Libyen Analyse eines Landes ohne Staat

Libyen, wichtigstes Transitland für Armutsflüchtlinge nach Europa, ist eine Stammesgesellschaft ohne Staatsvolk. Die historische Analyse offenbart ein zentrales Problem der islamischen Welt.

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Lybien: Kämpfe um die Küstenstadt Sirta östlich von Tripolis. Quelle: imago images

Der zerfallene Staat Libyen ist heute von weltpolitischer Bedeutung, weil er neben Syrien die wichtigste Quelle für Flüchtlinge und illegale Zuwanderer nach Europa bildet. Das ist die erste von zwei Feststellungen, die die Analyse bestimmen werden. Die zweite: Libyen war stets nur ein „nomineller“ Staat ohne wirkliche Staatlichkeit.

Wie kam es dazu? Dieser Essay will aktuelle und historische Fakten unterbreiten und sie im Kontext erklären.

Doch zunächst eine weitere Feststellung: Die Lage in Libyen indiziert eine Herausforderung. Analysten und Politiker reagieren darauf in der Regel mit einer Policy-Empfehlung. Eine Policy – das Wort ist nicht ins Deutsche übersetzbar – erfordert ein detailliertes Handlungskonzept. Die EU macht Politik, hat aber keine Policy für den Umgang mit Libyen - Deutschland auch nicht. Deshalb können die Europäische Union und Deutschland nicht angemessen auf die Herausforderung reagieren.

Zur Person

Libyen als Transitland für Armuts- und Massenflucht aus Afrika

Eine Gegenüberstellung von Fakten und deutscher Politik macht diesen Mangel deutlich. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vom 8./9.10.2016 kamen in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 etwa 280.000 Afrikaner über Libyen nach Europa. Statt ihre Hausaufgaben zu machen, nämlich die Grenzen zu schützen, reiste Bundeskanzlerin Merkel Mitte Oktober 2016 zu Staatsbesuchen nach Niger, Mali, und Äthiopien, um in diesen Hauptherkunftsländern die Fluchtursachen zu bekämpfen. Kann man dadurch die Schleuserbanden in den Griff bekommen?

Mit dieser Frage kommen wir auf die erste, tagespolitische Feststellung zu sprechen, nämlich, dass es in Libyen seit dem Zusammenbruch der auf einem Stammesbündnis unter der Führung des Qadadfa-Stammes basierenden Qadhafi-Diktatur im Jahr 2011 keinen funktionierenden Staat mehr gibt. Der Staatszerfall erzeugt ein Vakuum, welches den Menschenschmuggel aus Afrika (West-, Südostafrika, vor allem Eritrea) nach Europa ermöglicht, den Schleuserbanden organisieren.

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Syrien und IrakIn den Konflikten in Syrien und im Irak gehört die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu den stärksten Kriegsparteien. Sie beherrscht in beiden Ländern große Gebiete, in denen sie ein „Kalifat“ errichtet hat. Im syrischen Bürgerkrieg bekämpfen sich zudem das Regime und seine Gegner. Die Armee ist mit starker Hilfe von Kämpfern aus dem Iran, von der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah sowie von der russischen Luftwaffe auf dem Vormarsch. Die moderate Opposition wird vom Westen unterstützt. Quelle: AP
Ukraine Quelle: dpa
Nigeria Quelle: dpa
Libyen Quelle: dpa
Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer Quelle: dpa
Nordkorea Quelle: dpa
Afghanistan Quelle: dpa

Hinter dieser tagespolitischen steht die zweite, historische Feststellung, nämlich, dass Libyen ein „nomineller“ Staat ohne „Statehood“, also Staatlichkeit war und ist. Im Rahmen des Harvard-MIT-Projekts „The Tribes and State Formation in the Middle East“ (erschienen 1990 als Buch bei California University Press) habe ich in meinem Beitrag „Old Tribes and Imposed Nation-States“ den Begriff „nomineller Nationalstaat“ für die Vereinigung von Stämmen unter einer Nationalflagge geprägt. Libyen ist ein solcher Staat. Dort gibt es bis heute weder ein Staatsvolk noch autoritative staatliche Institutionen, weder traditionelle – wie in Ägypten oder Marokko – noch moderne, wie in Industriegesellschaften. Somit ist der „nominelle“ Staat Libyen ohne ein Staatsvolk und ohne funktionierende staatliche Institutionen ein Gebilde, das mit dem Herrscher steht und mit seiner Ermordung fällt.

