen mit der Türkei zwangläufig kooperieren, um eine dauerhafte Lösung in der Flüchtlingskrise hinzukriegen. Doch sollten wir in dieser Partnerschaft auf unsere Kriterien achten, wenn es um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei geht. Wir sollten auf keinen Fall unsere Standards fallen lassen, um eine Annäherung der Türkei zur Europäischen Union inmitten der Flüchtlingskrise zu ermöglichen. Das wäre sehr schlecht für die Glaubwürdigkeit und den Zusammenhalt der Europäischen Union.

Ist Kroatien für eine Visa-Liberalisierung im Fall der Türkei?
Vor dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union gab es für kroatische Bürger keine Visumspflicht für die Türkei. Kroatien könnte also durchaus mit einer gegenseitigen Aufhebung der Visumspflicht für türkische und EU-Bürger leben.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass es auf dem EU-Gipfel zu einem Durchbruch kommen wird?
Alles ist möglich.


„Unsere Kapazitäten sind endlich.“


Österreich fordert von Deutschland gebetsmühlenartig eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Unterstützt Kroatien diese Forderung?
Wir müssen auf europäischer Ebene klar definieren, wie es weiter gehen soll mit der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten. Unsere Kapazitäten sind endlich. Nationale Alleingänge sind schlecht für die Stabilität, den Zusammenhalt und die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union. Wir können es uns nicht leisten, Migranten unkontrolliert in die EU zu lassen.

Was soll Deutschland machen?
Als Mitglied der kroatischen Regierung maße ich mir nicht an, der deutschen Bundesregierung Ratschläge zu erteilen. Es gilt aber folgende Faustregel: Wir sind alle verantwortlich für die Zukunft der Europäischen Union, wobei größere Staaten mehr Verantwortung tragen als mittlere und kleinere Staaten. Das heißt, wenn es in Deutschland keine Obergrenze gibt, werden weiter Flüchtlinge und Migranten nach Europa, somit auch über Kroatien, kommen wollen. Das liegt auf der Hand.

Was ist die Schlussfolgerung?
…dass wir endlich eine gemeinsame europäische Strategie brauchen, die wir natürlich auch wirkungsreich umsetzen müssen. Wir müssen klar sagen, dass wir nicht unbegrenzt Flüchtlinge und Migranten innerhalb der Europäischen Union aufnehmen können.

Deutschland will eine europaweite Verteilung von Flüchtlingen durchsetzen. Wie groß sind die Chancen, eine feste Quote in Brüssel durchzusetzen?
Es sieht derzeit nicht besonders gut aus. Vor allem wollen wir nicht, dass es praktisch durch die Hintertür zu einer Erhöhung der bisher festgelegten, aber nicht umgesetzten Verteilungsquote kommen wird.

Wie viele Flüchtlinge ist denn Kroatien bereit, aufzunehmen. Sind es nur 1500 Migranten?
Das ist eine prinzipielle Zusage, die wir gegeben haben. Bisher wurde die Quotenvereinbarung nicht umgesetzt. Einige Staaten leisten bekannterweise Widerstand. Mehr als 600.000 Migranten und Flüchtlinge haben seit Ausbruch der Krise Kroatien durchquert. Zurzeit befinden sich etwa 400 Migranten im Lande, ein Drittel davon hat sich dazu entschieden, einen Asylantrag zu stellen.

Angesichts der geringen Solidarität unter den EU-Staaten, steuern wir auf ein Europa der Egoisten zu.
Gerade die Flüchtlings- und Migrantenkrise – viel mehr als die Schuldenkrise und das anstehende Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union – lässt uns alle auf dem Kontinent deutlich spüren, dass wir mittlerweile eine Schicksalsgemeinschaft sind. Wir tragen alle Verantwortung für das gemeinsame Haus Europa. Wir leben in einer „Wohngemeinschaft“ mit größeren, mittleren und kleineren Wohneinheiten. Angesichts der immensen Herausforderungen durch die Flüchtlings- und Migrantenkrise müssen wir uns endlich dazu durchringen, gemeinsame Regeln für die Aufnahme von „Gästen“ und „neuen Bewohnern“ in unserer Wohngemeinschaft zu vereinbaren und diese dann auch einzuhalten.

In absehbarer soll die Wohngemeinschaft EU mit neuen Mitgliedern wie Serbien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und Mazedonien erweitert werden. Macht das angesichts der jetzt schon großen Kakophonie überhaupt Sinn?
Wir brauchen keine Euphorie, sondern ein nüchternes Arbeitsklima in unserer Erweiterungspolitik. Wir müssen die europäische Perspektive für die Staaten in Südosteuropa aufrechterhalten. Kroatien wird sich in dieser Hinsicht stark engagieren. Es ist schließlich in unserem Interesse, die Länder Südosteuropas eines Tages in der „WG Europa“ begrüßen zu können. Trotz vieler Probleme hat dort die Europäische Union noch Magnetwirkung. Doch die Kriterien für eine Mitgliedschaft müssen gänzlich erfüllt werden. Kroatien als Nachbarstaat wird streng, aber fair sein. Wenn es uns nicht gelingen sollte, für Stabilität in ganz Europa zu sorgen, können wir anderswo auf der Welt auch nicht glaubhaft auftreten.

Herr Außenminister, wir danken für das Gespräch.

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