Margaret Thatcher Die Frau, die Großbritannien prägte

Von 1979 bis 1990 hat die britische Premierministerin ihr Land mehr verändert als jeder Regierungschef vor ihr. Vergangene Woche starb sie im Alter von 87 Jahren. Anhänger sehen in ihr die Retterin des Landes. Kritiker werfen ihr soziale Kälte vor.

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Margaret Thatcher Quelle: laif

Was ihr Verhältnis zu Margaret Thatcher angeht, sind die Briten bis heute eine gespaltene Nation. Ihre Anhänger feiern sie als Retterin Großbritanniens. Ihre Gegner werfen ihr vor, Gemeinsinn und Solidarität in der britischen Gesellschaft durch einen kalten Kapitalismus ersetzt zu haben. Ihren außerordentlichen Einfluss bestreitet niemand. Margaret Thatcher überragt alle britischen Politiker seit Winston Churchill. Ihr Denken und Handeln prägt Großbritannien bis heute.

Die wichtigste Leistung Margaret Thatchers liegt in der wirtschaftspolitischen Wende, die sie eingeleitet hat. Als sie im Jahr 1979 Premierministerin wurde, war Großbritannien ein Land im Niedergang. Militante Gewerkschaften strangulierten die marode Wirtschaft, und eine überforderte Regierung versuchte, mit staatlichen Ausgabenprogrammen und expansiver Geldpolitik gegenzusteuern. Das Ergebnis war eine explodierende Staatsverschuldung und eine Inflationsrate, die zwischenzeitlich über 20 Prozent lag. Großbritannien schien den Anschluss an andere Industrieländer zu verlieren.

Regieren ohne Kompromisse
Margaret Thatcher mit Königin Elizabeth II 1979, im Jahr ihrer Amtseinführung. Die ehemalige britische Premierministerin wurde 1925 in Grantham geboren und verstarb am 8. April 2013 im Alter von 87 Jahren. Quelle: AP
Über zehn Jahre regierte Margaret Thatcher die Briten. Ihren ersten Wahlsieg feierte Thatcher 1979, als die damalige Parteiführerin ihre konservative Labour-Party aus der Opposition zurück in die Regierung führte. Nicht nur wegen ihrer konservativen Wirtschaftspolitik, sondern auch wegen ihres harten Führungsstils ist die britische Premierministerin seit dem als „Eiserne Lady" bekannt. Quelle: AP
Vor ihrer politischen Karriere arbeitete Thatcher als Chemikerin und soll sogar an der Erfindung des Soft Eis beteiligt gewesen sein. Das Bild zeigt die damalige Oppositionsführerin 1975 mit dem kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan, der später als US-Präsident einer der engsten Verbündeten Thatchers werden sollte. Quelle: AP
Ihren Spitznamen festigte Thatcher spätestens durch ihre Reaktion auf den Streik der britischen Bergarbeiter in den Jahren 1984 und 1985. Thatcher saß den Protest der Bergarbeiter gegen die von ihr geplanten Schließungen einfach aus, bis den Streikenden nach einem Jahr das Geld ausging. Die Gewerkschaften mussten eine erheblichen Machteinbuße in Kauf nehmen, Thatcher hingegen ging aus dem ein Jahr dauernden Disput gestärkt hervor. Sie setzte im ganzen Land Privatisierungen durch und schraubte den Einfluss des Staates auf den Markt auf ein Minimum zurück. Quelle: AP
Auch in der Außenpolitik regierte Thatcher mit harter Hand. Als Grund für ihren Wahlerfolg 1983 gilt ihr Sieg über Argentinien im Falklandkrieg ein Jahr zuvor. Seit 1833 beansprucht Großbritannien die Insel für sich und verteidigt sie seit dem erfolgreich. Argentinien musste 1982 nach nur 74 Tagen seinen Angriff auf die Insel abbrechen. Nachhaltig lösen konnte Thatcher den Konflikt jedoch nicht: Noch immer sieht Argentinien die Insel als Staatsterritorium an. Quelle: AP
Thatcher im Dezember 1984, zwei Monate nach dem Anschlag auf das Brighton-Hotel. Die irische Rebellentruppe IRA tötete bei dem Anschlag fünf Menschen, Thatcher blieb unverletzt. Als die Bombe mitten in der Nacht explodierte, schrieb die Premierministerin noch an einer Rede für ihren nächsten Tag. Die Bombe zerstörte zwar ihr Badezimmer, nicht jedoch ihr Schlaf- und Aufenthaltszimmer. Quelle: AP
Thatcher mit dem deutschen Ex-Kanzler Helmut Kohl. Das Verhältnis der britischen Premierministerin zum europäischen Festland war gespalten. „I want my money back", forderte die eiserne Lady 1984 bei einem Gipfel der Europäischen Gemeinschaft in Fontainebleau: Großbritannien zahle als wirtschaftliches schwaches Land zu viel in den gemeinsamen Topf und bekomme zu wenig zurück, so Thatcher. Sie setzte sich durch: Großbritannien bekommt bis heute etwa zwei Drittel seiner Netto-Beiträge an den EU-Haushalt erstattet. Auch in Deutschland war die Premierministerin bekannt für ihren Starrsinn. So stellte sie sich bis zum Ende gegen die deutsche Wiedervereinigung. Quelle: AP