Bleiben wir zunächst bei der Gegenwart aus der Perspektive der eingangs genannten Fakten, die Herausforderungen für die Politik hervorrufen. Diese sind erstens die illegale, von kriminellen Banden organisierte Zuwanderung nach Europa, die seit 2015 die Form demografischer Lawinen von Armutsflüchtlingen aus Afrika angenommen hat. Früher kamen diese Menschen in größeren Zeitabständen in einzelnen Booten mit jeweils ein paar Hundert zusammengepferchten Afrikanern. Im Gegensatz dazu kommen heute täglich Dutzende Boote, darunter völlig untaugliche Schlauchboote, mit Abertausenden Menschen. Wie ist das möglich? Ist Europa die Schuld zuzuschieben, dass diese Menschen sich freiwillig in Todesgefahr begeben? Europa wird moralisch damit erpresst, dass es nicht genug Menschen aus diesen Booten rettet. Sogar der Papst hat nach einem Unfall auf Lampedusa im Jahr 2014 Europa vorgeworfen, seine Seele verloren zu haben. Was kann die EU oder Deutschland gegen die angeführte Herausforderung tun?

Transitland ohne Staat

Der deutschen Innenminister de Maiziere erkannte richtig, dass die staatliche Ordnung in Libyen wiederhergestellt werden müsste, um das Phänomen der illegalen Migration in den Griff zu bekommen. Eine solche Erkenntnis hätte auch ein Erstsemesterstudent in dieser allgemeinen Form formulieren können. Diese Erkenntnis macht erst dann Sinn, wenn sie mit „Policy“ verbunden wird, die auf dem Wissen über zwei Bereiche fußt: 1. Wissen über die Staatlichkeit in Libyen und 2. Wissen in einer Feasibility-Analyse, das heißt Wissen über die Umsetzbarkeit der politischen Absicht, also darüber wie der libysche Staat wiederherzustellen ist. Beides scheint der deutsche Minister jedoch nicht zu haben. Das Handelsblatt hat ihm in einem Dossier zu Recht bescheinigt, sein Amt als „Minister des Dismanagement“ zu führen. Dies bezeugt er vor allem im Bereich der Flüchtlingspolitik.

Libyen: Transitland ohne Staat. Quelle: dpa

Weder die EU noch Deutschland haben eine Policy für den Umgang mit dieser Herausforderung. Nicht mehr als Sprüche wie „Wir schaffen das!“ (Merkel) oder „Wir werden Ordnung in Libyen schaffen!“ (de Maiziere). In diesen Sprüchen vernimmt man eine Mischung aus Selbstgefälligkeit und Ignoranz, aber keine Policy von verantwortungsethischen Politikern.

Die EU spricht vom Schutz der äußeren Grenzen der EU, doch die Frontex-Schiffe, die diese Aufgabe haben, schützen nicht die Grenzen, sondern assistieren den Menschschmugglern. Der Spiegel (39/2016) zitiert einen libyschen Offizier, der die Frontex-Schiffe der EU verächtlich mit einem Taxi vergleicht: „Die Schlepper benutzen euch inzwischen wie ein Taxiunternehmen, das die Kundschaft sicher und kostenlos kurz vor der libyschen Küste abholt.“ Früher mussten die kommerziellen Schlepper große Boote bereitstellen, die die Armutsflüchtlinge bis zur nächsten italienischen Insel bringen. Heute reicht es, kleine brüchige Boote oder gar nur Schlauchboote einzusetzen, die nur bis zur libyschen Wassergrenze paddeln, wo dann die Frontex-Schiffe auf sie warten und sie wunschgemäß weiter nach Europa befördern. Von Schutz der Grenzen Europas kann also keine Rede sein. Die EU-Schiffe agieren als Hilfsinstrumente der kriminellen Schlepperbanden.

