Marine Le Pen „Ich fordere den totalen Krieg“

Nach dem Anschlag, kurz vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich, müssen sich die Kandidaten auf einen neuen Wahlkampf einstellen. Und greifen zu radikalen Mitteln. Wird die Wahl zum Urnengang im Zeichen des Terrors?

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French presidential election candidate for the far-right Front National (FN) party Marine Le Pen speaks during a press conference on April 21, 2017 at her campaign headquarters in Paris. / AFP PHOTO / Lionel BONAVENTURE Quelle: AFP

Paris Weniger als 48 Stunden vor der Öffnung der Wahllokale haben die Präsidentschaftskandidaten mit ausführlichen Stellungnahmen auf den Anschlag vom Vorabend reagiert, bei dem mitten auf den Champs Elysées in Paris ein Polizist getötet, zwei weitere verletzt und der Angreifer erschossen wurden.

In schrillsten Tönen äußerte sich die rechtsextreme Marine Le Pen. „Ich fordere den totalen Krieg“, rief sie in ihrem Hauptquartier in die Kameras. In der bekannt maßlosen Rhetorik des Rechtsextremismus verstieg sie sich zu der Behauptung: „Seit zehn Jahren haben die Regierungen der Rechten und der Linken alles dafür getan, damit wir diesen Krieg verlieren.“ Die „tausendjährige Seele unsere Volkes muss erwachen, um der blutigen Barbarei zu widerstehen“, beschwor die in einem schwarzen Gewand auftretende Frontfrau des Front National.

Sie nannte den Namen des mutmaßlichen Attentäters, eines 39-jährigen Franzosen, was die Sicherheitsbehörden bislang bewusst vermieden haben. Er soll eine „Fiche S“ der Nachrichtendienste gehabt haben, das ist ein Vermerk, den Personen erhalten, die aus den unterschiedlichsten Gründen als potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten. Le Pen forderte die sofortige Ausweisung aller Ausländer mit einem solchen Vermerk, den Franzosen müsse der Prozess wegen „Zusammenarbeit mit dem Feind“ gemacht werden – ein Hohn auf den Rechtsstaat.

Die Front National-Chefin, deren Kampagne in den letzten Tagen zunehmend schlaff wirkte, versucht aus dem brutalen Mordanschlag politisches Kapital zu schlagen. Dabei ist ihre Wortwahl so grobschlächtig, dass der Versuch auch nach hinten losgehen könnte.

Ruhig, aber zugleich martialisch in der Sache, trat dagegen François Fillon auf. Der Konservative verschärfte seinen Tonfall, sprach von einer „eisernen Hand“, mit der er den „islamistischen Totalitarismus“ bekämpfen werde, dessen Ausmaß endlich voll erfasst werden müsse. Frankreich solle „moralisch und intellektuell aufrüsten“, benötige eine „moralische und intellektuelle Mauer“.  Seine Vorschläge laufen im Wesentlichen eine diplomatische Offensive gemeinsam mit Washington und Moskau, mehr politischen Druck auf die Golfstaaten und auf eine Verstärkung der Polizei und des Militärs und härteres Vorgehen gegen Salafisten und Hassprediger hinaus. Deren Organisationen sollen aufgelöst werden.

Grenzwertig ist Fillons Forderung, die als Sicherheitsrisiko geltenden Personen „in einem Rechtsrahmen in Haft zu nehmen oder unter Hausarrest zu stellen“. Ein bloßer Verdacht reicht in einem Rechtsstaat in der Regel nicht als Haftgrund. Außerdem wären tausende von Personen betroffen: Laut Aussage des Premierministers gibt es in Frankreich 20 000 „Fiches S“, davon sind rund die Hälfte radikale Islamisten.

Macron meldete sich am Freitagmittag als letzter zu Wort. Er werde den „Terror unnachgiebig bekämpfen“, innerhalb Frankreichs und außerhalb seiner Grenzen. Im Irak und in Syrien werde er „militärisch gegen die Auftraggeber der Terroristen vorgehen, die in Europa und in Frankreich zur Tat schreiten.“ Er wolle die Zusammenarbeit der Geheimdienste verbessern und deren Koordinierung in einer einzigen Stelle beim Präsidenten zusammenfassen. Die Auflösung der territorialen Geheimdienste im Inland in den vergangenen zehn Jahren sei ein Fehler gewesen, den er rückgängig machen wolle. Polizei und Militär müssten gestärkt werden.

Zugleich forderte er die Franzosen aber auch auf, „nicht der Angst, der Spaltung und der Einschüchterung nachzugeben“. Die Demokratie dürfe sich vom Terror nicht beeindrucken lassen, die Täter versuchten, das Zusammenleben und die Werte Frankreichs zu erschüttern. Der Kampf gegen den Terrorismus könne nur erfolgreich sein, wenn er europaweit geführt werde – eigentlich eine Binsenweisheit, die Fillon und Le Pen aber mit keinem Wort erwähnen, da sie auf den illusionären Schutz durch nationale Grenzen setzen.  

Wie sehr der Anschlag tatsächlich die Wahlentscheidung der Franzosen beeinflussen wird, ist noch völlig offen. Von Panik war Donnerstagnacht in Paris keine Spur, und am Freitag herrschte wieder das übliche geschäftige Treiben auf der Pariser Flaniermeile. So brutal das Attentat ist – man kann es in seiner psychologischen Wirkung nicht mit den Folgen der Massenmorde in den Cafés und im Musikklub „Bataclan“ vom November 2015 vergleichen.   

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