Macron in Lyon Zwischen Rockkonzert und Kirchentag

Frankreichs Präsidentschaftskandidat Macron schafft bei seiner Rede in Lyon einen neuen Zuschauerrekord für den laufenden Wahlkampf. Als einer der wenigen französischen Politiker bezieht er sich positiv auf Deutschland.

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Frankreichs politisches System könne von „einer Lepra“ befallen werden, die die Demokratie gefährde. Quelle: dpa

Emmanuel Macron wird als das „freie Elektron“ der französischen Politik beschrieben, weil er keiner der klassischen Parteien angehört. Wenn die Metapher zutrifft, dann hat das Elektron am Wochenende einen höheren Orbit erreicht. 16 000 Menschen haben nach eigenen Angaben an seinem Meeting in Lyon teilgenommen. Selbst wenn es ein paar Tausend weniger waren, ist es ein neuer Rekord für den laufenden Wahlkampf.

Der 39-jährige Ex-Wirtschaftsminister profitiert von einer Dynamik, die durch den Finanzskandal des früheren konservativen Favoriten François Fillon verstärkt wird. Macron erscheint von Woche zu Woche mehr als der Politiker, der den Aufstieg der rechtspopulistischen Marine Le Pen stoppen und ihren Wahlsieg verhindern kann.

Der Sportpalast im Süden von Lyon war bereits gerammelt voll, als noch tausende Franzosen vor der Halle warteten. Macron schnappte sich ein Mikro, gesellte sich zu den Wartenden und tröstete sie: „Die Veranstaltung wird in zwei anderen Hallen live übertragen, und ihr könnt sagen, dass ihr dabei gewesen seid.“

Lyon ist am Wochenende Schauplatz eines Duells, eigentlich einer Auseinandersetzung zu Dritt: Macron am Samstag, die rechtspopulistische Front National am Samstag und Sonntag und Jean-Luc Mélenchon mit seiner Linksfront am Sonntag. Marine Le Pen stellt die Grundzüge ihres Programms vor, das sich vor allem um nationale Souveränität und Präferenz für nationale Produkte und Arbeitskräfte dreht. Mélenchon muss versuchen, nicht weiter hinter den ebenfalls ganz links angesiedelten Kandidaten der Sozialisten Benoît Hamon zurückzufallen, der ihn überholt hat. Und für Macron ging es darum, zu beweisen, dass er sich dauerhaft als einer der Top-Favoriten dieser Wahl etabliert hat.


Macron redete fast zwei Stunden lang

Das ist ihm zweifellos mit seiner Massenveranstaltung gelungen. Er redete fast zwei Stunden lang, mehr noch als sonst als ein Mann der leisen Töne. Ein wenig zu sehr wie ein milde gestimmter Pfarrer redete er auf die Menge ein, die sichtlich etwas anderes, lebhafteres erwartete. Die Stimmung des Meetings schwankte deshalb zwischen Rockkonzert und Kirchentag.

Inhaltlich versuchte der Jungstar der französischen Politik seiner noch äußerst jungen Bewegung eine Art historische Legitimation zu geben. Er will sich nicht auf den Links-Rechts Gegensatz reduzieren lassen, das ist eher neu für die französische Politik und Anlass für wiederholte Angriffe von Linken wie Rechten, Macron könne sich nicht entscheiden. Der Ex-Minister sieht das ganz anders: „In den historisch entscheidenden Momenten unseres Landes haben wir diesen Gegensatz überwunden.“

Und die Zeiten seien erneut äußerst ernst: „Die Amerikaner werden vielleicht ihre historische Mission aufgeben, den Frieden in der Welt zu sichern.“ Autoritäre Regime machten sich breit, „in Russland, im Iran, in der Türkei, in Saudi-Arabien.“ Macron erteilte der Versuchung, Konflikte im Zweifelsfalle militärisch zu lösen, eine Absage: „Wir dürfen keinen Krieg führen, wenn wir keine Lösung für die Probleme haben, aber wir müssen immer unsere Werte verteidigen.“

Auch wegen der aufgeladenen Stimmung in Frankreich drohe Gefahr: Frankreichs politisches System könne von „einer Lepra“ befallen werden, die die Demokratie gefährde. Nur andeutungsweise ging Macron auf den Skandal um fiktive Beschäftigung ein, durch die der Konservative François Fillon den Steuerzahler mutmaßlich um mehr als 800 000 Euro erleichtert hat. Doch das was er sagte, saß: „Wenn man in dieser Situation gegenüber Menschen, die Aufklärung fordern, von einem Komplott redet, fügt man dem eigenen Schaden noch die Würdelosigkeit hinzu.“ Fillon gilt politisch als erledigt, er klammert sich aber immer noch an seine Kandidatur. Gerüchte machen die Runde: Alain Juppé, der 72-jährige Bürgermeister von Bordeaux, der Fillon in der Vorwahl unterlag, soll seine Getreuen zu einer Dringlichkeitssitzung nach Bordeaux geladen haben. Öffentlich hat er erklärt, er wolle nicht der Ersatzkandidat für Fillon sei.

