Letzter EU-Gipfel des Jahres Club der guten Vorsätze

2016 war ein Krisenjahr für Europa. Nun wollen die 28 Staats- und Regierungschefs der EU zum Abschluss noch einmal Handlungsfähigkeit beweisen. Doch viele Themen werden sie wohl mit ins nächste Jahr nehmen.

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Themen wie der türkische EU-Beitritt, die Flüchtlingssituation sowie eine mögliche Verlängerung der Russland-Sanktionen dürften die Staatschefs auch im nächsten Jahr noch beschäftigen. Quelle: dpa

Brüssel Eine fahlgesichtige Kanzlerin verkündet nach einer jener berüchtigten Brüsseler Gipfelnächte frühmorgens diffizile Kompromisse – solche Bilder sollen sich beim EU-Gipfel diese Woche nicht wiederholen. Die Gemeinschaft setzt auf Disziplin. Früher anfangen, stringent verhandeln, knackige Beschlüsse rechtzeitig zu den Abendnachrichten. Das ist zumindest der Plan.

Doch dürfte das auf einen Tag geraffte Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag nicht einfacher werden als die vorigen in diesem für die Europäische Union so schwierigen Jahr. Sicherheit, Verteidigung, Asylpolitik, Konjunktur, die Beziehungen zu Russland – die Tagesordnung ist lang und voller Haken und Ösen. Am Ende wird wohl auch diesmal nur Wortakrobatik helfen, Zwistigkeiten zu überdecken.

Der tiefste Bruch ist längst für alle sichtbar: Die Vorbereitungen zur Trennung von Großbritannien nehmen Fahrt auf. Zwar fehlt auch ein halbes Jahr nach dem Brexit-Votum noch immer das offizielle Scheidungsgesuch aus London – angekündigt ist das erst bis Ende März 2017. Doch die 27 Länder der Rest-EU überlegen bereits intern, wie die Verhandlungen mit London laufen sollen. Am Donnerstag wollen sie beim Abendessen beraten, ausdrücklich ohne die britische Premierministerin Theresa May. Für sie ist nach dem regulären Gipfelprogramm am frühen Abend Schluss.

Bis dahin soll im Kreis der noch 28 Länder zumindest Einigkeit über eine engere Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung erreicht sein. Nicht erst seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ist den Europäern klar, dass sie militärisch mehr selbst tun müssen. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung ist denn auch die Rede von „erheblichen zusätzlichen Ressourcen“.

Unterstützung bahnt sich auch bei Konjunkturmaßnahmen an: Das seit 2014 laufende Investitionsprogramm soll erweitert und die Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit soll verlängert werden. Dann ist es mit Konsens und „Heititei“ aber wohl schon vorbei.

Vor allem in der Asylpolitik geht in der EU kaum etwas miteinander. Osteuropäische Staaten wie Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen stemmen sich gegen die Verteilung von Flüchtlingen, was die überlaufenen Anlande-Staaten Italien und Griechenland erzürnt. Die seit Monaten gewälzte Idee der „flexiblen Solidarität“ – wer weniger Menschen aufnimmt, gibt mehr Geld oder tut mehr für Grenzschutz – wurde zuletzt umgetauft in „effektive Solidarität“, und zieht trotzdem nicht. Es bleibt nur Nichtssagendes. „Die effektive Anwendung der Prinzipien von Verantwortung und Solidarität bleibt ein gemeinsames Ziel“, heißt es im Textentwurf.


„Russland-Sanktionen dürfen kein Selbstläufer werden“

Der Flüchtlingspakt mit der Türkei vom März ist ebenfalls in schwierigem Fahrwasser. Bundeskanzlerin Angela Merkel monierte am Wochenende die schleppende Umsetzung. Offen sind aus Sicht der Türkei aber vor allem die EU-Zusagen, rasch Visafreiheit zu gewähren und die Modernisierung der Zollunion in Angriff zu nehmen. Präsident Recep Tayyip Erdogan droht deshalb immer wieder mit dem Platzen des Pakts.

Noch kann die EU darauf verweisen, dass die vereinbarten Bedingungen nicht erfüllt sind, vor allem die Änderung des türkischen Anti-Terror-Gesetzes. So bleibt den 28 eine schwierige Entscheidung vorerst erspart. Vor allem Österreich gibt sich wegen der Rechtsstaatsverletzungen in der Türkei zunehmend kritisch, brach erst am Wochenende wieder eine Grundsatzdebatte über die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara vom Zaun und sorgte am Montag beim Treffen der Außenminister für einen Eklat. Beim EU-Gipfel will man versuchen, zumindest den Flüchtlingspakt am Leben zu erhalten.

Grummeln aus Wien hört man nun auch zu einem anderen heiklen Thema: der Verlängerung der wegen der Ukraine-Krise verhängten Russland-Sanktionen. Sie laufen im Januar ab und sollen möglichst geräuschlos verlängert werden, da das Waffenstillstandsabkommen von Minsk nicht erfüllt ist. Doch da sieht man schon die nächste Linie bröckeln.

„Die Verlängerung der Russland-Sanktionen darf nicht zum Selbstläufer werden“, sagte Österreichs Vizekanzler Reinhold Mitterlehner der „Welt am Sonntag“. „Darüber muss in Zukunft intensiver diskutiert werden.“ „In Zukunft“ heißt wohl nicht unbedingt auf diesem Gipfel - sonst wäre der straffe Zeitplan wohl passé.

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