Was ihr Verhältnis zu Margaret Thatcher angeht, sind die Briten bis heute eine gespaltene Nation. Ihre Anhänger feiern sie als Retterin Großbritanniens. Ihre Gegner werfen ihr vor, Gemeinsinn und Solidarität in der britischen Gesellschaft durch einen kalten Kapitalismus ersetzt zu haben. Ihren außerordentlichen Einfluss bestreitet niemand. Margaret Thatcher überragt alle britischen Politiker seit Winston Churchill. Ihr Denken und Handeln prägt Großbritannien bis heute.
Die wichtigste Leistung Margaret Thatchers liegt in der wirtschaftspolitischen Wende, die sie eingeleitet hat. Als sie im Jahr 1979 Premierministerin wurde, war Großbritannien ein Land im Niedergang. Militante Gewerkschaften strangulierten die marode Wirtschaft, und eine überforderte Regierung versuchte, mit staatlichen Ausgabenprogrammen und expansiver Geldpolitik gegenzusteuern. Das Ergebnis war eine explodierende Staatsverschuldung und eine Inflationsrate, die zwischenzeitlich über 20 Prozent lag. Großbritannien schien den Anschluss an andere Industrieländer zu verlieren.
Margaret Thatcher verordnete dem Land eine Rosskur. Sie entmachtete die Gewerkschaften, kürzte öffentliche Ausgaben, privatisierte Staatsunternehmen und verpflichtete die Bank von England zu einer strikten Inflationsbekämpfung. Das verschärfte zunächst Rezession und Arbeitslosigkeit, aber 1982 erholte sich die britische Wirtschaft, und es folgte ein mehrjähriger Aufschwung. Zwischen 1982 und 1990 wuchs die britische Wirtschaft um durchschnittlich 3,6 Prozent pro Jahr, im Vergleich zu beispielsweise 2,6 Prozent in Deutschland.
Der wirtschaftspolitische Kurswechsel hat Großbritannien vor Schlimmerem bewahrt. Aber nicht alle Weichenstellungen haben sich als segensreich erwiesen. Gemischt ist die Bilanz der Privatisierung von Staatsunternehmen. In einigen Fällen war sie erfolgreich, beispielsweise in der Telekommunikation. In anderen Fällen hat sie zu einem Qualitätsverfall geführt, so etwa beim Schienenverkehr.
Deutschlands Verbündeter
Besonders umstritten ist die Deregulierung des Finanzsektors, die unter Margaret Thatcher begann. Sie hat die Expansion des Finanzzentrums London befeuert. Die Dominanz des Finanz- und Dienstleistungszentrums London ging einher mit einem Verfall der alten Industriezentren in Nordengland. Dass das Land, in dem die industrielle Revolution ihren Ausgang genommen hatte, sich immer mehr deindustrialisierte, kümmerte Thatcher wenig. Sie war der Meinung, dass private Unternehmer und Konsumenten entscheiden sollten, welche Firmen überleben sollen und welche nicht. Dabei hat sie übersehen, dass die Politik die Wirtschaftsentwicklung auf vielfältige Weise beeinflusst und die Expansion des Finanzsektors unter anderem durch versteckte Subventionen in Form der impliziten Staatshaftung für Banken getrieben wurde. Diese Politik hat die britische Wirtschaft in eine Abhängigkeit vom Finanzsektor geführt, die dem Land seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 große Schwierigkeiten bereitet.
Für Deutschland war Margaret Thatcher oft ein wichtiger Verbündeter. Das galt beispielsweise für das Vorantreiben des Europäischen Binnenmarktes und das Eindämmen protektionistischer Tendenzen in Europa. Bis heute ist dieses Bündnis für die Exportnation Deutschland wichtig und ein Grund, Großbritannien in der Europäischen Union zu halten. Wenn britische und deutsche Interessen voneinander abwichen, hat Thatcher aber nie gezögert, das auch auszusprechen und entsprechende Forderungen zu stellen. So setzte sie im EU-Haushalt den Briten-Rabatt durch. Sie machte nie einen Hehl daraus, dass sie von der Brüsseler Bürokratie und der Verlagerung politischer Kompetenzen auf die europäische Ebene wenig hielt. Von der deutschen Wiedervereinigung war sie nicht sonderlich begeistert.
Wie es der Tradition britischer Außenpolitik entspricht, sah sie die Gefahr, das Gleichgewicht der Kräfte auf dem europäischen Kontinent könnte gestört werden, wenn Deutschland an Einfluss gewinnt. Auch von der Europäischen Währungsunion hielt sie wenig. Zu unterschiedlich waren ihres Erachtens die Länder, die an der gemeinsamen Währung beteiligt sein sollten. Sie empfahl den Deutschen, ihre Bundesbank und die D-Mark lieber zu behalten.
Trotz ihrer sehr direkten Art oder vielleicht gerade deswegen genießt die Eiserne Lady bis heute in Deutschland hohes Ansehen. Zu einem heute verbreiteten Typ von Politiker, der ständig versucht, sich der gerade herrschenden Mehrheitsmeinung anzupassen, bieten die Klarheit und der Mut Margaret Thatchers einen wohltuenden Kontrast. „The Lady‘s not for turning“, rief sie denen zu, die wollten, dass sie sich anpasst. Dieses politische Vermächtnis wird ihren Tod überdauern.