Dem Spiegel zufolge ist allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 130.000 Armutsflüchtlingen die Flucht aus Libyen übers Mittelmeer nach Europa gelungen. Die Süddeutsche Zeitung gibt, wie oben gesagt, die Zahl von 280.000 Flüchtlingen an. Millionen weitere warten auf den Transfer.

Libyen als koloniale bzw. postkoloniale Konstruktion

Es ist unmöglich, Libyen als Transitland ohne Staat zu verstehen, ohne geschichtliche Bezüge hierfür zu liefern. Libyen als staatlich-territoriales Gebilde hat es in der Geschichte nur dreimal gegeben. Zunächst als italienische Kolonie, dann als Monarchie unter der religiös-tribalen Herrschaft des Sanousi-Clans und zum Schluss unter der „pretorianischen Ordnung“ (so nennt es Samuel P. Huntington), das heißt der Diktatur Oberst Qadhafis. Vor der italienischen Kolonialherrschaft hat es nie ein staatliche Gebilde oder Territorium namens Libyen gegeben. Unter der mehrere Jahrhunderte andauernden imperialen türkisch-osmanischen Herrschaft war das heutige Gebiet Libyens in kleine territoriale Gebiete unter lokaler Stammesherrschaft unterteilt, die dem Osmanischen Reich untergeordnet wurden.

Die Italiener kamen nach Nordafrika graduell als Kolonialmacht ab 1911 und haben zunächst die Küste besetzt. Sie schufen ab 1922 ein künstliches geografisches Gebiet aus den bisherigen osmanischen Provinzen Cyreneika, Tripolitanien und Fezzan. Die Italiener erfanden für dieses Gebiet das Nomen „Libia“. Hieraus ist später der künstliche oder nominelle Staat hervorgegangen, der den Namen Libyen trägt. In diesem Gebiet leben Aberdutzende von Stämmen; nach innen sind sie tribal konstituiert, aber nach außen haben sie den Islam und die arabische Sprache als eine Gemeinsamkeit. „Libia“ war für die Italiener eine Siedlungskolonie. Italiener bildeten bis zum Zweiten Weltkrieg etwa 18 Prozent der Gesamtbevölkerung. Im Zweiten Weltkrieg verlor Italien die Kontrolle über Libyen. Die Briten besetzten Tripolitanien und die Cyreneika, die Franzosen Fezzan. Nach einer Übergangsperiode von 1943-1951 entschieden die Vereinten Nationen, dass ein eigener Staat entstehen solle.

Libyens Problem ist das Problem der gesamten islamischen Zivilisation

Dieser 1951 entstandene nominelle Staat war eine Monarchie. Der religiös-tribale Führer Idris vom dem als Orden organisierten Stamm der Sanousi avancierte im Einvernehmen mit der westlich dominierten internationalen Gemeinschaft zum König. Im Jahre 1969 putschte gegen ihn ein Oberst namens Qadhafi, der für seine komödiantischen Eigenarten später Weltruhm erlangte. Seine Herrschaft dauerte bis zum Arabischen Frühling 2011. Nach der Ermordung Qadhafis in Sirte 2011 löste sich der libysche Staat auf. Heute hat in Libyen jeder Stamm seine schwer bewaffnete eigene Miliz. Diese Milizen finanzieren sich durch den Menschenschmuggel nach Europa.

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Auch unter Qadhafi war Libyen ein Transitland für den Schmuggel von Afrikanern nach Italien - mit Zustimmung des Diktators, der dies erfolgreich als Erpressungsinstrument gegen die EU einsetzte. Es ist beschämend, dass die EU diesen Erpressungen stets nachgab. Bis 2011 stand der Menschenschmuggel unter der Kontrolle Qadhafis, war also noch steuerbar und hielt sich in Grenzen. Seit der Auflösung der Staatsmacht ist er außer Kontrolle geraten; niemand weiß heute, wie groß die Zahl der Organisatoren ist – Hunderte oder Tausende.

