Machtspiele in Australien Stunde der Marionettenspieler

Mit knapper Not hat Australiens Premierminister Malcolm Turnbull die Parlamentswahl gewonnen. Trotzdem ist seine Macht auf dem Nullpunkt. Gewinner sind allein die konservativen Strippenzieher im Hintergrund.

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Australiens Ex-Premier Tony Abbott (l.) lauscht einer Rede seines Nachfolgers Malcolm Turnbull. Viele Australier sehen in dem vormals eher liberalen Turnbull nur noch eine Marionette der konservativen Abbott-Gefolgschaft. Quelle: AFP

Brisbane Es hatte alles so gut begonnen: Als der australische Kommunikationsminister Malcolm Turnbull im September letzten Jahres in einem parteiinternen Aufstand seinen Chef und langjährigen Kontrahenten Tony Abbott vom Sessel des Premierministers geputscht hatte, atmete Australien auf. Sogar Kritiker der liberal-konservativen Regierung konnten ihre Sympathie für den sozialpolitischen Liberalen und Entrepreneur-Politiker nicht verbergen.

Der ehemalige Geschäftsmann, Anwalt und Multimillionär gilt als urban, intelligent, charmant – das pure Gegenteil des hölzernen Demagogen Abbott, eines ultra-konservativen, klimawandelskeptischen Islamophoben. Das größte Plus des Neuen war aber sein Enthusiasmus. „Es ist eine aufregende Zeit, um Australier zu sein“, so Turnbulls Kriegsruf, „trotz aller Probleme“.

Das größte davon, den Klimawandel, hat der erfolgreiche Geschäftsmann immer auch als wirtschaftliche Chance gesehen. Über Jahre war Turnbull ein eloquenter Verfechter starker und effektiver Klimapolitik gewesen, zur Frustration der klimaskeptischen Mehrheit in der konservativen Partei.

Australien ist unter den Industrieländern mit am stärksten von globaler Erwärmung betroffen: immer mehr und intensivere Stürme, immer verheerendere Waldbrände. Und natürlich das Great-Barrier-Riff. 90 Prozent des größten Korallenriffs der Welt sind von der zerstörerischen Korallenbleiche betroffen, für die Forscher vor allem den Klimawandel verantwortlich machen.

Und dann das. Aus Malcolm, dem liberalen Macher, wurde über Nacht Malcolm, der konservative Blockierer. Zum Schrecken vieler ging Turnbull nicht zum Frontalangriff gegen „das größte Problem der Gegenwart“ über, sondern wurde eine Schrumpfversion seines Vorgängers. Die einst aufstrebende Erneuerbare-Energien-Industrie konnte sich unter Turnbull nicht erholen vom Blutbad, das Abbott angerichtet hatte, um die Kohleindustrie zu schützen.

Ein von Labor eingeführtes Emissionshandelssystem, das von Abbott abgewürgt worden war, rief Turnbull nicht wie erwartet wieder ins Leben zurück. Die Katastrophe am Barrier Riff versucht seine Regierung zu vertuschen. In Paris kam Australien mit Klimazielen, die so schwach waren, dass sie von Experten als „Farce“ bezeichnet wurden. Gleichzeitig wird der Bau neuer Kohlegruben propagiert.


Turnbull hat seine Seele verkauft

In Canberra ist man sich einig, dass der ultra-konservative Flügel seiner Partei Turnbull das Versprechen abgenommen, nichts zu tun, was der mächtigen Kohleindustrie schaden könnte. Der Deal: Dafür lassen die „harten Konservativen“ diesen „Liberalen“, der „ihren“ Premierminister geputscht hatte, im Amt. Turnbull wurde zur Marionette der Abbott-Gefolgschaft.

Dass der Premier und seine Koalition nur noch um Haaresbreite an die Macht zurückkrebsen konnten, hat mit der Enttäuschung von Millionen von Wählern zu tun. Von jenen, die gehofft hatten,  der Geschäftsmann und Innovator in Turnbull werde sich ihrer Probleme annehmen. Denn der Slogan „Eine aufregende Zeit, um Australier zu sein“ gilt längst nicht für alle.

Tatsächlich sieht die Gegenwart für viele Australier eher beängstigend aus. Der Rohstoffboom ist vorbei, Alternativen zum Buddeln nach Kohle und Eisenerz gibt es jedoch wenige. Regierungen jeder politischen Couleur haben es versäumt, für die schlechten Zeiten vorzusorgen. Keine Investitionen in Infrastruktur, in Forschung, in Ausbildung.

Im Gegenteil: im internationalen Vergleich stehen australische Schüler hinten. Ein Studium wird immer mehr ein Privileg der Reichen. Den Traum vom Eigenheim kann sich kaum noch ein junges Paar leisten. Das Haushaltsdefizit wird immer grösser.

Turnbull hatte gehofft, mit einem soliden Ergebnis bei den Wahlen aus dem Schatten der Abbott-Anhänger treten und endlich er selbst sein zu können. Stattdessen hatte er eine Nahtod-Erfahrung durchgemacht: seine Macht ist auf dem Nullpunkt, die seiner Partei geschrumpft. Die Marionettenspieler sind die einzigen Gewinner. Tony Abbott wartet auf den zweiten Akt.

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