Machtgerangel um die kleine Insel Wer von Zyperns Wiedervereinigung profitiert

Die Politiker Zyperns verhandeln ab heute über die Wiedervereinigung. Ein Ende Konflikts würde nicht nur die Insel verändern, sondern auch Perspektiven für die Nahost-Konflikte eröffnen. Doch Erdogan hat andere Pläne.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Blick vom griechischen Teil Nikosias auf den türkischen Teil der Zyperns. Eine Wiedervereinigung der Insel hätte weitreichenden politische Konsequenzen. Quelle: dpa

Athen Nikosia auf Zypern ist nicht nur die einzige geteilte Hauptstadt der Welt. Seit einer Woche hat die kleine Inselmetropole eine weitere zweifelhafte Errungenschaft zu bieten: Sie ist die einzige Stadt mit zwei Zeitzonen. Während im griechischen Süden die Uhren am vergangenen Wochenende um eine Stunde zurückgestellt wurden, bleibt der türkisch kontrollierte Norden, wie die Türkei, bei der Sommerzeit.

Für Leute wie Cem Eksi ist das ein Problem. Er ist einer von Tausenden türkischen Zyprern, die jeden Tag die Demarkationslinie überqueren, um im griechischen Süden der Insel zu arbeiten. „Ich kann jetzt zwar eine Stunde länger schlafen, komme aber auch erst eine Stunde später wieder nach Hause“, sagt der 45-jährige Angestellte. „Praktisch ist das Leben in zwei Zeitzonen nicht“, findet der Zyperntürke.

Dass diesseits und jenseits der „Green Line“ nun auch noch die Uhren unterschiedlich gehen, werten manche als böses Omen. Denn gerade jetzt machen die Führer der beiden Volksgruppen einen neuen, vielversprechenden Anlauf zur Überwindung der Teilung. Der griechische Inselpräsident Nikos Anastasiades und der türkische Volksgruppenchef Mustafa Akinci gehen am Montag im Ferienort Mont Pèlerin am Genfer See in eine fünftägige Klausur. Damit erreichen die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der Insel die entscheidende Phase – was auch daran abzulesen ist, dass Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon persönlich die Konferenz eröffnen wird.

Zypern ist seit dem Sommer 1974 geteilt. Damals besetzte die Türkei den Norden der Insel, um die geplante Annektierung Zyperns durch die Athener Obristenjunta und die befürchtete Vertreibung der türkischen Volksgruppe, die etwa ein Fünftel der Inselbevölkerung ausmacht, zu verhindern. International anerkannt ist die (griechische) Republik Zypern im Süden, die 2004 der Europäischen Union beitrat. Die „Türkische Republik Nordzypern“ wird dagegen nur von Ankara anerkannt. Bisher verliefen alle Einigungsversuche im Sande.

Seit Mai 2015 verhandeln Anastasiades und Akinci über eine politische Lösung des Konflikts. Mit dem 70-jährigen konservativen Anastasiades und dem zwei Jahre jüngeren Sozialdemokraten Akinci sprechen zwei erfahrene Polit-Veteranen miteinander. Wichtiger noch: Erstmals sitzen sich jetzt zwei engagierte Einigungsbefürworter gegenüber. Anastasiades und Akinci achten und vertrauen einander. Diese günstige Konstellation hat es seit 1974 noch nie gegeben.

Ziel der Verhandlungen ist eine Föderation aus zwei Bundestaaten mit weitgehender Selbstverwaltung der beiden Volksgruppen – also keine „Wiedervereinigung“ im echten Sinne des Wortes. In den bisherigen Verhandlungen sei man „weiter gekommen als je zuvor“, sagt der Zypern-Sonderbeauftragte der Uno, Espen Barth Eide.

Bei den Gesprächen in der Schweiz geht es vor allem um den Verlauf der künftigen innerzyprischen Grenze. Die Inselgriechen hoffen auf Rückgabe einiger von den Türken besetzter Gebiete. Anastasiades forderte in einer Pressekonferenz am Freitag, mindestens 100.000 griechische Zyprer, die während der türkischen Invasion 1974 aus dem Inselnorden vertrieben wurden, müssten die Möglichkeit zur Rückkehr erhalten.