Der Skandal könne der rechtsextremen Front National noch mehr Zukauf verschaffen, warnte Macron. Mit der FN setzte er sich stärker als sonst auseinander. Die behaupte, im Namen des Volkes zu reden, „doch in Wirklichkeit reden sie nur im eigenen Namen, vom Vater zur Tochter, von der Tochter zur Nichte.“ Die FN ist in der Tat ein Familienunternehmen: gegründet von Jean-Marie, derzeit geleitet von dessen Tochter Marine, und deren Nichte Marion wartet schon auf ihre Chance. Die Front verrate „die französischen Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, und sie „verachtet Gesichter, die ihrem nicht gleichen.“ kritisierte Macron.


Einladung an alle US-Wissenschaftler

Die größte Begeisterung löste der Linksliberale bei seinen Zuhörern aus, als er eine Einladung an alle US-Wissenschaftler formulierte, die unter Trump in Misskredit geraten: „Ich rufe allen, die gegen den Obskurantismus kämpfen, die für den Klimaschutz oder erneuerbare Energie forschen, zu: Ab Mai habt ihr in Frankreich eine neue Heimstatt!“

Auch mit seinem Bekenntnis zu Europa euphorisierte Macron die tausende Zuhörer in der Sporthalle. Seine Meetings sind die einzigen in Frankreich, bei denen man nicht nur die Trikolore, sondern zahlreiche Europafahnen sieht. „Einige wollen Frankreich von Europa trennen, andere sind für Europa, aber nur an den Tagen, an denen es ihnen gefällt.“ Ironisch zitierte der Kandidat einen französischen Adligen der frühen Neuzeit, der aus dem Krieg heimkehrt und seine Frau fragt: „Warst Du mir treu?“ und die antwortet: „Oft“. So sei es auch mit den lauwarmen Europäern, seine Bewegung dagegen werde „Europa immer treu sein, wir werden nicht die Verträge zerreißen, die wir selber geschrieben haben.“

Als einer der wenigen französischen Politiker bezieht Macron sich positiv auf Deutschland. Das französische Motto der Brüderlichkeit gelte auch in der EU, „einige Länder haben sie unter Beweis gestellt, vor allem Deutschland“, stellte er unter Anspielung auf die Flüchtlingskrise fest. Es sind solche Bemerkungen, die dem Mainstream der französischen Politik völlig zuwiderlaufen, die zeigen: Der jugendlich wirkende Kandidat geht nicht den Weg des geringsten Widerstands.

Ende des Monats will er sein durchgerechnetes und mit Zahlen unterlegtes Programm vorstellen. Auch wenn er derzeit in den Umfragen sehr gut abschneidet: Sicher ist ihm der Erfolg noch lange nicht. Die Demoskopen wollen bei Macron sehr viel mehr noch schwankende Wähler feststellen als etwa bei Marine Le Pen. Er muss seine Bewegung, die nicht einmal ein Jahr alt ist, in atemberaubendem Tempo konsolidieren. 170 000 Mittreiter habe er bereits, behauptete am Samstag der Bürgermeister von Lyon Gérard Collomb.

Gegenwärtig ist Macron mit seiner Bewegung „En Marche!“ dabei, Kandidaten für die Parlamentswahl im Juni aufzustellen, die auf die Präsidentschaftswahl im Mai folgt. Es gebe zu wenig Frauen, stellte er am Samstag selbstkritisch fest, „wenn das so bleibt, würden wir nur die aktuelle Zusammensetzung der Nationalversammlung wiederholen, die aber nicht der französischen Gesellschaft entspricht“, warnte er – und forderte Frauen auf, klassische Rollenmuster zu überwinden und sich zu einem Engagement durchzuringen.

Macron als unbelasteter Hoffnungsträger passt zu einer historischen Situation in Frankreich, in der das gesamte politische System in einer Legitimationskrise steckt und die Menschen nach neuen Lösungen suchen. Doch 77 Tage vor der Wahl ist deren Ausgang noch völlig offen.

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