Libyen im historischen Lichte von Islam und Stammeskultur: Kulturelle Unterentwicklung

Zum Irrsinn der politischen Korrektheit, die die wichtigste Errungenschaft Europas, nämlich die Denk- und Wissenschaftsfreiheit, abschafft, gehört der Maulkorb, der mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ und des Rassismus verbunden ist. Islam-Kritik sowie Kritik an kultureller Unterentwicklung werden mit Rechtspopulismus gleichgesetzt. Diese politische Kultur der Unfreiheit betrifft auch unser Thema des Staatszerfalls in Libyen. Denn wenn man kulturelle Faktoren zur Erklärung für ein Phänomen anführt, dann wird dies mit der Rassismus-Keule verfemt und Kritiker zum Schweigen gebracht.

Die heutige Misere in Libyen und im Rest der arabisch-islamischen Welt hat mit kulturellen Faktoren der Unterentwicklung zu tun. Ich verweise auf das amerikanische „The Culture Matters Research Project/ CMRP“ an der Fletcher School of Law and International Diplomacy, aus dem 2006 zwei Bücher über kulturelle Unterentwicklung - „Developing Cultures“ - hervorgegangen sind. Ich war dabei zuständig für die islamische Zivilisation. Wer das Reden über kulturelle Unterentwicklung unterbindet, verschließt den Weg für eine fundierte Erklärung der Situation in Libyen, von der die EU erheblich betroffen ist.

Das zentrale Problem Libyens ist das Problem der gesamten islamischen Zivilisation, nämlich das Verhältnis von Staat, staatlicher Ordnung und Stämmen. Der Prophet Mohammed hatte im Jahr 622 in Medina nicht einen Staat, sondern ein Gemeinwesen namens Umma gegründet. Diese Umma nannte der schottische Islamwissenschaftler W.M. Watt „federation of Arab tribes“, eine „Föderation der arabischen Stämme“. Ähnliches haben König Idris al-Sanousi und dann Qadhafi versucht. Sie wollten die Stämme vereinigen zu einem libyschen Volk. Das hat aber in beiden Fällen nicht funktioniert, weil die Führung der nicht neutral war. Unter Idris war dies der Stamm der Sanousi und unter Qadhafi der Stamm der Qadadfa. Und so war es 622 in den Zeiten des Propheten Mohammed, der aus dem Stamm der Quraisch kam. Nach seinem Tod 632 musste ein Kalif, das heißt ein Nachfolger für Mohammed, bestimmt werden, der aus dem Stamm der Quraisch stammte.

Der aufmerksame Leser ist herausgefordert, diesen Widerspruch zu verstehen: Bei der Schaffung der islamischen Umma als „Föderation der arabischen Stämme“ sollte das Stammesdenken abgeschafft werden, jedoch ist dieses Ziel unter der Führung eines Stammes – der Quraisch – verfolgt worden. Dasselbe passierte in Libyen: König Idris bzw. der ihn stürzende Qadhafi wollten die Stämme zu einem libyschen Volk einen, jedoch unter der Herrschaft des eigenen Stammes. Wie kann man Stämme unter der Führung eines Stammes vereinen? Diese Frage spricht die substanzielle Problematik des Islam in einer Stammeskultur an. In dem oben zitierten MIT-Harvard-Projekt „Tribes and State Formation“ haben wir diesen Widerspruch beleuchtet.

Paradebeispiel für die Personifizierung der Staatsmacht

Das bis heute anhaltende Problem der islamischen Zivilisation ist, wie staatliche Ordnung bei religiöser und tribaler Vielfalt gegründet und erhalten werden kann. Der wichtigste islamische Denker des schriftgläubigen Islam (im Gegensatz zum Aufklärungs-Islam von Ibn Ruschd), nämlich Ibn Taymiyya (1263-1328) hatte das Problem in seinem Buch „al-siyasah al-schariyya“ mit folgender Erkenntnis beschrieben: „Die sechzigjährige Herrschaft eines ungerechten Imam ist besser als eine einzige Nacht ohne einen Sultan“. Ohne Sultan gibt es nur Anarchie und Unordnung; deswegen beschrieb er den Sultan als „Schatten Allahs auf Erden“. Wenn dieser verschwunden ist, gibt es nichts als Chaos. Genau dies ist heute in Libyen der Fall.