„Friedensdividende“ könnte Schub bringen

Ein endgültiges Friedensabkommen sei von der Klausur zwar nicht zu erwarten, sagt Uno-Sonderbotschafter Eide. Optimisten halten es aber für möglich, dass am Genfer See die Weichen für eine Einigung noch in diesem Jahr gestellt werden. Skeptiker verweisen hingegen auf die noch ungelösten Streitpunkte. Dazu gehören vor allem Sicherheitsfragen und ein Zeitplan für den Rückzug der über 30.000 türkischen Besatzungssoldaten.

Die Zyperntürken fordern, die Türkei müsse auch in Zukunft Garantiemacht sein. Das lehnen die griechischen Zyprer ab. „Ein europäischer Staat braucht weder Garantiemächte noch Besatzungstruppen“, sagte Anatasiades am Freitag. „Besatzungstruppen geben vielleicht der einen Volksgruppe ein Gefühl der Sicherheit, aber sie schaffen Verunsicherung für die andere.“

In dieser Frage wird auch der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan mitzureden haben. Seit dem Mitte Juli niedergeschlagenen Putschversuch gegen ihn schlägt Erdogan zunehmend nationalistische Töne an. Unklar ist, welche Auswirkungen die innenpolitische Entwicklung in der Türkei auf die Zypernverhandlungen haben wird. Sicher ist: Der Schlüssel zu einer Zypernlösung liegt in Ankara. Präsident Anastasiades erklärte am Freitag, er habe in den Verhandlungen mit Akinci „bedeutende Fortschritte in zahlreichen Fragen“ erzielt. Aber für eine Einigung brauche man „den entschlossenen Beitrag der Türkei“.

Selbst wenn sich Anastasiades und Akinci in den Verhandlungen einigen und Erdogan mitspielt, müssen beide Volksgruppen allerdings noch in getrennten Referenden zustimmen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Hürde. 2004 lehnten die Inselgriechen den Einigungsplan des damaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan mit großer Mehrheit ab.

Eine Vereinigung könnte der Insel einen wirtschaftlichen Schub geben. Ökonomen erwarten eine „Friedensdividende“. Der Wirtschaftsprofessor Alexander Apostolides prognostiziert einem vereinigten Zypern jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich 4,5 Prozent auf die nächsten 20 Jahre – gegenüber nur 1,6 Prozent, wenn es bei der Teilung bleibt.

Die EU beobachtet die Einigungsbemühungen mit großer Aufmerksamkeit. Eine Zypernlösung wäre „ein Durchbruch“ für Europa, meint die EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini. Auch die USA engagieren sich hinter den Kulissen intensiv für eine Lösung. Die Insel gilt als „unsinkbarer Flugzeugträger“ an der Schwelle zum krisengeschüttelten Nahen Osten.

Großbritannien unterhält aus der Kolonialzeit zwei exterritoriale Militärbasen auf der Insel, darunter den Luftwaffenstützpunkt Akrotiri. Die Basen spielen eine wichtige Rolle in der militärischen und nachrichtendienstlichen elektronischen Aufklärung. In Krisenzeiten nutzte auch die US Air Force den Militärflugplatz Akrotiri, so im Golfkrieg. Jetzt gibt es bereits Gedankenspiele über einen Nato-Beitritt eines wiedervereinigten Zypern.

So verlockend eine Zypernlösung sicherheitspolitisch für den Westen auch wäre – für die EU hätte sie möglicherweise einen Pferdefuß. Denn das bisher diskutierte Konzept einer zyprischen Föderation sieht vor, dass in außenpolitischen Fragen nichts gegen den Willen einer der beiden Volksgruppen läuft. Das würde bedeuten: Über den türkisch-zyprischen Teilstaat im Inselnorden könnte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Brüssel mitbestimmen – wenn nämlich die Inseltürken zugunsten Ankaras von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. Dann könnten der EU interne Konflikte bevorstehen. Wallonien lässt grüßen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%