Margaret Thatcher verordnete dem Land eine Rosskur. Sie entmachtete die Gewerkschaften, kürzte öffentliche Ausgaben, privatisierte Staatsunternehmen und verpflichtete die Bank von England zu einer strikten Inflationsbekämpfung. Das verschärfte zunächst Rezession und Arbeitslosigkeit, aber 1982 erholte sich die britische Wirtschaft, und es folgte ein mehrjähriger Aufschwung. Zwischen 1982 und 1990 wuchs die britische Wirtschaft um durchschnittlich 3,6 Prozent pro Jahr, im Vergleich zu beispielsweise 2,6 Prozent in Deutschland.

Der wirtschaftspolitische Kurswechsel hat Großbritannien vor Schlimmerem bewahrt. Aber nicht alle Weichenstellungen haben sich als segensreich erwiesen. Gemischt ist die Bilanz der Privatisierung von Staatsunternehmen. In einigen Fällen war sie erfolgreich, beispielsweise in der Telekommunikation. In anderen Fällen hat sie zu einem Qualitätsverfall geführt, so etwa beim Schienenverkehr.

Deutschlands Verbündeter

Was die Briten an der EU stört
Mittelstand könnte beim Brexit-Referendum am 23. Juni den Ausschlag geben Quelle: dpa, Montage
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Besonders umstritten ist die Deregulierung des Finanzsektors, die unter Margaret Thatcher begann. Sie hat die Expansion des Finanzzentrums London befeuert. Die Dominanz des Finanz- und Dienstleistungszentrums London ging einher mit einem Verfall der alten Industriezentren in Nordengland. Dass das Land, in dem die industrielle Revolution ihren Ausgang genommen hatte, sich immer mehr deindustrialisierte, kümmerte Thatcher wenig. Sie war der Meinung, dass private Unternehmer und Konsumenten entscheiden sollten, welche Firmen überleben sollen und welche nicht. Dabei hat sie übersehen, dass die Politik die Wirtschaftsentwicklung auf vielfältige Weise beeinflusst und die Expansion des Finanzsektors unter anderem durch versteckte Subventionen in Form der impliziten Staatshaftung für Banken getrieben wurde. Diese Politik hat die britische Wirtschaft in eine Abhängigkeit vom Finanzsektor geführt, die dem Land seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 große Schwierigkeiten bereitet.

Für Deutschland war Margaret Thatcher oft ein wichtiger Verbündeter. Das galt beispielsweise für das Vorantreiben des Europäischen Binnenmarktes und das Eindämmen protektionistischer Tendenzen in Europa. Bis heute ist dieses Bündnis für die Exportnation Deutschland wichtig und ein Grund, Großbritannien in der Europäischen Union zu halten. Wenn britische und deutsche Interessen voneinander abwichen, hat Thatcher aber nie gezögert, das auch auszusprechen und entsprechende Forderungen zu stellen. So setzte sie im EU-Haushalt den Briten-Rabatt durch. Sie machte nie einen Hehl daraus, dass sie von der Brüsseler Bürokratie und der Verlagerung politischer Kompetenzen auf die europäische Ebene wenig hielt. Von der deutschen Wiedervereinigung war sie nicht sonderlich begeistert.

Wie es der Tradition britischer Außenpolitik entspricht, sah sie die Gefahr, das Gleichgewicht der Kräfte auf dem europäischen Kontinent könnte gestört werden, wenn Deutschland an Einfluss gewinnt. Auch von der Europäischen Währungsunion hielt sie wenig. Zu unterschiedlich waren ihres Erachtens die Länder, die an der gemeinsamen Währung beteiligt sein sollten. Sie empfahl den Deutschen, ihre Bundesbank und die D-Mark lieber zu behalten.

Trotz ihrer sehr direkten Art oder vielleicht gerade deswegen genießt die Eiserne Lady bis heute in Deutschland hohes Ansehen. Zu einem heute verbreiteten Typ von Politiker, der ständig versucht, sich der gerade herrschenden Mehrheitsmeinung anzupassen, bieten die Klarheit und der Mut Margaret Thatchers einen wohltuenden Kontrast. „The Lady‘s not for turning“, rief sie denen zu, die wollten, dass sie sich anpasst. Dieses politische Vermächtnis wird ihren Tod überdauern.

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