Von 1969 bis 2011 hat es Muhammad al-Qaddhafi geschafft, Ordnung und Stabilität im Lande zu gewähren. Quelle: dapd

Von Qadhafis orientalischer Despotie zum Staatszerfall

Von 1969 bis 2011 hat Qadhafi es geschafft, als „moderner Imam“ Ordnung und Stabilität im Lande zu gewähren. Dies geschah nach dem oben erläuterten Modell des Propheten: Föderation der Stämme unter der Führung seines eigenen Stammes. Als Qadhafi gestürzt wurde, löste sich die gesamte staatliche Ordnung auf. Libyen ist ein arabisches Paradebeispiel für die Personifizierung der Staatsmacht. Lisa Anderson ist bis heute die beste Expertin auf diesem Gebiet. Meine ehemalige Harvard-Kollegin beim erwähnten Forschungsprojekt „Tribes and State Formation in the Middle East“ stieg später zur Präsidentin der American University of Cairo auf. Andersen verfasste das Libyen-Kapitel in dem zitierten Buch. Sie schreibt dort, dass sowohl unter Idris als auch unter Qadhafi „tribal affiliations are not only strong but also continue to present a challenge to the acceptance of the state as primary vehicle“. Anderson stellte also die bis heute anhaltende Verbindung zwischen “tribe and authority” fest.

Ich fasse zusammen: Damals und heute haben arabisch-islamische Imam-Herrscher versucht, die Stammesordnung abzuschaffen, jedoch unter der Führung eines Stammes. Auch Qadhafi war, wie Anderson schreibt, „opposed to tribalism“. Aber trotz aller Rhetorik vom Islam und Panarabismus war die Herrschaft unter Qadhafi so gestaltet: „tribal relationships retained much of their importance“. So wie sich in den alten Zeiten der Kalif mit eigenen Stammesleuten umgab, so tat dies auch der moderne Diktator Qadhafi, der eine Politik des „recruiting staff“ aus dem eigenen beziehungsweise aus verbündeten Stämmen betrieb.

In aller Klarheit muss man sagen, dass unter den beschriebenen Bedingungen alle Voraussetzungen für Demokratie, für eine politische Kultur des Pluralismus, für staatliche Institutionen und für eine volonté generale im Rousseau’schen Sinne nach wie vor fehlen. In meinem Buch über den Arabischen Frühling - „The Sharia State“ - habe ich die Ergebnisse einer Oxford-Studie erläutert, wonach sich die heutigen Libyer nach der Ermordung Qadhafis keinesfalls nach Demokratie sehnen, sondern einen starken politischen Imam als Herrscher herbeisehnen.

Wenn man auf Wunschdenken verzichtet und von den bestehenden Realitäten ausgeht, gibt es nur dieses Szenario für ein geordnetes Libyen: Nur eine starke Persönlichkeit, gestützt auf einen stammesübergreifenden Konsens, auf Charisma und mit entsprechender Machtbasis, kann die libyschen Stämme einen und eine staatliche Ordnung herstellen. Wahlen und Demokratie sind in einem Land wie Libyen eine Karikatur. Wie ich in meinem Buch „Der wahre Imam“ begründet habe, besteht die islamische Geschichte aus der Suche nach dem Anführer der Umma als „federation of the tribes“. Libyen ist keine Ausnahme. Der ersehnte Imam ist jedoch nicht in Sicht und so werden auch in Zukunft weitere Hunderttausende Afrikaner mit Hilfe von Kriminellen den Weg nach Europa finden - über das Transitland Libyen. Ein von Illusionen, nicht von einer Policy getriebener Kanzlerinnen-Besuch in drei afrikanischen Staaten, aus denen die Flüchtlinge kommen, wird an dieser Realität nichts ändern.

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